Film: El Clan
2015, Buenos Aires, Argentinien, 108 Minuten
Regie und Drehbuch: Pablo Trapero

Eine Filmkritik von Karina Zander



Die Kamera fokussiert seitlich das Gesicht eines jungen Mannes, dessen Konzentration auf den Fernseher gerichtet ist. Im Hintergrund ist eine Küche und eine junge Frau zu sehen. „Essen ist fertig“1, mit diesen Worten wird das Publikum abgeholt. Die dramatische Hintergrundmusik lässt erahnen, dass jeden Moment etwas passieren wird, das die wohlige Stimmung im Haus zerstören wird. In der nächsten Sekunde stürmt die Polizei das Haus, das Glas der Tür zerspringt und die junge Frau stößt erschrocken einen Schrei aus. Gefolgt von den Schreien der Polizei, die den beiden jungen Leuten Handschellen anlegt. Eine weitere Tür wird eingetreten, die zum Keller führt. Das Publikum begibt sich zusammen mit den handelnden Personen in den stockdunklen Keller, dessen Raum mit heiterer Musik beschallt wird. Mit den Worten „Bewegung, bisschen schneller! Jetzt komm schon. Wo ist sie, verdammt noch mal?!“2 wird der junge Mann von einem der Polizisten in den Keller gezerrt. Doch wonach sucht die Polizei und was hat es mit dem Keller auf sich?

Nach dieser Eröffnungsszene, die Trapero als Vorblende einsetzt, begibt sich das Publikum auf eine Reise in die Vergangenheit der Erzählung: Drei Jahre zuvor, Buenos Aires, 1982. Der Familienvater und Patriarch Arquímedes Puccio (Guillermo Francella) verfolgt ungläubig die Nachrichten. Der argentinische Präsident Generalleutnant Leopoldo Fortunato Galtieri Castelli erklärt die Gefechte um die Falklandinseln für beendet und preist den beispiellosen Einsatz der Soldaten, die für ihr Vaterland kämpften. Im Zuge dessen verliert Arquímedes seinen Job beim argentinischen Geheimdienst und verlegt seine Geschäfte auf Entführungen, Lösegelderpressungen und Mord, was sich schnell zum Familiengeschäft der Puccios entwickelt. Die Familie Puccio besteht aus sieben Familienmitgliedern und scheint nach außen wie eine normale Familie, in ihrem Haus spielen sich jedoch dramatische Ereignisse ab.

Nachdem eine Entführung trotz Lösegeldzahlung in einem Mord endet, möchte der älteste Sohn Alejandro (Juan Pedro Lanzani), der von seinem Vater als Lockvogel eingesetzt wird, aus dem Familiengeschäft aussteigen. Trotz seiner Zweifel, die ihm zum Außenseiter der Familie machen, hält er dem Druck seines Vaters nicht stand. Während Arquímedes seine Söhne in die Geschäfte einbeziehen möchte, hält er seine Töchter von diesen fern. Dass sich etwas im Familienhaus abspielt, bleibt jedoch auch diesen nicht gänzlich verborgen. Uneingeschränkte Unterstützung erhält Arquímedes durch seine Ehefrau Epifanía (Lili Popovich), die zwar unscheinbar wirkt, jedoch ebenfalls eine zentrale Rolle spielt. Das blutige Familiengeschäft scheint ganz nach dem Plan des Familienoberhauptes Arquímedes aufzugehen, bis eine letzte Entführung der Familie zum Verhängnis wird.

El Clan ist ein argentinischer Kriminalfilm, der auf einem wahren Fall aus Buenos Aires beruht. Die Normalität und die Brutalität, die in dem Film nebeneinander herrschen, wirken sehr erschreckend. Während sich im Wohnzimmer das harmonische Familienleben abspielt, eröffnet sich im Keller und anderen Räumlichkeiten des Hauses eine andere Welt. Hier werden die Entführungsopfer festgehalten und gefoltert. Diese Ambivalenz wird in einer Szene besonders deutlich. Arquímedes wird von der Kamera begleitet: In der Küche hält er sich mit seiner Frau auf, die gerade das Abendessen zubereitet. Ein zusätzlicher Teller wird für das Opfer vorbereitet. Mit diesem Teller läuft er weiter über das belebte Wohnzimmer in die obere Etage, am Zimmer seiner Tochter vorbei, die er darüber informiert, dass das Essen gleich fertig sei. Einige Räume weiter öffnet er die verriegelte Tür, hinter der sich angekettet ein Entführungsopfer befindet, dem ein Stoffbeutel über den Kopf gezogen wurde.

Brutale Szenen werden durch den Film hinweg mit heiterer Musik untermalen, was ebenfalls ziemlich verstörend wirkt, jedoch nicht verwunderlich ist. Schließlich behandelt der Film El Clan die Familiengeschichte der Puccios und somit die Sicht der Familie. Besonders tragisch kommt zum Vorschein, dass das Leben der Opfer für Arquímedes keinerlei Wert besitzt. Es sind keine Menschen, sondern lediglich Fallnummern in seinen Geschäftsakten.

Historisch lässt sich El Clan in die Übergangszeit von der Militärdiktatur zur Demokratisierung  Argentiniens einordnen, da die Handlung in den Jahren 1982 bis 1985 spielt. Die argentinische Militärdiktatur forderte von 1976 bis 1983 nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen ca. 30.000 Todesopfer, es kam währenddessen zu unzähligen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Darunter Geheimgefangenenlager, Kindsraub und Zwangsadoption, Entführungen und Ermordungen.3 Die anhaltende Wirtschaftskrise, die ganz Argentinien traf und der verlorene Falklandkrieg leiteten 1982 letztendlich das Ende der argentinischen Militärdiktatur ein4. Der historische Kontext wird in dem Film an vielen Stellen deutlich. Arquímedes verlor als Teil des argentinischen Überwachungsapparates seine Arbeit, als es zum Ende der Militärdiktatur kam. In dieser Übergangszeit entstand ein Machtvakuum, das letztendlich ein solches Geschäftsmodell wie das der Puccios ermöglichte. Durch weitere Einblendungen von beispielsweise politischen Reden findet im gesamten Filmverlauf eine historische Einordnung des Films El Clan statt.

Der Filmregisseur Pablo Trapero gewann 2015 mit seinem Film El Clan auf den Internationalen Filmfestspielen von Venedig einen silbernen Löwen für die beste Regie5 und 2016 den Goya, einen spanischen Filmpreis, in der Kategorie bester iberoamerikanischer Film6. Trapero gilt als einer der größten und kreativsten Filmschaffenden des lateinamerikanischen Kinos. Er wurde am 4. Oktober 1971 in San Justo, Argentinien geboren und erlebte die argentinische Militärdiktatur somit als Kind im Alter von vier bis zwölf Jahren mit.7 In den 1980er-Jahren, als Trapero gerade im Teenageralter war, sorgte der Puccio-Fall für viel Aufsehen in Argentinien. Es lässt sich somit vermuten, dass die eigene Betroffenheit Traperos zu dieser Filmidee und schließlich zur Umsetzung beigetragen hat.

Mit seinem Film El Clan stellt Trapero auf besonders guter Weise dar, wie erschreckend einfach der Puccio-Clan in den letzten Zügen der Militärdiktatur und auf dem Weg in die Demokratie unter Ausnutzung eines Machtvakuums ihre mörderischen Taten umsetzen konnte. Ein Kinobesuch lohnt sich für alle Thriller- und Truecrime-Liebhaber:innen. Begebt euch auf eine Reise in die Vergangenheit und taucht ein in eine dunkle Zeit Argentiniens.
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1 Trapero, Pablo: El Clan, Argentinien 2015, 0:02:28.
2 Ebd., 0:02:56-0:03:01.
3 Safatle, Pilar: Argentinische Militärdiktatur. Schatten der Vergangenheit, online in: https://taz.de/Argentinische-Militaerdiktatur/!5895061/, 2022 (Stand: 31.01.2023).
4 Bundeszentrale für politische Bildung: Vor 40 Jahren: Beginn der Militärdiktatur in Argentinien, online in: https://www.bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-aktuell/223408/vor-40-jahren-beginn-der-militaerdiktatur-in-argentinien/, 2016 (Stand: 31.01.2023).
5 Enz, Andrea: Pablo Trapero Biography, online in: https://www.imdb.com/name/nm0871086/bio?ref_=nm_ov_bio_sm (Stand: 31.01.2023).
6 Academia de cine: Premios Goya 2016, online in: https://www.premiosgoya.com/pelicula/el-clan/, 2016 (Stand: 31.01.2023).
7 Enz, Andrea: Pablo Trapero Biography, online in: https://www.imdb.com/name/nm0871086/bio?ref_=nm_ov_bio_sm (Stand: 31.01.2023).