Unter dem Titel“La batalla de Chile: La lucha de un pueblo sin armas“[1] hat der Filmemacher Patricio Guzmán eine dreiteilige Dokumentation produziert: “La Batalla de Chile: La Insurrección de la burguesia”[2] (1975), “La Batalla de Chile: El golpe de estado”[3] (1976), “La Batalla de Chile: El poder popular”[4] (1979). Diese Trilogie umfasst die Geschichte der Konterrevolution gegen die Regierung von Salvador Allende in Chile, den Putsch der Militärs im Jahr 1973 sowie die damit verbundenen politischen Unruhen in diesem Jahr. Obwohl die Teile der Dokumentation 1975 und 1976 den Grand Prix auf dem Internationalen Filmfestival von Grenoble gewannen, blieben sie dennoch unter der Militärdiktatur verboten. Doch nach Jahrzehnten der faschistischen Herrschaft in Chile kehrt Patricio Guzmán zurück und veröffentlicht 1997 „Chile, la memoria obstinada“[5] in seinem Heimatland. In dieser Dokumentation reflektiert Guzmán über die Trilogie und filmt seine Heimkehr nach Chile. Er verknüpft darin mehrere Ziele: erstens will er seine Dokumentationen den Chilenen zeigen, die bis dahin noch keinen Teil sehen konnten. Zweitens möchte er zeitgleich die Reaktionen der ZuschauerInnen auf diese zerstörenden Bilder und Informationen dokumentieren und sie miteinander über diese gemeinsame, traumatische Vergangenheit Chiles ins Gespräch bringen.

Guzmán verwendet eine Vielzahl von filmischen Mitteln, um das Thema darzustellen, wie z. B. Rohaufnahmen, Schwarz-Weiß-Aufnahmen, Interviews und seine eigene Erzählung. Er verwendet hauptsächlich Interviewmaterial kombiniert mit aktuellen und alten Filmaufnahmen über Chile.

In „Chile, la memoria obstinada“ ist Guzmán entschlossen, die Erinnerung an den Sturz Allendes und sein politisches Vermächtnis über verschiedene Generationen von Chilenen hinweg im Bewusstsein zu halten. „Chile, la memoria obstinada“ sucht gezielt Chilenen auf, die den Putsch hautnah miterlebt haben (einige von ihnen sind in „La batalla de Chile“ zu sehen), sowie junge Chilenen, die während der Diktatur aufgewachsen sind. Der Film ist besonders dadurch gekennzeichnet, dass er die Reaktionen auf die einst verbotene Trilogie dokumentiert. Dazu werden auch Interviews mit Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund und Verbindungen zum Filmemacher sowie einige Ausschnitte aus der Trilogie gezeigt.

Der Film beginnt mit Schwarzweißaufnahmen über den Angriff auf den Präsidentenpalast – die Moneda – der zentrale Schauplatz am 11. September 1973, gefolgt von einem Interview mit Juan, einem der Kämpfer, die den Präsidentenpalast La Moneda verteidigten und überlebt haben. Juan war auch einer der anonymen Menschen, die Guzmán gefilmt hat, als er „La batalla de Chile“ drehte. In „Chile, la memoria obstinada“ nutzt Guzmán die Kraft der „schwarz-weiß“ Darstellung, in dem er den Szenen des Militärputsches alle Farbe entzieht und damit den Schockzustand unterstreicht, in den der Putsch das Land und seine Menschen versetzt hat.

Begleitend interviewt Guzmán Ernesto Malbran (Professor und Hauptinterviewpartner), Ignacio Valenzuela (Guzmáns Onkel), Alvaro Undurraga (Arzt) und Pablo Perelman (Filmemacher). Zusammen beleuchten sie die verdrängten Erinnerungen und die Schwierigkeit, über ihre Traumata zu sprechen – sie überhaupt zuzulassen.

Guzmán stellt die Rolle der Erinnerungen an den Staatsstreich und die Militärdiktatur in den Mittelpunkt des Dokumentarfilms und stellt fest, dass viele Chilenen ihre erlebten Tragödien verdrängt haben. Gemeinsam mit Allendes MitstreiterInnen blickt der Regisseur auf Ausschnitte aus seiner Trilogie und betrachtet Originalfilmmaterial aus der Zeit des Putsches. Der Film wechselt zu Szenen, in denen Guzmán einer Gruppe von älteren Chilenen Aufnahmen aus der Zeit kurz vor und während des Putsches zeigt. Er fordert sie auf, die abgebildeten Personen zu identifizieren und wenn möglich zu berichten, was mit ihnen geschehen ist. Die Überlebenden erinnern sich beim Betrachten des Films an die ehemaligen MitstreiterInnen, an ihren Mut, ihre Fröhlichkeit und ihre Lebensfreude. Diejenigen, die nicht sofort während des Putsches gewaltsam starben, wurden in das Nationalstadion in Santiago gedrängt. Viele von ihnen wurden gefoltert, verschwanden und wurden nie wieder gesehen. Die BetrachterInnen erkennen sich selbst oft in den Schwarz-Weiß-Szenen wieder und entdecken immer wieder auch FreundInnen oder Familienmitglieder, die „verschwunden“ sind. Der Film erinnert zum Beispiel an den Kameramann von „La batalla de Chile“, Jorge Muller Silva, der ebenfalls verhaftet und im Folterlager Villa Grimaldi interniert wurde und im Alter von 27 Jahren spurlos verschwand. Die Überlebenden berichten ebenfalls über den Terror, der das Pinochet-Regime prägte, bis der Diktator schließlich gezwungen war, die Macht abzugeben.

Der Dokumentarfilm thematisiert auch die Art und Weise, wie die Erinnerung an den Putsch von den verschiedenen Generationen verarbeitet wird. Dabei zeigt Guzmán besonders die Besorgnis der älteren Generation über die historische Erinnerung an den Putsch auf. Professor Ernesto Malbran erklärt: „Was mich in diesem Land schockiert und beunruhigt, ist, dass uns eine falsche Version der Realität vermittelt wird. Dies vermittelt den jüngeren Generationen einen falschen Eindruck von der Realität“. „Chile, la memoria obstinada“ schafft eine konstruktive Spannung zwischen der älteren Generation, die die Entstehung und brutale Zerstörung einer demokratischen Volksbewegung miterlebt hat, und der jüngeren Generation, der vermittelt wurde, dass die Zerstörung dieser Bewegung notwendig war, um Chile vor Chaos und Kommunismus zu retten.

Für die ältere Generation verkörperte Allende ihre Hoffnung auf eine bessere, gerechtere Zukunft. Professor Malbran, dessen Leidenschaft für sein Land in allen Worten spürbar wird, erklärt: „die Volksunion war ein Schiff von Träumern, das von einem kollektiven Traum angetrieben wurde, der auf Grund gelaufen ist. Der Traum war es, das ganze Land mitzunehmen und zu vereinen. Es war ein Traum von Gerechtigkeit. (…). Es war ein nobler Traum“. Die meisten jüngeren Menschen, die während der Zeit der Diktatur geboren wurden, haben keine Vorstellung bezüglich dieser Vergangenheit und kennen nur die offizielle Version der Geschichte. Guzmán ergänzt, dass „23 Jahre Zensur und Selbstzensur dazu geführt haben, dass die meisten jungen Chilenen in Ignoranz aufgewachsen sind.“ Dies wird durch Filmaufnahmen von jungen Menschen unterstrichen, die über den Putsch diskutieren, wobei einige behaupten, der Putsch sei notwendig gewesen. Eine Studentin argumentiert, dass „das Töten den wirtschaftlichen Fortschritt nicht rechtfertigt“, während ein Student äußert, dass die Menschen weniger gelitten haben, als behauptet werde. Eine andere Studentin erklärt dagegen, dass „alle Standpunkte bezüglich der historischen Realität gültig sind und dazu beitragen, die Geschichte eines Landes aufzubauen. Es steht uns nicht zu, auf die Fehler hinzuweisen, denn das ist sinnlos. (…)“. Neben solchen Kommentaren enthält der Film auch Interviews mit Menschen, deren Familien nach dem Militärputsch „verschwunden“ sind, wie Carmen Vivanco. Guzmán interviewt auch Personen, die eng mit Allende zusammengearbeitet haben, wie zum Beispiel Helena.

Auch Hortensia Bassi kommt zu Wort, Allendes Witwe, die 17 Jahre auf eine würdige Beerdigung ihres Mannes warten musste. Denn erst nach dem Ende der chilenischen Militärdiktatur wurde Allendes Leichnam von Valparaiso, wo er nach dem Putsch unter Ausschluss der Öffentlichkeit bestattet worden war, nach Santiago de Chile transferiert und auf dem Hauptfriedhof offiziell beigesetzt. Sie berichtet vor allem über ihren Schmerz und den Verlust nicht nur eines geliebten Menschen, sondern auch all ihrer persönlichen Erinnerungsstücke und Besitztümer. Sie bringt zum Ausdruck, dass sie ihren Enkelkindern niemals etwas wird schenken können, das einst ihrem Großvater gehörte. Guzmán beleuchtet hier das Leiden von Allendes Witwe, das durch den Putsch ausgelöst wurde und ihren Wunsch, die Ereignisse aus Selbstschutzgründen zu vergessen. Durch Interviews mit Menschen, die den Wert des Erinnerns und der Aufklärung der jungen Generation betonen, und mit Menschen (wie zum Beispiel Allendes Witwe Hortensia Bassi), die die traumatischen Ereignisse des Putsches und der darauffolgenden Zeit vergessen wollen, zeigt der Filmemacher beide Seiten der Medaille im Hinblick auf die Erinnerung an den Putsch und die Militärdiktatur.

In dem Film werden auch Szenen gezeigt, in denen Guzmáns Onkel versucht, Beethovens Mondscheinsonate mit seinen 80-jährigen Fingern und seinem nachlassenden Gedächtnis zu spielen, was dem ganzen Film eine besondere Farbe verleiht. Es unterstreicht den Ton des Films und die vermittelten Emotionen, die in gewisser Weise getrübt und unsicher sind – wie das kollektive Gedächtnis von Chile selbst.

Der Film baut sich zu einem ausdrucksstarken Höhepunkt auf, als Guzmán seinen Film einer Gruppe junger Studenten zeigt, die schockiert und überwältigt sind von der ersten Konfrontation mit der Geschichte, die ihnen vorenthalten wurde. Der Filmemacher füllt die Stille nach den Abspannszenen des Films nicht aus, doch die Stille spricht hier lauter als Worte und Guzmán nutzt sie als mächtiges Instrument, um die Auswirkungen des Filmmaterials auf die Studierenden zu verdeutlichen. Die Emotionen und Gespräche danach sind intensiv und bedeutungsvoll. Sie liefern ein eindrucksvolles Beispiel dafür, mit welchen Mitteln Dokumentarfilme eine Veränderung herbeiführen und welche Wirkung sie haben können. Einige Studenten brachten zum Ausdruck, wie stolz sie auf ihr Volk sind und dass sie nicht verstehen, wie Menschen so barbarisch sein können. Ein entsetzter Student erklärt: „Ich habe aufgehört, an irgendetwas zu glauben. An den Menschen, an militärische Macht, an alles. Ich glaube nicht mehr daran. Die Diktatur hat mir dieses Vertrauen genommen“.

Zum Abschluss des Films spricht Professor Malbran direkt in die Kamera und zu den Zuschauern der Dokumentation. Er appelliert an die älteren Chilenen, sich bereit zu erklären, die Erinnerung wach zu halten, lebende Zeugen zu sein für die jungen Menschen, die überall nach etwas suchen, an dem sie sich festhalten können. Um die jüngere Generation zu ermutigen, versucht der Professor, die Ereignisse des Putsches in einem Bildvergleich fassbarer zu machen und betont, dass „die jüngeren Generationen wissen sollten, dass der Putsch kein Schiffbruch war, sondern ein kleines Erdbeben, nicht mehr und nicht weniger“.

„Chile, la memoria obstinada“ ist einer der ausdrucksstärksten und aussagekräftigsten Filme von Guzmán. Die Aufnahmen sind sehr persönlich, facettenreich und nachdenklich. Besonders auffällig ist hier, dass der Filmemacher die Aufnahmen nicht wie in seinen späteren Werken narrativ kommentiert, was eines seiner Markenzeichen ist. Denn in seinen späteren Dokumentarfilmen, wie z.B. „La cordillère des songes“, werden die Interviews und das Filmmaterial von seinen eigenen Erzählungen und persönlichen Erfahrungen begleitet. In „Chile, la memoria obstinada“ hingegen kommentiert Guzmán das Filmmaterial und die Szenen kaum. Stattdessen lässt er das Filmmaterial für sich selbst sprechen und beleuchtet die Erfahrungen und Empfindungen verschiedener Menschen unterschiedlichen Alters. Doch in jeder Zeitlupenaufnahme, jeder Nahaufnahme und jeder Stille spürt man seine selbst auferlegte emotionale Zurückhaltung und gleichzeitig seine enge Verbundenheit mit dem Land und seinen Menschen.

Der Dokumentarfilm thematisiert aber auch die Herausforderungen der sozialen Rekonstruktion im heutigen Chile. Der Film verknüpft persönliche Geschichten über Mut und Widerstand gegen den Putsch mit den Vorstellungen älterer Generationen über die Bedeutung der Erinnerung. Zudem betont der Film die Auswirkungen der Zensur und der Bemühungen, die Geschichte zu unterdrücken, auf die jüngeren Generationen, die mit diesen traumatischen Erfahrungen in der chilenischen Geschichte ihr Leben und ihre Zukunft gestalten müssen.

Vor allem aber unterstreicht der Film die Notwendigkeit einer kollektiven Vergangenheitsbewältigung und die Bedeutung lebender Zeugen für die Erinnerung an die Vergangenheit. Guzmán beleuchtet hierbei die Auswirkungen historischer Auslöschungen, die in der Stille ebenso mächtig sind wie in der Sprache. „Chile, la memoria obstinada“ ermutigt ebenfalls die älteren Generationen, für die jüngeren Generationen da zu sein und ihnen ein wahres Bild der Realität zu vermitteln. Das düstere und doch ruhige Ende des Films sowie das Klavierspiel im Hintergrund, als Guzmáns Onkel das Bild verlässt, dienen als Illustration und Aufforderung an alle BetrachterInnen, über die Schwierigkeiten der Erinnerung an die chilenische Geschichte sowie die mit der Vergangenheit verbundenen sozialen Unstimmigkeiten nachzudenken, die immer noch außerhalb des Bildrahmens ihre Wirkung haben. Schließlich drängt sich hierbei eine Frage auf: Was passiert, wenn die Erinnerung an die Vergangenheit ausgelöscht wird, aber die Vergangenheit zugleich der Gegenwart ihre Prägung gibt?

[1] Die Schlacht um Chile: Der Kampf eines unbewaffneten Volkes

[2]  Der Aufstand der Bourgeoisie

[3] Der Staatsstreich

[4] Die Macht des Volkes

[5] Chile, Widerspenstige Erinnerungen