Film: Heli
2013, Mexiko, 105 Minuten
Regie: Amat Escalante
Drehbuch: Amat Escalante, Gabriel Reyes

Eine Filmkritik von Karina Zander



Ein blutverschmiertes Gesicht eines jungen Mannes, dessen Mund fixiert ist, wird von einem Stiefel an der Wange runtergedrückt. Neben ihm liegt ein weiterer junger Mann fast komplett entkleidet in Bauchlage. Sein Rücken weist zahlreiche Verletzungen auf. Die Kamera schwenkt langsam an den Körpern der Gefesselten vorbei, die sich auf der offenen Ladefläche eines Pick-Ups befinden. Am helllichten Tag werden die beiden Opfer abtransportiert. Nach einigen Minuten hängt eines der beiden Opfer tot an einer Brücke, während die andere Person schwerverletzt an derselben Brücke ausgesetzt wird. Im Laufe des Films erfährt man, dass es sich hier um Beto (Juan Eduardo Palacios) und Heli (Armando Espitia) handelt.
Nach dieser tragischen Eröffnungsszene wird eines klar: Wenn die ersten Minuten des Films so brutal sind, wird der Rest sicherlich auch schwer anzuschauen sein. Diese Vermutung bestätigt sich, denn es eröffnet sich eine Welt voller Brutalität, Willkür und Korruption.

Heli, der Protagonist des Films, ist ein junger Familienvater, der zusammen mit seiner Ehefrau, seinem Baby, seinem Vater und seiner kleinen Schwester Estela (Andrea Vergara) in Guana­juato, Mexiko in ärmlichen Verhältnissen lebt. Seinen Lebensunterhalt verdient Heli in einer Automobilfabrik, auch sein Vater geht einer Arbeit nach. Die zwölfjährige Estela besucht die Schule, während Helis Ehefrau zu Hause ist, das Baby versorgt und sich um den Haushalt kümmert.
Estela hat einen heimlichen Freund, den siebzehnjährigen Beto, einen Polizeikadetten. Dieser möchte das junge Mädchen heiraten und versteckt daher zwei Pakete Kokain, die er zuvor gestohlen hat, auf dem Dach von Estelas Familie. Sein Vorhaben ist es, die Drogen zu verkaufen, um so die Hochzeit finanzieren zu können. Damit setzt er nicht nur sich selbst, sondern auch Estela und ihre Familie einer gewaltigen Gefahr aus. Heli findet zufällig heraus, dass sich Kokain auf dem Dach befindet und entsorgt dies in der Hoffnung, dass es unbemerkt bleibt. Jedoch längst zu spät, am Nachmittag platzt das Drogenkartell und eine Sondereinheit der Polizei in das Haus der Familie und beginnt wahllos um sich zu schießen. Die Familie als auch Beto werden entführt und nicht jeder wird diese Tragödie überleben.

Der Film Heli ist nichts für schwache Nerven, denn die rohe Gewalt ist erschreckend. Die Folterszenen erstrecken sich über einen langen Zeitraum, in denen beispielsweise auf die Opfer mit Holzschlägern eingeschlagen oder das Geschlechtsteil mit Benzin übergossen und angezündet wird. Die Folterungen finden in Privatwohnungen statt, wo sich ebenfalls Kinder befinden, die zum Mitfoltern ermutigt werden. Mitwissende, wie beispielsweise die Mutter eines Peinigers, sind dazu verdammt, dem Ganzen tatenlos zuzuschauen.
Die Polizei und das Militär sind in die Drogengeschäfte der Drogenkartelle verwickelt, sodass die Stimmung erzeugt wird, niemandem trauen zu können. Die Drogenkartelle haben schon lange die Macht übernommen und agieren wie ein Staat im Staat, dem nichts und niemand etwas anhaben kann. Die staatliche Gewalt in Guana­juato scheint ausgehebelt zu sein.
Durch den gesamten Film zieht sich eine triste Stimmung, die die Hoffnungslosigkeit der Bevölkerung in Zentralmexiko unterstreicht. Jeder kann zum Opfer der Drogenkartelle werden, selbst wenn man wie Heli versucht, sich strikt aus allem rauszuhalten.

Historisch lässt sich der Film Heli im Kontext des seit Dezember 2006 vorherrschenden Drogenkriegs in Mexiko einordnen, welcher schon zahlreiche Todesopfer mit sich brachte. Hierbei handelt es sich um einen bewaffneten Konflikt, an dem mehrere Konfliktparteien beteiligt sind. Auf der einen Seite stehen der Staat und die mexikanische Bevölkerung, auf der anderen Seite die Drogenkartelle, die sich zusätzlich untereinander bekriegen. Mit stetiger Zunahme der Drogenkartelle sind immer mehr Landesteile Mexikos unter der Kontrolle des organisierten Verbrechens, in denen die staatliche Gewalt faktisch außer Kraft gesetzt ist. Ein weiteres Problem seitens des Staats ist die Korruption, die im Film Heli deutlich zum Vorschein kommt. Insbesondere auf kommunaler Ebene sind Polizeibeamte schlecht ausgebildet und anfällig für Korruption. Aber auch hochrangige Politiker sind in den Drogengeschäften verwickelt, indem sie beispielsweise Schmiergelder annehmen.1 Zudem liegt die Straflosigkeit in Mexiko schätzungsweise bei etwa 98 Prozent, da Straftaten selten verfolgt werden.2

Der Filmregisseur Amat Escalante erhielt 2013 mit seinem Film Heli den Preis für die beste Regie auf dem Filmfestival von Cannes. Escalante wurde am 28.02.1979 in Barcelona geboren, wuchs jedoch in Guana­juato, Mexiko auf. Er studierte später Filmschnitt und Ton in Barcelona am Centro de Estudios Cinematograficos de Catalunya. Schon sein erster Kurzfilm Amarrados wurde mehrfach ausgezeichnet.3
Interessant ist hier vor allem, dass der Film Heli in Guana­juato spielt. Die Stadt, in der Escalante aufwuchs. Es lässt sich vermuten, dass er diese Stadt als Handlungsort wegen seiner eigenen Betroffenheit gewählt hat. In den vergangenen Jahren ist die Gewalt in Guanajuato enorm gestiegen und inzwischen gilt die Stadt als eine der gefährlichsten Mexikos. Im Jahre 2022 kam es zu vielen Ermordungen, die auf das Konto des organisierten Verbrechens gehen. Somit gewinnt sein Film Heli — fast zehn Jahre später — erneut an Bedeutung und macht auf die gewaltsamen Umstände in Mexiko aufmerksam.

Mit seinem Film Heli schafft Escalante es, die vorherrschende Perspektivlosigkeit, Korruption und Willkür in Mexiko zu beschreiben. Die Brutalität scheint ein integraler Bestandteil der Gesellschaft zu sein, zumindest in den Landesteilen Mexikos, in denen das Gewaltmonopol bei den Drogenkartellen liegt. Durch den Film wird deutlich, dass der Staat gegenüber den bewaffneten Gruppen nahezu macht- und hilflos ist. Ein Kinobesuch lohnt sich, um einen Einblick in diese Welt bekommen zu können. Der Film sollte jedoch von niemandem mit schwachen Nerven geschaut werden. Die Bilder können sehr verstörend wirken.
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1Bechle, Karsten: Mexiko, online in: https://www.bpb.de/themen/kriege-konflikte/dossier-kriege-konflikte/54652/mexiko/, 2020 (Stand: 16.12.2022).
2Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Politische Situation. Gefahren für die innere Sicherheit,
online in: https://www.bmz.de/de/laender/mexiko/politische-situation-10772
 (Stand: 16.12.2022).
3Wikipedia: Amat Escalante, online in: https://de.wikipedia.org/wiki/Amat_Escalante, 2022 (Stand: 16.12.2022).