2018 / 2h 15min / Mexiko, Kolumbien, Peru

Regie: /

von Efe Yar

Serien wie Breaking Bad oder Narcos liefern uns Zuschauern fiktionalisierte Geschichten über mexikanische Kartelle oder kolumbianische Drogenbosse. Durch solche Serien hat man die Chance Einblicke in Clans zu erhalten, welche mächtiger sind als manche Regierungen. Diese Serien spiegeln nicht die komplette Realität wider, „Inside the real Narcos“ aber schon. Die Fernsehserie und gleichzeitig auch Dokumentation hatte ihre Erstausstrahlung im August 2018 in England und vier Monate später ihre deutschsprachige Erstausstrahlung auf Netflix. Der ehemalige Special Forces-Soldat Jason Fox, welcher 20 Jahre in Afghanistan stationiert war, führt uns in dieser Dokumentation (3 Folgen jeweils ca. 45 min.) in den lateinamerikanischen Drogenhandel ein. Als Produktionsunternehmen hat Plum Pictures gewirkt. Ein sehr wichtiger Aspekt des Films ist die musikalische Untermalung, die von Wayne Roberts geschaffen wurde. Will Churchill und Craig Hastings waren für die großartige Kontrolle der Kameras zuständig.
Warum begibt sich aber überhaupt ein ehemaliger Special Forces-Soldat in das Gefilde der Narcos?
Fox möchte die Meinungen und Sichten der anderen Seite erfahren. Zudem
lernt er auch die Gründe kennen, warum diese Menschen sich diesem illegalen Geschäft widmen. Fox begibt sich in den drei Folgen in drei verschiedene Länder Lateinamerikas: Mexiko, Kolumbien und Peru. In Mexiko erlebt der Special Forces-Soldat eine Militärpatrouille und lernt einen Auftragskiller des Sinaloa-Kartells sowie einen Häftling kennen, der schon mit 12 Jahren zum Auftragskiller wurde. In Folge zwei reist Fox nach Kolumbien bei der er im Hafen von Buenaventura das globale Kokainschmuggelgeschäft der kolumbianischen Kartelle beleuchtet. Zudem trifft er sich auch mit einem ehemaligen führenden Vollstrecker Escobars: Jhon Jairo Velasquez Vasquez (alias Popeye). Die letzte Folge spielt sich in Peru ab. Im VRAEM-Gebiet (Hauptkokaanbauregion) der Anden floriert der Koka-Anbau. Jason Fox lernt einen Kokainkoch kennen und ist hautnah beim Kampf des Gesetzesvollzugs gegen die Drogen dabei. Neben den Narcos besucht Fox auch die Polizei sowie Marine und erfährt welche Schwierigkeiten auf sie, bei der Bekämpfung der Drogenkartelle, zukommen.

Die Episoden beginnen mit einer kurzen Preview, was die Zuschauer in der Episode erwarten können. Durch diese einminütigen Vorschauen hat der/die Beobachter/in die Möglichkeit sich ein Bild vom Thema zu machen. Besonders die Rückblenden, was mit Drogenbossen wie El Chapo oder Pablo Escobar passiert ist, geben dem/der Zuschauer/in mehr Aufklärung über das Thema des Drogenhandels. Diese prominenten Namen sind unter anderem Mitgründer der bis heute noch existierenden Narcos sowie des Sinaloa-Kartells. Die Erzählstruktur liefert zudem Nahaufnahmen, der Fokus liegt mehr auf den Narcos anstatt auf dem Special Forces-Agent. Die Kameraführung ermöglicht Blicke aus unterschiedlichsten Winkeln. Neben Nahaufnahmen schaut man die Serie dennoch überwiegend in Totalaufnahmen. Ein geeignetes Beispiel liefert hierfür das erste Treffen von Fox mit einem Auftragskiller des Sinaloa-Kartells. Der Winkel der Kamera ist so aufgestellt als würde man als Zuschauer/in neben Fox und dem Auftragskiller sitzen. Dies gibt dem/der Zuschauer/in die Möglichkeit eine nähere Bindung mit den Personen in der Dokumentation aufzubauen. Auf Weitwinkel wird selten gewechselt, z.B. bei der Sichtung von Militärhubschraubern. Die Weitwinkelsequenzen sind sehr kurzgehalten, sodass man kaum das Gefühl hat, man würde sich vom inhaltlichen Geschehen distanzieren (Fokus liegt immer wieder bei dem Gespräch zwischen Fox und den Narcos). Vergleicht man die drei Aufnahmevariationen der Kamera, kann man durchaus sagen, dass die Total- und Nahaufnahmen mehr Informationen liefern und zudem auch den Sachverhalt deutlicher machen. Die Kamera im Weitwinkel gibt nur Informationen über allgemeine Abläufe wie eine Hubschraubersichtung oder Kinderspielplätze.
Schnitttechnisch liefert „Inside the Narcos“ viele Rückblenden und Einblenden zur Vergangenheit und Aktualität Lateinamerikas in Bezug auf Kriminelle. Diese Rückblenden geben beim Zuschauen die Möglichkeit, damals mit heute in Kontrast ziehen zu können und auch zu vergleichen. Meistens sind die Szenen aber One-Takes. Wenn es aber Schnitte gibt, dann sind es meist fließende Übergänge und keine plötzlichen Szenenwechsel. Die Schnitte erlauben es dem/der Zuschauenden sich im schwierigen Leben der Narcos einzufinden, nicht unbedingt, um sich mit ihnen zu identifizieren, viel mehr den Gedanken dahinter zu verstehen, wieso man den Narcos beitritt und diesem Job nachgeht. Bei vielen Serien, welche in dem Fall nicht der Realität entsprechen, gibt es viele Schnitte und Einblenden um den/die Zuschauenden an die Serie zu fesseln.
Bei „Inside the Narcos“ hat man durch die wenigen Schnitte mehr das Gefühl man würde die Dokumentation erleben als sich durch Spannung daran zu binden. Daneben führt der Special Forces-Soldat auch oft Gespräche über seine Eindrücke und Empfinden bezüglich der verschiedenen Ereignisse, welche ihn in seiner Reise in Lateinamerika konfrontieren. Diese Eindrücke lassen dem/der Betrachter/in im Laufe der Doku ein besseres Verhältnis zu Fox aufbauen, da er seine persönliche Meinung preisgibt.

Die Farbgebung ist nicht wie in vielen bekannten lateinamerikanischen Serien in Wüstenfarben gehalten, sondern der Kontrast ist stark und die zusehenden Farben sind kräftig. Die Farben sind sehr natürlich gehalten und sehen nicht so aus als wären sie digital nachbearbeitet. Mit dunklen Farben wurde kaum bis gar nicht gearbeitet. Dies hat einen bestimmten Grund: Realität. Die Regisseure hätten die Doku noch spannender wirken lassen können als sie schon zu sein scheint, aber das ist nicht der Gedanke hinter dieser Verfilmung. Viel mehr soll alles so echt und original wie möglich nähergebracht werden. Würden nachbearbeitete Farben eingesetzt werden, hätte sich der Filmtitel „Inside the real Narcos“ widersprochen. Die erstaunlichste Szene ist in Acapulco (Mexiko). Es gibt zwar keine Blutszenen jedoch sieht man zerstückelte Leichen, welche die Serie zu einer FSK 18 Serie machen. Fox ist bei diesem Vorfall nicht nur erstaunt – ein Special Forces-Soldat, der im Afghanistankrieg mitgewirkt hat – er bemerkt auch wie die Polizisten sich schwertun mit der Situation umzugehen. Dennoch bleibt Fox gelassen und beruhigt seinen Kameramann. Er erklärt ihm was passiert sein könnte und zeigt kaum Angst, dass es gegebenenfalls zu einer Schießerei kommt. Am Ende der ersten Folge wird Fox mit einem Vorfall in der Stadt konfrontiert in der Polizisten Schüssen nachgehen und die zerstückelte Leiche vorfinden. Klar ist, dass diese Situationen keine Inszenierungen sind, einem wird schwarz vor Augen und die Hände werden ganz kalt mit einem echten Krieg zwischen Terror und Miliz konfrontiert zu werden.

Mit welchem Narcos Fox verteilt auf alle drei Folgen auch sprach, alle kamen maskiert mit Bandanas und verdeckten ihr gesamtes Gesicht bis auf ihre Augen. Die Farben ihrer Kleidung waren meistens dunkelorientiert, einfarbig und dadurch unauffällig bzw. nicht auf das Auge stechend. Fox hat sich wie ein normaler Zivilist bekleidet, meist mit schwarzem T-Shirt und schwarzer Hose. Die Requisiten waren auch natürlich gehalten, es gab keine fiktiven Inszenierungen. Anhand der Requisiten konnte man im Gegensatz zu anderen lateinamerikanischen Drogenserien feststellen, dass hier alles echt ist. Popeye hat in Folge zwei Fox seine Waffen gezeigt, die er bei Gelegenheit mit sich trägt. Man hat einen gestorbenen Menschen gesehen, der wirklich tot ist und nicht nur in einer Serie fiktiv stirbt. Zudem sieht man auch die Verstecke sowie Schauplätze der Narcos. Die Narcos produzieren ihre Drogen bei Nacht im Dschungel. Dabei lauert die Gefahr jederzeit erwischt werden zu können. Auch Fox war für eine Nacht im Dschungel mit einem der Narcos bei der Kokainproduktion dabei, für ihn muss es ein Adrenalinkick gewesen sein, da man als Zuschauer/in bereits mitgefiebert hat. Als Betrachter/in ist es schwierig zu beurteilen ob es sich wirklich lohnt sich einer derart gefährlichen Arbeit zu widmen. Bei dem kleinsten Fehler sei es bei der Produktion oder auch beim erwischt werden, sind die Kokainproduzenten aufgeschmissen. Diese Sequenz hat besonders für Aufregung und Dramatik gesorgt. Darüber hinaus gibt es auch Einblicke in Polizeistationen. Die Polizei bietet kaum breites Arsenal an Waffen oder Ausrüstung an. Die Polizisten sind meistens unerfahrene Lehrlinge. Es fehlt deutlich an militärischer Überzeugungskraft verglichen mit anderen Ländern (siehe Fox aus den USA).

Die Musik ist bei der Preview am lautesten, dramatisch sowie fesselnd und weckt dort bereits ein aufregendes Gefühl im Beobachter. Danach verläuft sie klangvoll im Hintergrund, nicht zu laut und nicht zu leise. Die Musik weckt in einem Neugierde und man kann sich darauf einstellen, mit Spannung konfrontiert zu werden. In Szenen, bei denen eine Konversation stattfindet, wirkt die Musik noch leiser und hilft beim Zuhören sich auf den Inhalt des Sprechenden zu fokussieren. Wenn die Narcos über ihre Taten sprechen kommt totale Stille, dem Zuschauenden wird dadurch noch mehr bewusst, dass dies etwas Ernstes ist. In Zwischensequenzen wirkt sie wieder lauter und begleitender. Bei Begegnungen mit neuen Personen oder Objekten hört man eine interessensweckende Melodie heraus. Besonders aufgefallen ist dies beim Besuch von Fox bei der Marine in Kolumbien. Fox wurden selbstgebaute U-Boote gezeigt, mit denen die Drogenkartelle ihre Drogen unauffällig verschiffen wollten. Die Dokumentationsserie ist sehr unterhaltsam und informativ. Sie liefert nennenswerte Einsichten in das Leben der Narcos und bringt dem/der Zuschauenden ihre Beweggründe näher. Der Inhalt ist echt und stellt keine Bedenken auf, ob der Vorfall wirklich geschehen ist oder nicht. Die Einbindung in das Sinaloa-Kartell z.B. ist extrem gefährlich, aber Fox‘ militärische Erfahrung macht ihn zum richtigen Mann dafür; er zeigt eine gewisse Beklommenheit, fühlt sich aber wohl genug, um zu wissen, was er tun kann und was er nicht tun sollte, damit er und sein Kameramann nicht erschossen werden.

Es gibt für drei Folgen sehr viel Input und wenig Nebensächliches, welches die geschauten 2 Stunden 15 Minuten sehr schnell ablaufen gelassen haben. Insgesamt hat „Inside the real Narcos“ ein gutes Bild hinterlassen. Der/die Zuschauer/in bekommt einen Einblick in das echte Leben der Drogenbosse und auch wie die Polizei damit umgeht. Die Serie liefert eine gute Mischung aus Figurencharakterisierung, Handlung, Hintergründen und Action. Wer sich mit dem Thema echten Drogenhandel oder echter allgemeiner Kriminalität in Lateinamerika auseinandersetzen möchte kriegt eine Empfehlung von mir. Abgesehen davon kann man auch Neueinsteigern „Inside the real Narcos“ empfehlen, man wird aufgeklärt und lernt auch die Vergangenheit des Drogenhandels kennen. Mit Jason Fox ist auch eine in die Rolle passende Person gefunden worden.
Dennoch gibt es auch in dem Aspekt Fox Fragen, welche man sich
stellen könnte: Wieso ausgerechnet ein Soldat als Hauptdarsteller? Wieso ist es ein US? Soldat? Soll die USA in dieser Dokumentation wieder als „das gute Land“ dastehen, welches von den „bösen“ Latinos berichtet?
In der Unterhaltung zwischen Fox und
Popeye lieferte Popeye folgende Aussage: „Unsere Positionen sind verschieden. Wir sind beide Killer, aber du hast es legal gemacht, für die Regierung, ich hingegen habe es illegal getan, aus liebe zu einer kriminellen Vereinigung, du aus Liebe zu deinem Land.“