Filmkritik zu Und der Zukunft zugewandt
Marina Wahl
„Und der Zukunft zugewandt“ ist ein Werk, welches auf Gesprächen und Berichten von Zeitzeugen beruht. Es handelt sich um eine Leidensgeschichte einer jungen Mutter – einer Kommunistin – die zu Zeiten des Nazi-Regimes in die Sowjetunion geflohen war. Der Film setzt im Jahr 1952 an. Im Fokus der Handlung steht die Frau Antonia Berger (gespielt von: Alexandra Maria Lara). Zu Beginn wird dem Zuschauer ihr Leiden in den Arbeitslagern der Sowjetunion bewusst, in dem die Handlung mit der Erschießung ihres Mannes beginnt. Es gibt einen Sprung in die DDR. Antonia und zwei ihrer Freundinnen werden zurück in die DDR geholt. Fort an sollen sie ihr Leben dort verbringen. Jedoch ist eine Bedingung für ihre neu gewonnene Freiheit die Verschwiegenheit über ihre erlittenen Leiden. Es würde die DDR nicht überstehen, wenn die Wahrheit publik werden würde – so wird es ihnen von einem Vertreter der DDR erklärt. Der Film folgt Antonias wieder Eingliederung in die Gesellschaft und auch, wie schwer ihr und den beiden anderen Damen das Schweigen über die Grausamkeiten der Kommunistin in der Sowjetunion fällt.
Der Film ist mit seinen 108 Minuten ein durchschnittlicher langer Film. Die Länge des Werks ist seine größte Schwachstelle und seine größte Waffe: Mit zwei Zeitsprüngen, direkt zum Mauerfall, die im ersten Moment als überflüssig erscheinen, wird die Handlung aufgebrochen. Und doch – es bleibt die Frage über den Film hinweg: Wohin soll die Geschichte gehen? Wann endet diese Tortour, die in diesem Moment begleitet wird? Endet es erst mit dem Mauerfall? Im ersten Moment wirkt der Film zu lange – doch die Spielzeit wird hier klar als ein Stilmittel eingesetzt. Es handelt sich um keine Willkür, um keinen Schnittfehler – sondern um eine bewusste Einsetzung des eigenen Zeitgefühls. Der Zuschauer wird in die Position von Antonia Berger versetzt: Wohin soll mein Weg gehen? Wann endet meine Tortour, die ich in diesem Moment durchleben muss? Wann endet mein Schweigen? Der Zuschauer soll sich bewusst, die gleichen Fragen stellen, die sich der Charakter mutmaßlich selbst gestellt haben könnte.
Ebenso intelligent wird das Schweigen dem Zuschauer vor Augen geführt. Antonia Berger ist eine schweigsame Persönlichkeit – häufig werden Fragen in den Raum gestellt, auf die sie keine Antwort gibt und es ändert nichts an den Handlungen des Fragenden. Das auferlegte Schweigen wird visualisiert. Durch die genutzten Sprünge innerhalb der Zeitlinie, zum Mauerfall, wird noch etwas verdeutlicht: Das Schweigen hat für Antonia Berger nie aufgehört. Sie hat zu lange gekämpft, als dass sie den Kommunismus aufgeben könnte.
Innerhalb des Werks wird sich auf einen kleinen Cast beschränkt. Viele Darsteller sind im Hintergrund zu sehen, doch wiederkehrend sind nur die Personen um Antonia herum. Der Arzt Konrad (gespielt von: Robert Stadlober) nimmt die zweite Hauptrolle in dem Film ein. Durch diesen sehr überschaubaren immer wiederkehrenden und namentlich erwähnten Cast fällt es dem Zuschauer leichter, die verschiedenen Zusammenhänge und Verknüpfungen zu verstehen. Trotz dieses kleinen Cast ist es in den ersten Minuten schwierig der Handlung zu folgen – die Momente, in denen keine Namen benutzt werden. In denen verschwimmen die Gesichter – das Leid soll in diesen anfänglichen Minuten nicht auf Antonia Berger beschränkt werden – sondern es wird verdeutlicht, dass das folgende Schicksal, welches verfolgt wird, nur eines von vielen ist. Ein Beispiel, von vielen, die über Jahre geschwiegen oder nie aus den Lagern wieder heraus kamen. Es ist eine intelligente Erzählweise, die unterschwellig ihre Beachtung findet.
Dieser Film ist keiner, der in den ersten Minuten nach dem Schauen mit positiven Worten überhäufen wird. Doch je länger die Bilder, die Art und Weise auf einen wirkt, je länger sich über die Handlung und ihre Erzählstrategien ausgetauscht wird, desto mehr wird man diesen Film mögen. Auch, wenn er eine eigene, grobe Art hat, seine Geschichte und die damit verbundenen Leiden zu erzählen, seine gefühlt übertriebene Länge und seine Szenen, die sich wie Lückenfüller angefühlt haben, werden mit ihrer eigenen Wichtigkeit versehen. Am Ende ist es das, was es sein möchte. Ein Film, der auf Berichten von Zeitzeugen beruht – eine Geschichte, die nur das Leben schreiben kann und jede Emotion – ob Hass, Wut oder Trauer – kann mit ihr Verbunden werden.
Titel: Und der Zukunft zugewandt | Regie: Bernd Böhlich | Laufzeit: 108 Minuten | Land: Deutschland | Jahr: 2019