Promotionsprojekt mit dem Arbeitstitel:
„Heiter bis tödlich – Meteorologische Phänomene im französischen Kriminalroman“
„La norme est la pluie, l’anormal est le beau temps“
(Blanc, Jean-Noël: Polarville, 73)
Für viele Leserinnen und Leser scheint dies eine Maxime des Kriminalromans zu sein. Doch liegt gerade im Kriminalroman die Wahrheit nicht immer hinter dem zunächst so scheinbar Offensichtlichen?
Besonders in einem Genre, das mit Spannung arbeitet, werden primär Handlung und Figuren beachtet und das (scheinbare) Hintergrundgeschehen hierzu, das Wetter, meist nur nebenbei zur Kenntnis genommen. Nimmt man einmal das schlechte Wetter bzw. den Dauerregen als Regelfall an und würde jeder literarische Mord bei Regen begangen, hätte der Effekt schnell an dramatischer Qualität verloren, würde weder Spannung noch Erregung beim Lesenden effizieren und wäre ein geradezu sinnloses oder ornamentales Motiv. Vielfach finden sich jedoch gerade längere Kriminalromane, bei denen das Wetter mit Funktionen versehen ist, die erst auf den zweiten Blick als signifikant oder gar in einer Verbindung zum Plot oder zur Figur erscheinen; gerade hier geht das Spektrum der Meteorologie zwangsläufig über das des Regens und des reinen „Stimmungsmachers“ hinaus. Die Variationsbreite literarischer Wetterlagen in den Fokus zu stellen, öffnet den Blick für eine Faktur, die von der Wetterdarstellung dependent sein kann. So finden sich meteorologische Phänomene, die mit spezifischen Funktionen versehen sind und in Verbindung mit dem Plot, der Raumkonstruktion und den Figuren stehen: Sie werden zu Spurenträgern, kongenialem Mordwerkzeug und zum Aktionsstimulus für den Mörder, sie können aber auch mordlustige Verbrecher zu Philanthropen werden lassen. Zudem können gerade Wettermotive komplexe Textstrukturen ordnen, d. h. dabei verworrene Muster offenlegen und Figuren hierüber als Täter identifizierbar machen. Sie verfügen über das Potenzial, nicht nur Verbrechen zu markieren, sondern auch Folgetaten mit Ereignissen in der Vergangenheit zu verknüpfen, und fungieren so als Verbindungsglied über Zeit und Raum hinweg.
Ausgehend von dem „Verdacht“, dass im französischen Kriminalroman nicht nur schlechtes Wetter vorherrscht, und selbiges wohlerwogen und nicht zufällig eingesetzt wird, lässt sich fragen, wie seine Zeichenhaftigkeit im jeweiligen Fall formalästhetisch konstruiert wird, welche Funktion es besitzt und wie sich Darstellung, Funktion und meteorologische Muster im Verlauf der Genreentwicklung gewandelt und verändert haben. Denn geht man davon aus, dass der Kriminalroman sich aus dem Schauerroman entwickelte, ist zu fragen, inwiefern es hier zu einer Bedeutungsverschiebung resp. Umcodierung und neuen Konnotation von charakteristischen Wetterlagen wie Nebel und Unwetter kommt. Wo liegen konkret die Ursprünge der assoziativen Verbindung von Regen und Kriminalität?
Wenige Naturphänomene sind per se so konstant und unterliegen gleichzeitig einer doch so wandelbaren Konnotation und historischen Perspektive, mit der auch gesellschaftsbedingte Aspekte, wie Epidemien, Tod aber auch Kunst, Intertextualität und Medienentwicklung sowie nicht zuletzt Kitsch verbunden sind. Wie wirkt sich der historische Kontext auf die Ästhetik, die Funktion sowie den Bedeutungsgehalt des einzelnen Wetterelementes aus? Diesbezüglich stellt sich auch die Frage, inwieweit kulturelle und gesellschaftliche Entwicklung und Tendenzen einen Einfluss auf die Rezeption der Wetterlage und den mit ihr verbundenen Elementen, wie etwa Figurendisposition und räumliche Konzepte, üben. Im Projekt nimmt daher nicht zuletzt die Stadt eine zentrale Stellung ein, da sie nicht nur als Schauplatz krimineller und kriminalistischer Handlungen im Kriminalroman fungiert, sondern sowohl die Paris- als auch die Kriminalliteratur soziokulturell und literarästhetisch entschieden prägt, und gerade über sie vielfältige meteorologische Bedeutungskontexte generiert werden.
Ziel ist es, die unterschiedlichen Arten und Weisen, wie das Wetter im französischen Kriminalroman funktioniert, zu untersuchen und analysieren. Um dem Wetter und seinen Auswirkungen im Einzelnen auf die Spur zu kommen und die Verquickung mit einzelnen Textelementen erfassen zu können, sollen folgende Schwerpunkte gesetzt werden: Handlungsanalyse, Figurenanalyse, Raumanalyse sowie übergeordnet eine Motivanalyse, welche mit der Methode des close readings durchgeführt werden sollen. Grundlage hierfür sind 14 ausgewählten Autoren, die einen Zeitraum vom frühen 19. Jahrhundert bis heute abdecken und exemplarisch für eine Entwicklungsstufe des Genres stehen respektive eine individuell herausragende Verwendung des Wetters aufweisen.