Die kognitiven Dimensionen von Lernerfolg: Intelligenz vs. Vorwissen

 

  1. Welche Rolle spielen Intelligenz und Vorwissen für erfolgreiches Lernen? Inwelchem Verhältnis stehen diese beiden Heterogenitätsdimensionen zueinander? Wie hat man ihren jeweiligen Einfluss auf Lernerfolg empirisch untersucht? Und was bedeuten die Befunde für Schule und Unterricht? 

 

Sowohl Intelligenz als auch Vorwissen essentiell für erfolgreiches Lernen. Anhand eines Experiments, bei dem eine Fußballgeschichte, die Fehler enthielt, von Schülern in verschiedenen Klassenstufen  nacherzählt werden sollte, konnte gezeigt werden, dass in diesem Kontext das Vorwissen über Fußball deutlich mit der Korrektheit der nacherzählten Geschichte korreliert, während eine hohe Intelligenz nicht zu deutlich besseren Ergebnissen führt (Schneider 1989: 306). Ein ähnliches Experiment führte Chi 1978 durch, indem er junge Schachexperten (Kinder) und Erwachsene mit wenig Schacherfahrung aufforderte, vorher gezeigte Schachstellungen wieder aufzubauen. Wie beim Fußballexperiment korrelierte auch hier das Vorwissen mit der Genauigkeit des Aufbaus (siehe Gruber 2020: 33). So könnte man meinen, dass die Intelligenz der Schüler:innen wenig Auswirkung auf den Lernerfolg hat. Andererseits, so Gruber, nützt Vorwissen einem Menschen nichts, „wenn er nicht die Intelligenz besitzt, es weise einzusetzen“ (2020: 35).

Diese Erkenntnisse haben Auswirkungen auf die Wissensvermittlung in der Schule: Der Unterricht sollte didaktisch so aufgebaut sein, dass unterschiedliche Intelligenzniveaus, aber auch heterogene Vorwissensstände berücksichtigt werden.

 

  1. Einige Befunde zur Rolle von Intelligenz und Vorwissen beim Lernen waren für Sie möglicherweise überraschend. Oder Sie sehen einige der Forschungsergebnisse kritisch in Bezug auf Schule und Unterricht. Welche (Forschungs-)Fragen ergeben sich daraus (z.B. für Ihr Orientierungspraktikum)? Und wie könnten Sie diese Fragen beantworten? ​

 

Für mich war überraschend, dass die Korrelation zwischen der Intelligenz mit 11 Jahren und den Noten in den Abschlussexamen (16 Jahre) für die verschiedenen Fächergruppen so unterschiedlich ausfällt. So liegt die Korrelation für Theater- und Geisteswissenschaften (FG 2) nur bei 0.39 bis 0.44, während sie bei sie in den Mathe- und Naturwissenschaften (FG 1) bei 0.46 bis 0.77 und damit deutlich darüber liegt. Dabei habe ich mir die Frage gestellt, welchen Einfluss die unterschiedlichen Lehrertypen in den verschiedene Fächergruppen auf die Stärke der Korrelation haben. Ein Mathe- und Physiklehrer behandelt seine Schüler:innen sicherlich völlig anders als es eine Lehrerin tut, die Kunst und Darstellendes Spiel unterrichtet. So könnte man behaupten, dass Lehrer:innen mit niedriger sozialer Intelligenz vermehrt mathematisch-naturwissenschaftlicher Fächer unterrichten. Ausgehend von dieser Annahme ließe sich argumentieren, dass schwache Schüler:innen (hier davon ausgehend, dass „schwache Schüler:in“ mit einer niedrigen Intelligenz korreliert) in FG 1 weniger Lernunterstützung von der Lehrkraft als in FG2 erhalten und dementsprechend die Korrelation zwischen Intelligenz mit 11 Jahren und den Abschlussnoten mit 16 Jahren in den Fächern der FG1 stärker als denen der FG 2 ausfällt. Das würde bedeuten, dass nicht die Fächer selbst, sondern der vorherrschende Typ Lehrkraft für diese Korrelation verantwortlich ist.

 

Im Zuge meines Orientierungspraktikums werde ich deshalb überprüfen, ob meine getroffenen Annahmen zutreffen, konkret: Unterscheiden sich die Lehrkräfte der verschiedenen Fächergruppen tatsächlich hinsichtlich ihrer sozialen Intelligenz (hier fehlt mir noch eine verlässliche Methode zur Feststellung)? Inwiefern trägt diese unterschiedliche soziale Intelligenz zum (Mis)erfolg der Schüler:innen bei den Abschlussprüfungen bei?

 

  1. Am Ende des Vortrags wurden zwei verschiedene Adaptionsmodelle dargestellt. Finden Sie Praxisbeispiele zu jeder der in den Modellen genannten Reaktionsformen (Weinert, 1997) bzw. Adaptionsmöglichkeiten (Leutner, 1992). ​

 

Ganz grundlegend: das Problem der Wissensvermittlung in Schule besteht darin, dass Leistungsunterschiede der Schüler:innen in einer Klasse unvermeidbar sind. Mit Weinert (1997) und Leutner (1992) existieren zwei Konzepte, wie diese Leistungsunterschiede (nicht, siehe Weinert: passive Reaktionsform) berücksichtigt werden könnten.

 

Zunächst zu Weinert: Er erkennt vier verschiedene Reaktionsformen der Lehrkraft auf Leistungsunterschiede. Die passive Reaktion findet beispielsweise statt, wenn Arbeitsblätter in nur einem Anforderungsniveau entworfen werden, sodass sie für den „Durchschnittsschüler“ den richtigen Schwierigkeitsgrad haben, für die Mehrheit allerdings zu leicht oder zu schwer sind. Dadurch werden die Leistungsunterschiede vollständig ignoriert. Substitutiv arbeitet die Lehrkraft, wenn die Schüler:innen dem Unterricht angepasst werden, wenn Wissensunterschiede also zum Beispiel dadurch reduziert werden, dass ein neues, allen gänzlich unbekanntes Thema durch ein Arbeitsblatt mit nur einem Schwierigkeitsgrad eingeführt wird. Als aktive Reaktionsform bezeichnet es Weinert, wenn der Lehrer (wir bleiben bei den Übungsblättern), wenn Blätter verteilt werden, die zwischen verschiedenen Anforderungsniveaus differenzieren. Zuletzt handelt es sich um proaktiven Unterricht, wenn individuell auf die Bedürfnisse der Schüler:innen eingegangen wird, so dass die Lehrkraft Aufgabenblätter erstellt, die gezielt auf einzelne Schüler:innen zugeschnitten sind, die Aufgaben so gut es geht mit jedem individuell bespricht und unterstützend (falls nötig) aktiv ist.

 

Leutner (1992) unterscheidet zwischen anderen drei Adaptionsmöglichkeiten: Er schlägt erstens vor, das Lernziel im Ganzen anzupassen. So könnte die Lehrkraft für schwache Schüler:innen ein Lernziel anpeilen, dass unter dem Durchschnitt liegt, allerdings für die Schüler:innen besser zu erreichen ist. Eine weitere Möglichkeit liegt darin, die Lehrmethode anzupassen, falls der Schüler mithilfe einer anderen Methode besser lernen kann. So könnte von Frontalunterricht auf Gruppenarbeit umgestellt werden, wenn die Schüler:innen das gemeinsame erschließen von Inhalten bevorzugen. Zuletzt kann man die Lernzeit anpassen, um den betroffenen Schüler:innen mehr (oder eben weniger) Zeit zu geben, dass Geforderte zu erlernen. Wenn die Lehrkraft beispielsweise vor einem bevorstehenden Test merkt, dass das Lernziel nicht gut zu erreichen ist, kann der Test um x Wochen verschoben werden, um es den Schüler:innen zu ermöglichen, den Test erfolgreich zu absolvieren.

 

Quellen:

Gruber, H., & Stamouli, E. (2020). Intelligenz und Vorwissen. In E. Wild & J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie. Heidelberg: Springer.

Leutner, D. (1992). Adaptive Lehrsysteme. Instruktionspsychologische Grundlagen und experimentelle Analysen. Weinheim: Beltz.

Schneider, W., Körkel, J., Weinert, F. E. (1989). Domainspecific knowledge and memory performance: A comparison of high and lowaptitude children. Journal of Educational Psychology, 81, 306312.

Weinert, F. E. (1997). Notwendige Methodenvielfalt: Unterschiedliche Lernfähigkeiten der Schüler erfordern variable Unterrichtsmethoden des Lehrers. FriedrichJahresheft (1997): Lernmethoden Lehrmethoden Wege zur Selbständigkeit, 5052. Seelze: FriedrichVerlag.


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