Care-Praktiken im Klimagarten Findorff der „Klimazone Findorff“ im Westen von Bremen.
Ein Beitrag von Pia Gosmann, Alena Klages und Marius Brehm
Der Klimagarten
Untersucht wurde das Projekt „Klimagarten“ des Vereins „Klimazone Bremen-Findorff“. Der Verein hat es sich zum Ziel gemacht, „[den] Stadtteil lebendiger, lebenswerter und zukunftsfähiger zu gestalten“ (Klimazone Findorff 2024a), indem verschiedene alltagsorientierte Aktivitäten in vier Bereichen (Konsum & Ernährung, Mobilität & Verkehr, Wohnen & Energie, Quartiersgestaltung) organisiert und umgesetzt werden. Der Klimaschutz steht hier immer im Mittelpunkt. Der Klimagarten lässt sich in den Bereich Quartiersgestaltung sowie Konsum und Ernährung einordnen. Es handelt sich hier um eine Kleingartenparzelle im Norden Findorffs, die über ein Vereinsmitglied kostengünstig gepachtet wird. Ursprünglich wurde dieser Garten im Mai 2021 unter dem Projekt „Stadtteilgärtnern mit Kindern” eröffnet mit dem Ziel, ihn „nach und nach in eine kunterbunte Insektenoase [zu] verwandeln“ (Klimazone Findorff 2024b). Er dient seitdem als Treffunkt für verschiedene Altersgruppen zum gemeinsamen Gärtnern, Ernten und Lernen.
Die Praktik beläuft sich hier besonders auf die Sorge um Insekten in Bremen, die immer weniger Lebensraum haben und durch die Biodiversität im Klimagarten geschützt werden sollen. Es geht zunächst viel um die Fläche der Parzelle, die noch immer nicht vollständig aufgeforstet wurde und regelmäßig Pflege braucht.
„Vorher war hier kein Leben, weil alles zugewachsen war. Jetzt ist hier immer mehr Leben, es wird total bunt.“ (Ilga Keßling, vgl. empirische Vignetten)
Außerdem ist mit diesem Ort die Sozialität des gemeinsamen Gärtnerns und Lernens verbunden, da viele Bewohner:innen Bremens keinen eigenen Garten besitzen und sich so in Form der Aktion „Stadtteilgärtnern“ gemeinsam mit der Natur auseinandersetzen können. Des Weiteren gilt der Klimagarten als wichtiger Ort für kleinere Kinder und Schulklassen, die dort die Natur erforschen können. Es findet hier soziale Umweltbildung statt, die häufig in Schulen zu kurz kommt, wie Frau Keßling, die Leiterin des Klimagartens, im Interview erzählt. Besonders Sprachbarrieren erschweren die Integration einiger Kinder. Das versucht sie dort in der Natur zu überwinden, da Gärtnern auch nonverbal stattfinden kann. Bei den Bildungsprojekten steht sie im engen Kontakt zum NABU.
Nach kurzer Absprache trafen wir uns mit ihr im Klimagarten, sie gab uns eine ausführliche Führung und beantwortete dabei alle unsere Fragen in Form eines Interviews (s. empirische Vignetten). Außerdem konnten wir während der Führung die Fürsorgepraktiken für die Natur und die Sozialität der Mitglieder sowie während einer Exkursion mit einem Kurs der Universität Bremen zu einem späteren Zeitpunkt die Bildungsarbeit im Klimagarten selbst teilnehmend beobachten. Die Ergebnisse dieser Beobachtung konnten wir im Rahmen einer Bilderdokumentation und zwei Beobachtungsprotokollen festhalten (s. empirische Vignetten). So konnte sich unsere Forschungsgruppe ein umfangreiches Bild von dem Klimagarten und den Praktiken machen. Alle empirischen Vignetten können im Anhang nachgelesen werden.
Theoretische Ansätze
Die Care-Praktik im Klimagarten inkludiert die Pflege von Pflanzen, welche in der Literatur zu Care-Praktiken als anstrengend, abe
r motivierend und glückbringend beschrieben wird (vgl. Jones 2017: 631f.). In der Literatur wird geschildert, dass einige Stunden Unkrautjäten unterschiedlichste Gefühlswellen, beispielsweise der Stärke, Entschlossenheit, Unruhe und des Enthusiasmus, mit sich bringt (vgl. ebd.: 653).
Im Klimagarten befinden sich verschiedene Spezies auf engem Raum. So arbeiten und treffen sich die Menschen im Garten, Pflanzen wachsen und Insekten sowie andere Tiere besuchen den Garten oder sind dort heimisch. Hier wird die Theorie der Multispezies-Kollaboration deutlich, welche in der Literatur durch Ameli untersucht wird (vgl. Ameli 2022: 605). Durch erfolgreiche Zusammenarbeit der Spezies entsteht eine Symbiose zwischen Menschen, Tieren und Naturen (vgl. ebd.). So können die Care-Praktiken im Klimagarten als “caring obligations that could enact nonexploitive forms of togetherness” (Puig de la Bellacasa 2017: 24) bezeichnet werden. Der Perspektivwechsel, der durch die Forschung zu Multispezies-Kollaborationen erzielt werden soll (vgl. ebd.: 612), kann den Mithelfenden im Klimagarten beispielsweise bei ihrem derzeitigen Projektziel, Insekten Lebensraum zu schaffen, helfen. Wird die Perspektive der Insekten eingenommen, können so Ideen zur insektenfreundlichen Gestaltung des Gartens entstehen. Die Perspektivergreifung kann auch bei der Positionierung der Vorhaben im Garten helfen. Beispielsweise wurde das Insektenhotel extra in die Nähe der Sandfläche gestellt, um eine Synergie zwischen den beiden Objekten herzustellen, da beide hauptsächlich von Insekten bewohnt werden.
Ilga Keßling erzählt, dass neue Helfer:innen jederzeit gebraucht werden. In der Literatur wird sich gefragt, wie man Menschen zum Engagement für die Pflanzenpflege motivieren kann (vgl. Jones 2017: 635).
“I believe greater attention to the body and its feeling states will help deepen our understanding of the powers propelling people to care” (Jones 2017: 635).
Die Gefühlswellen der Freude, die bei der Care-Praktik entstehen, sollen zum Mithilfewunsch der Menschen beitragen (vgl. ebd.). Durch das Ausprobieren der Care-Praktik würden demnach, gemäß der Theorie, Menschen die Motivation und den Wunsch am eigenen Körper spüren und ihre Kraft, um mitzuhelfen, würde steigen (vgl. ebd.). Dieser theoretische Ansatz könnte helfen, mehr Menschen zur Mithilfe im Klimagarten zu bewegen.
Care-Praktiken innerhalb des Klimagartens
Die Praktiken im Klimagarten sind vielfältig. Neben dem Gärtnern und Pflegen des Gartens unter den Mitgliedern besonders zum Schutz der Insekten findet dort vor allem Umweltbildung mit Kindern statt. Diese Aktionen organisiert in erster Linie Ilga Keßling, da die Mitgliederzahl im Klimagarten noch gering ist. Wir konnten während unserer Besuche beobachten, wie zwischendurch Unkraut gejätet, hin und wieder mal ein Gemüse mit Vorsicht geerntet oder einzelne Flächen aufgeräumt und neu gesät bzw. bepflanzt wurden. Ilga Keßling war während unserer Führung beispielsweise immer mal wieder mit ihrer Harke in verschiedenen Beeten beschäftigt. Hier fanden also Fürsorgepraktiken für den Garten mehr im Hintergrund statt, die aber bei den Aktuer:innen immer wieder für Glücksmomente sorgten. Lediglich bei größeren Aufräum-Aktionen wird der Garten gezielt von allen Helfenden von Gestrüpp und Müll befreit. Dies passiert aufgrund der begrenzten Mitgliederzahl nicht so häufig, ist aber sehr wichtig für die Instandhaltung und Entwicklung des Gartens, wie Frau Keßling sagt. Hier zeigen sich die Erkenntnisse aus der Literatur, dass Care-Arbeit zwar anstrengend, aber motivierend und glückbringend wirken kann (vgl. Jones 2017: 631f.). Außerdem wurden Insektenhotels aufgestellt und Totholzhecken an den Rändern des Grundstücks errichtet, um einen wertvollen Lebensraum für Tiere und Pflanzen zu schaffen (s. Abb. 3). Hier zeigen sich Auswirkungen des Perspektivwechsels von Mensch zu Insekt aus der Literatur (vgl. vgl. Ameli 2022: 612).
Immer regelmäßiger kommen zudem Schulklassen in den Klimagarten, deren Umweltbildung Frau Keßling ebenfalls betreut. Sie selbst ist selbstständig als Landschaftsarchitektin und hat keine pädagogische Ausbildung, daher wünscht sie sich etwas mehr Unterstützung durch geschulte Kräfte. Dennoch machen ihr die Aktionen mit Kindern Spaß und diese könnten mehr werden. Auch hier wird die Frage gestellt, wie man Menschen zur freiwilligen Care-Arbeit motivieren kann (vgl. Jones 2017: 635). Frau Keßling versucht dies zu lösen, indem sie durch verschiedene Aktionen Aufmerksamkeit für das Projekt zu erregen und somit Menschen durch den Kontakt mit dem Klimagarten zum Mithelfen anzuregen versucht, wie auch von Jones vorgeschlagen (vgl. ebd.). Ein ähnliches Vorgehen lässt sich auch in der Umweltbildung konkret mit Kindern beobachten. Auch hier kann man von der Absicht ausgehen, Kinder zu zukünftigen Care-Praktiken zu motivieren, indem man sie ausprobieren lässt. Im Durschnitt kommen vier Schulklassen pro Jahr, zudem werden hin und wieder Eltern-Kind-Nachmittage im Klimagarten veranstaltet. Besonders durch die Bewegung Teachers for Future wird das Interesse an Bildungstagen im Klimagarten immer größer. Ilga Keßling erzählte uns von ihren Plänen, den Garten mit kinderfreundlichen Informationsschildern auszustatten, damit sie auch ohne ihre direkte Anwesenheit Achtsamkeit für die Umwelt erlernen können. Außerdem hat sie Lernfenster (Plexiglasfenster) in einige Hochbeete eingebaut, damit der Wachstumsprozess im Erdboden von außen beobachtet werden kann. Es lassen sich hier also auch nachhaltige Care-Praktiken beobachten, die zwar zunächst eher nebensächlich auf die Pflege des Klimagartens abzielen, aber dafür auf die Bildung möglichst aller Generationen und den zukünftigen Schutz der Umwelt setzen. Denn laut Frau Keßling verfolgen alle hier beteiligten Akteursgruppen das Ziel, durch den Klimagarten der Umwelt näher zu kommen und etwas zu lernen. Große Unterschiede lassen sich innerhalb der Akteursgruppen aufgrund der geringen Anzahl nicht direkt ausmachen. Natürlich besteht ein großer Altersunterschied zwischen den aktiven Mitgliedern und den Schulklassen, der sich auch in den Interessen widerspiegelt. Während die Mitglieder des Stadtteilgärtnerns sich mehr in ihrer Freizeit im Klimagarten aufhalten und sich besonders über die Zeit in der Natur und das geerntete Gemüse freuen, kommen die Kinder primär, um etwas über den Insektenschutz und die Natur zu lernen. Genauere Bilder zu den Care-Praktiken können in unserer Bilderdokumentation angeschaut werden (s. empirische Vignetten).
Bedeutung für Stadt und Natur im politischen Kontext
Der Klimagarten trägt zur Gestaltung von Stadt-Naturen bei. Er liegt mitten in Bremen und führt Projekte zur Förderung der Biodiversität und des Insektenlebens durch. So bietet er mit dem aktuellen Projekt “Kleine Helden – Insekten im Klimagarten” eine “grüne Oase” für Insekten, welchen in der Stadt oft wenig Grün geboten wird. Außerdem führt das Projekt des Stadtteilgärtnerns und die Umweltbildung dazu, dass Kinder und Jugendliche die Natur besser verstehen und im besten Fall das Interesse von ihnen an Natur geweckt wird. Das kann die Chance erhöhen, dass sich die Akteure auch abseits des Klimagartens für eine bessere Umwelt engagieren.
Von der Senatorin für Umwelt, Klima und Wissenschaft (zum Bewilligungszeitpunkt: Senatorin für Klimaschutz, Umwelt, Mobilität, Stadtentwicklung und Wohnungsbau) der Freien Hansestadt Bremen werden die Überschüsse aus BINGO! Die Umweltlotterie zur Verfügung gestellt. Die Senatorin förderte bereits das Vorgängerprojekt “Stadtteilgärtnern mit Kindern”. Dies zeigt, dass durch die Stadt Bremen ein politisches Interesse an der Sorgepraktik für Klima, Insektenvielfalt sowie Biodiversität besteht. Für das Projekt “Kleine Helden – Insekten im Klimagarten” wurde eine Fördersumme von 20.498 Euro bereitgestellt (vgl. Umwelt Bildung Bremen 2022).
Frau Keßling informierte uns über die Projektbeantragung. Klimagarten ist von der Förderung des Senats abhängig, die Förderprojekte laufen jeweils zwei Jahre und nach Ablauf des Projektzeitraums enden sie automatisch. Darum ist die Care-Praktik mit viel Bürokratie verbunden. Umfassende Anträge, Zwischenberichte, Endberichte und Umwidmungsanträge mit Begründungen sind erforderlich, damit ein Projekt ohne Abzug von Fördergeldern stattfinden kann. Dies erschwert die Projektdurchführung und nimmt viel Zeit in Anspruch, die alternativ zur Care-Praktik im Garten genutzt werden könnte. Ilga Keßling gab als ungefähre Schätzung an, dass 60 % der Arbeitszeit konkret im Garten und 40 % mit anderen Aktivitäten verbracht wird.
Frau Keßling thematisierte die Differenz zwischen Theorie und Praxis und zeigte sich unzufrieden über die komplizierten Förderzugänge. Sie nimmt wahr, dass die Politik großen Wert auf Maßnahmen gegen den Klimawandel mithilfe der Begrünung der Stadt und der Biodiversitätsförderung legt. In der Praxis bemerkt sie jedoch wenig Rückhalt aus der Politik, da das Projektbudget gering sei und nur auf zwei Jahre begrenzt ist.
Bedeutung für die Akteur:innen
Im Kern beteiligen sich momentan fünf bis sechs Leute regelmäßig an der Aktion Stadtteilgärtnern im Klimagarten, mit der Tendenz zu mehr. Eine besondere Bedeutung kommt dabei der Pächterin des Gartens zu, die auch Mitglied bei der Klimazone ist. Sie engagiert sich zudem beim BUND Bremen. Sie war während unserer beiden Besuche ebenfalls anwesend und betonte mehrfach, wie sehr ihr das Projekt Klimagarten am Herzen liegt und es für sie deshalb selbstverständlich war, das Grundstück zu pachten. Da die Anzahl der Helfer:innen laut Frau Keßling noch zu wenig ist, befindet sich der Verein immer wieder semi-aktiv auf der Suche nach neuen Mitgliedern und Aktionen.
Für Ilga Keßling bedeuten der Klimagarten und die dort ausgeführten Praktiken sehr viel. Sie sieht den Klimagarten wie ihr Kind an, um das sie sich liebevoll kümmert. Mit ihrer Harke geht sie freudig durch den Garten und findet immer etwas zu tun. Sie sieht in jeder Pflanze und jedem Lebewesen eine Bedeutung. Sie erfüllen die kleinen Dinge im Klimagarten, wie die natürlich zugewanderte Bienenkultur, die sie uns mit Stolz zeigte (s. Abb. 3). Ebenso findet sie es spannend, wie Kinder den Garten und die Natur erleben und entdecken.
„Für Kinder kann selbst ein Regenwurm ein spannendes Ereignis sein. Das bringt auch in mir die kindliche Naivität und den Sinn für alltägliche Kleinigkeiten wieder hervor. Das ist toll.“ (Ilga Keßling, vgl. empirische Vignetten)
Literaturverzeichnis
Ameli, K. (2022). Multispezies-Ethnographie. In: A. Poferl & N. Schröer (Hrsg.) Handbuch Soziologische Ethnographie. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-26405-5_39
Jones, R. (2019). Really shit work? Bodily becoming and the capacity to care for the urban forest. Social & Cultural Geography, 20:5, 630-648
Klimazone Findorff (2024a). Über uns. Online unter: https://klimazone-findorff.de/ueber-uns/
Klimazone Findorff (2024b). Es summt und brummt im Klimagarten. Online unter: https://klimazone-findorff.de/projekte/insekten-im-klimagarten/
Puig de la Bellacasa, M. (2017). Matters of care: Speculative ethics in more than human worlds. Minneapolis: University of Minnesota Press. [daraus: Introduction: The Disruptive Thought of Care. S. 1-24.]
Umwelt Bildung Bremen (2022): Geförderte Projekte. Online unter: https://www.umweltbildung-bremen.de/foerderung-bingo-projektfoerderung-gefoerderte-projekte.html
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