Die Stadtimkerei

von Lena-Marie Schmölz und Fenja van der Veen

Beim Erforschen der Stadt wird am häufigsten die Sichtweise der Menschen eingenommen. Auch beim Fokus auf Natur in der Stadt wird sie häufig durch eine menschliche Brille betrachtet. Hierbei können sich folgende Fragen gestellt werden: Wie kann man durch Stadtgrün und -wasser die Stadt abkühlen (für die Einwohnenden)? Wie kann Stadtgrün zu einer Verringerung der Feinstaubbelastung beitragen? Oder auch wie geht man am besten mit den Stadttauben um, sodass sie nicht so viel Dreck machen? Diese Perspektive, das Menschen die einzigen Lebewesen sind, die zählen (Steele et al. 2019: 413), zu verlassen ist das Ziel der More-than-human-Cities-Debatte. Innerhalb des Diskurses wird der Fokus auf die Agency, also die Handlungsmächtigkeit, von nicht-menschlichen Akteuren gelegt, wie etwa Pflanzen, Tiere oder Technologien und auf die Begegnungen der menschlichen und nicht-menschlichen Akteure (Steele 2019: 413). Ein Weg zu einer More-than-human-City ist das Aufbauen von empathischen und ”care-full” (Steele 2019: 411) Beziehungen zwischen Menschen und Nicht-Menschlichen. Durch die Sorge um das gegenseitige Wohlbefinden, werden die Beziehungen verbessert. Wie Puig de la Bellacasa schrieb: ”Care is a human trouble, but this does not make of care a human-only matter” (Puig de la Bellacasa 2017: 2).

Im Rahmen des Seminars Stadt-Naturen wollen wir uns eine konkrete Sorge-Praktik in der Stadt ansehen, bei der Sorgearbeit von einem menschlichen Akteur für einen nicht-menschlichen Akteur erfolgt. Da uns beiden beim Thema Stadt Naturen zunächst das Beispiel der Bienen in den Sinn kam, haben wir ein wenig recherchiert und den Bremer Imkertag gefunden, der nur ein paar Wochen später stattfinden sollte. Daher ist die Sorge-Praktik, die in dem folgenden Beitrag näher erläutert werden soll, ist die des Stadtimkerns.

Das Stadtimkern ist seit etwa 2007 immer beliebter geworden (Lorenz, Stark 2015: 116). So gab es von 2006 bis 2012 einen Anstieg von 53% neuen Imker:innen in Berlin laut dem Deutschen Imkerbund (Lorenz, Stark 2015: 118). Auch die Akteur:innen sind diverser geworden, so gab es neben den “typischen” Imkern, ältere Männer, auch ein größeres Interesse fürs Imkern von jungen Leuten und Frauen. Von 2010 bis 2012 ist der Anteil der Frauen im Berliner Imkerbund von 20% auf 26% angestiegen (Lorenz, Stark 2015: 118). Entgegen der allgemeinen Vorstellung bietet die Stadt den Bienen als Wohnraum einen Vorteil gegenüber dem Land (Lorenz, Stark 2015: 119). So sind die Futterressourcen in der Stadt, gegenüber den Monokulturen auf dem Land, größer, diverser und vom Frühjahr bis zum Herbst vorhanden. Außerdem sind die städtischen Bienen nicht den landwirtschaftlichen Pestiziden ausgesetzt (Lorenz, Stark 2015: 119).

Beuten im Garten des Stadtimkers (eigene Aufnahme)

Eine weitere Ebene, die neben der Sorgearbeit betrachtet werden soll, ist die Wahrnehmung (“Senses”). Ein Vorschlag von Edwards besteht darin, dass ein bewussteres Sensing gegenüber nicht-menschlichen Akteuren zu einer stärkeren Beziehung zwischen allen Akteuren einer More-than-human-City führt (Edwards 2018: 54). Gerade beim Imkern spielt die Wahrnehmung auf allen Ebenen eine große Rolle. Einerseits muss er die Umgebung wahrnehmen: Was blüht zurzeit? Gibt es genügend Nahrungsquellen? (Edwards 2018: 57). Andererseits kann durch Hören und Riechen die Stimmung und die Gesundheit des Bienenschwarms bestimmt werden (Edwards 2018: 58).

Um das Stadtimkern näher zu verstehen und einen eigenen Einblick in die Sorgepraktik zu erhalten, wollten wir einen lokalen Stadtimker und seine Bienenvölker besuchen. Dabei war es uns wichtig eine kleine Imkerei zu befragen, damit sichergestellt ist, dass eine Fürsorge für die Stadtnaturen im Vordergrund steht und nicht der Profit durch den Honigverkauf. Auf der Suche nach einer:m private:n Stadtimker:in in Bremen, besuchten wir den Bremer Imkertag, der im Juni stattfand. Der Imkertag wird vom Bremer Imkerverein von 1875 e.V. organisiert und findet auf dem Lehrbienenstand auf dem Gelände des Lür-Kropp-Hofs in Oberneuland, Bremen Ost, statt. Neben einigen angebotenen Führungen zu Bienen und Hornissen wurde dort auch Honig von einer kleinen Stadtimkerei verkauft. Wir kamen mit dem Imker, der an dem Stand seinen Honig verkaufte, ins Gespräch und baten um ein Interview und ob es möglich wäre, den Vorgang des Imkerns zu beobachten. Der Imker willigte ein und wir vereinbarten einen Termin in der darauffolgenden Woche.

Nach einem etwa 45-minütigen Interview, konnten wir die Praktik des Imkerns beobachten und damit auch selbst einmal alle Eindrücke, die bei der Praktik des Imkerns entstehen, wahrnehmen. Die Beuten, so nennen sich die Kästen, in denen die Bienenvölker leben und arbeiten, stehen bei dem Stadtimker im Garten. Der Imker reibt sich die Hände mit Essig ein und hebt dann den Deckel der obersten Beute ab. Er trennt mithilfe einer Stockmeißel vorsichtig einen Rahmen heraus und sieht ihn sich genau an. Sind alle Bienen gesund? Haben sie Waben an den Rahmen angebaut? Wollen die Bienen schwärmen, also bildet sich eine neue Königin heraus? So sieht er sich etwa alle neun Tage mehr als das halbe Jahr die Bienen an und kontrolliert sie. Er erzählte, dass im restlichen Jahr noch weitere Aufgaben hinzukommen, wie das Ernten des Honigs durch das Schleudern der Rahmen oder das anschließende Füttern der Bienen vor der Winterpause.

Rahmen mit zur Hälfte gefüllten Honigwaben (eigene Aufnahme)

Auch unter den privaten Stadtimker:innen, die nicht ausreichend Völker für ein Gewerbe besitzen, gibt es unterschiedliche Akteur:innen, die die Praktik betreiben. Zum einen gibt es die „alteingesessenen Imker“ wie uns der Stadtimker erzählte, die sehr traditionell und seit vielen Jahren imkern. Diese Akteure finden sich neben anderen in den Imkervereinen wieder. Ihnen liegt, wie auch dem interviewten Imker, das Wohl der Bienen am Herzen und vor allem das Interesse an den sehr vielfältigen Tieren. Der Imker und seine Frau berichteten, dass es, obwohl es am Anfang stressig war, „es […] vor allem auch unheimlich spannend [war]. Da haben wir nen Tisch vor den Bienen stehen gehabt und abends Kaffee getrunken, wenn wir nach Hause gekommen sind. Es hatte auch von Anfang an neben dem Stress auch ganz tolle Seiten.“ Neben der Sorgearbeit stand also auch die Faszination an den Bienen und das Wahrnehmen ihres Lebens im Mittelpunkt.

In der Folge des Trends des Stadtimkerns und den neuen Akteur:innen sieht der Imker ein großes Problem. Einerseits haben diese Personen teilweise keinen Grundkurs besucht und verstehen daher die Arbeitslast nicht, die auf einen zukommt auch als Imker:in mit wenig Bienenvölkern. Das führt dazu, dass nicht ordentlich gearbeitet wird, Bienen beispielsweise mit Varroa-Milben infiziert sind und nicht behandelt werden und die Milben auf anderen Bienen übertragen. Andererseits verlangen diese Akteur:innen für ihren Honig auch nur ein Bruchteil von dem, was „alteingesessene“ Imker:innen verlangen müssen, da sie sonst die hohen Kosten nicht begleichen können. Deshalb kann es dazu kommen, dass etablierte Imker:innen ihren Honig schlechter verkaufen können. „Es gibt hier Imker, die schon lange imkern und die …also die, die das nicht nach drei Jahren wieder aufgeben … und wir müssen unseren Honig auch verkaufen. So und dann kommt der Öko Mensch, der sagt „ja ich muss Bienen … und dann sagt er ja hier Honig drei Euro“ und das schadet uns einfach.“

Politische Implikationen hat diese Sorgepraktik eher weniger. Außer dem angesprochenen Problem, dass durch „Fernsehberichte, die sagen, ja der imkert hier in der Stadt und hin und her“ immer mehr vor allem junge Leute auf das Imkern aufmerksam werden, das wie eben beschrieben für etablierte Imker:innen problematisch werden kann. Ferner gibt es Unterschiede zwischen dem Stadtimkern und dem Imkern auf dem Land. Auf die Frage, warum er seine Beuten im Garten stehen hat und sie nicht an den Rand eines Feldes stellt, antwortet der Imker, dass ein Aspekt Bequemlichkeit ist. Wenn er etwa alle neun Tage nach den Bienen sehen muss, dann geht er lieber in den eigenen Garten als aus der Stadt rauszufahren. Daran knüpft ein weiteres Argument, der Umweltschutz. Denn „,wenn man die Bienen aufs Land bringt und an unterschiedliche Stellen stellt dann hat man viel Fahrerei. Man muss regelmäßig zum Pflegen der Bienen hin, man muss äh überprüfen, ob alles in Ordnung ist, das ist ja auch nicht nachhaltig, wenn man äh für den Honig dann noch viel fährt“.

Rahmen mit Honigwaben und Brut (eigene Aufnahme)

Für den Stadtimker bedeutet das Imkern „abschalten vom Alltag auf alle Fälle. Oder sonst freu ich mich im Urlaub, wenn wir uns auch mal das größere Eis kaufen können. Diese Pergola hier haben zum Beispiel die Bienen gezahlt“. An dieser Stelle des Interviews deutet der Imker nach oben. Wir saßen unter eben jener Pergola in seinem Garten, die er sich durch den Ertrag des Honigverkaufs geleistet hat. Es ist auf der anderen Seite allerdings auch sehr viel Arbeit und der Imker und seine Frau betonen, dass würde man den Ertrag vom Verkauf des Honigs, des Mets und der Bienenwachstücher auf die Arbeitsstunden hochrechnen, würde man deutlich unter dem Mindestlohn bleiben. Ein finanzielles Motiv findet sich bei privaten Imker:innen demnach wohl kaum. Ab 24 Völkern muss ein Gewerbe angemeldet und Steuern gezahlt werden und der Imker schätzt, dass sich erst bei etwa 50 Völkern der Ertrag finanziell lohnen würde. Bei den oben angesprochenen Akteur:innen-Gruppen steht hauptsächlich die Faszination an dem Tier selbst im Vordergrund. Außerdem auch die Sorgearbeit bei dem Kümmern um die Bienen. Es gibt allerdings auch Nachteile am Imkern. So erzählt uns der Imker, dass seine Frau einen schweren Schock bei einem Stich am Kopf von einer Biene erlitten hat. „Dass Bienen auch stechen können, so das darf man nicht vergessen“, sagt er.

Bei unserem Besuch des Stadtimkers konnten wir einen sehr genauen Einblick in die Sorgearbeit des Imkerns erhalten und selbst mit all unseren Sinnen diese Arbeit beobachten. Es war interessant wie stark die Sinne beim Imkern genutzt werden. So besteht ein großer Teil aus dem genauen Beobachten der einzelnen Rahmen: das Untersuchen der Bienen auf Krankheiten, das Stadium der ausgebauten Waben mit neuer Brut und Honig und die Suche nach der Königin. Neben dem Sehen gehören auch das Hören und das Fühlen dazu. Über das Hören kann man den Gemütszustand des Schwarms wahrnehmen: Sind sie aufgeregt und laut oder hört man nur ein leises Summen. Das Fühlen spielt unter anderem im Bezug auf die Stiche eine Rolle. So werden Maßnahmen getroffen, dass man nicht gestochen wird, mit denen gleichzeitig eine Sorge um die Bienen einhergeht, da diese Sterben nach einem Stich. Ein Beispiel dafür ist der Smoker, dessen Rolle im Werkzeug-Text erläutert wird. Auch wenn es selten zu einem Stich kommt mit der richtigen Vorsicht, so besteht trotzdem eine nicht zu unterschätzende Gefahr, wie etwa durch einen Stich am Kopf. Deswegen läuft die Imkerarbeit stets ruhig und mit einem Respekt vor den Bienen ab.

Zum Abschluss dieses Beitrags wollen wir uns nochmal sehr bedanken für die Zeit, die sich der Stadtimker genommen hat, um uns das Imkern zu zeigen und zu erklären. Wir haben sehr viel gelernt und mitgenommen von dem Gespräch.

Literaturverzeichnis

Edwards, F. (2021): Humming along Heightening the senses between urban honeybees and humans. In Food, Senses and the City. Routledge. 54–66. 

Lorenz, S., & Stark, K. (2015): Saving the honeybees in Berlin? A case study of the urban beekeeping boom. Environmental Sociology, 1(2), 116–126.  

Puig de la Bellacasa, M. (2017): The Disruptive Thought of Care. In Matters of Care: speculative ethics in more than human worlds. University of Minnesota Press. 1-26. 

Steele, W., Wiesel, I., & Maller, C. (2019):  More-than-human cities: Where the wild things are. Geoforum, 106, 411–415.