Fütterung von Stadttauben durch den Stadttauben Bremen e.V.

von  Magdalena Auferoth und Helene Schilling

Abbildung 1: Taubenfütterung an Unser Lieben Frauen Kirchhof (eigene Aufnahme)

In dicht besiedelten und hektischen urbanen Räumen, in denen das Leben vieler Menschen von Schnelllebigkeit und Anonymität geprägt ist, spielt Sorgearbeit eine zunehmend wichtige Rolle. Diese oft unsichtbare und unbezahlte Arbeit umfasst alle Tätigkeiten, die notwendig sind, um das Wohlbefinden anderer zu sichern und zu verbessern – sei es in der Pflege, der Kinderbetreuung oder in der Unterstützung von Nachbar*innen. Traditionell wird Sorgearbeit mit der direkten Pflege von Menschen in Verbindung gebracht. Hierzu zählen die Unterstützung von Familienmitgliedern, die Betreuung von kranken oder älteren Menschen sowie die Kinderbetreuung. Diese Aufgaben sind unverzichtbar für ein funktionierendes und harmonisches Leben in der Stadt. Sie ermöglichen es den Menschen, ihren Alltag zu bewältigen und tragen dazu bei, dass Gemeinschaften zusammenhalten. Doch Sorgearbeit endet nicht bei menschlichen Bedürfnissen; sie schließt auch die Beziehung zu den nicht-menschlichen Bewohner*innen der Stadt wie Tiere und Pflanzen ein (Bellacasa 2017: 2). Ein zunehmend wichtiger Aspekt der Sorgearbeit in städtischen Umfeldern ist auch die ökologische Verantwortung. Diese Dimension der Sorgearbeit umfasst die Pflege und den Schutz der urbanen Umwelt, einschließlich der städtischen Grünflächen und der tierischen Bewohner*innen der Stadt. Diese Tätigkeiten können dazu beitragen, das ökologische Gleichgewicht aufrechtzuerhalten und das städtische Leben umweltfreundlicher und lebenswerter zu gestalten. Ein spannendes, untermauerndes Beispiel hierfür ist die Fütterung von Stadttauben im öffentlichen Raum.

Tauben, aufgrund ihrer Verbreitung, ihres Kots und deren Verteufelung als Krankheitsüberträger oft als Plage angesehen und in vielen städtischen Kontexten unerwünscht, sind zugleich ein Paradebeispiel für Stadtnaturen – ausgesetzte, ehemals domestizierte Haustiere, die sich an das Leben in der Stadt angepasst haben und aus dem Stadtbild nicht mehr wegzudenken sind. Die Praxis der Taubenfütterung ist dabei ein Akt der Sorgearbeit, der die Fragen nach der Verantwortung und den Auswirkungen menschlichen Handelns im urbanen Raum aufwirft. In diesem Blogbeitrag soll untersucht werden, wie die Fütterung von Tauben als Form der Sorgearbeit verstanden werden kann, welche Kontroversen sie mit sich bringt und welche Bedeutung diese Interaktionen für das Leben in der Stadt haben. Dafür wurde ein Mitglied des Stadttauben Bremen e.V. im Juni 2024 bei einer Fütterungstour begleitet.

Abbildung 2: Schaufel für Futter (eigene Aufnahme)

Der Verein Stadttauben Bremen e.V. setzt sich für einen zivilisierten und artgerechten Umgang mit Tauben in der Stadt ein. Ihr Ziel ist es, den Tieren ein artgerechtes, leid freies und an ihre Bedürfnisse angepasstes Leben zu ermöglichen. Das langfristige Ziel ist es, die Population der Tiere auf tierschutzgerechte Art und Weise zu reduzieren. Um die Sorgepraktik des Taubenfütterns besser nachvollziehen zu können, haben wir ein Mitglied des Vereins Stadttauben Bremen e.V. auf ihrer Fütterungstour begleitet. Die Fütterung in Bremen durch den Verein erfolgt an festen Orten in der Bremer Innenstadt. Unser Rundgang startete am Bremer Hauptbahnhof und endete nach acht Stationen in den Wallanlagen. Beim Füttern wird Wert auf artgerechtes Futter gelegt, es wird ein extra für Tauben zusammengestelltes Futter verfüttert. Dieses besteht unter anderem aus Mais, Sonnenblumenkernen, Weizen und anderen Körnern. Um sicherzustellen, dass die Tauben ausreichend artgerechtes Futter erhalten, findet die Fütterung täglich an den gleichen Orten statt. Das Futter wird dort mit einem Bollerwagen hingebracht, mit einer großen Schaufel aus den Säcken geschöpft und mit einer schnellen, schwungvollen Bewegung auf den Boden geworfen.

Die Organisation dieser Fütterung erfolgt durch verschiedene Mitglieder des Vereins, die nach einem festgelegten Plan eingeteilt werden. Unsere Ansprechpartnerin geht ungefähr einmal im Monat auf Fütterungstour, andere Mitglieder gehen teilweise mehrmals die Woche. Die Witterungsverhältnisse sind dabei irrelevant. 

“Wir gehen bei jedem Wetter raus zum Füttern. Wir Menschen haben ja auch bei jedem Wetter Hunger und Durst.”

Die Hauptakteur*innen dieser Sorgepraktik sind die Mitglieder des Vereins, die aus verschiedenen sozialen Hintergründen stammen. Einige sind schon seit 2015 dabei, andere, wie zum Beispiel unsere Ansprechpartnerin, sind später dazu gekommen. Laut ihr sind die meisten Mitglieder Empfänger*innen von Rente oder Grundleistungen. Sie selbst wollte “auch mal was machen”, dabei ist sie auf Tauben als spezifisches Subjekt der Pflege eher zufällig damals durch einen Facebook-Beitrag aufmerksam geworden.

Wichtige Werkzeuge und Hilfsmittel umfassen Futter, Schaufeln, Bollerwagen sowie Kescher und Transportboxen. Ohne das Futter könnte die Sorgepratik nicht stattfinden. Es ist das wichtigste Werkzeug der Akteur*innen. Da es dem Verein darum geht, den Tieren ein möglichst artgerechtes Leben zu ermöglichen, wird ein spezielles Taubenfutter verwendet. Dieses besteht aus verschiedenen Getreide- und Körnersorten und wird extra für Tauben zusammengesetzt. In der Stadt fällt es den Tieren schwer, für sie gesundes und geeignetes Futter zu finden, dies führt dazu, dass sie häufig für sie ungeeignete Nahrung zu sich nehmen, wie z.B. Lebensmittelreste von Menschen und Müll.

Abbildung 3: Bollerwagen (eigene Aufnahme)

Die Schaufel, Abbildung 2, stellt ein weiteres wichtiges Werkzeug dar. Sie ist nötig, um das Futter aus den Säcken zu holen, zu dosieren und zu verteilen. An jeder Fütterungsstelle werden mehrere Schaufeln Futter ausgestreut. Ein weiteres wichtiges Werkzeug in der Sorgepraktik der Taubenfütterung ist der Bollerwagen, Abbildung 3. Dieses einfache, aber effektive Transportmittel ermöglicht es den Akteur*innen, die 75 kg Futter zu den verschiedenen Futterstellen zu bringen. Der Bollerwagen ist robust und leicht zu manövrieren, was ihn ideal für den Einsatz in der Stadt macht. Er wird verwendet, um das Futter vom Lagerort zu den Futterstellen zu transportieren und erleichtert so die tägliche Arbeit erheblich. Kescher und 

Transportbox waren bei der von uns begleiteten Tour nicht mit dabei, aber wurden von dem Mitglied des Vereins als wichtiges Werkzeug identifiziert. Sie werden benötigt, um ein verletztes oder krankes Tier einzufangen und sicherzustellen. Das Vorgehen, wenn verletzte Tiere gesichtet werden, wird vom Vereinsmitglied wie folgt beschrieben:

“Verletzte Tauben sichern wir meistens. Oft kümmern wir uns zuhause selbst um die verletzten Tauben. Die anderen vom Verein erklären einem, wie das geht. Wenn die Taube wieder gesund ist, setzen wir sie an einem bestimmten Ort in den Wallanlagen aus, das ist später auch unsere letzte Station für heute. Da ist es ruhig genug.”

Für die Mitglieder des Vereins ist die Sorgearbeit eine tief verwurzelte Motivation. Die verschiedenen Formen von Sorgearbeit umfassen die tägliche Fütterung, das Einfangen und Versorgen verletzter Tiere sowie die Organisation und Koordination der Fütterung. Diese Arbeit wird oft aus persönlicher Überzeugung und Mitgefühl für die Tiere geleistet.

Die Akteur*innen beschreiben ihre Sorgearbeit als eine notwendige Maßnahme, um das Leid der Tauben zu lindern und ihre Lebensqualität zu verbessern. Diese Arbeit wird von ihnen selbst als erfüllend und bedeutungsvoll angesehen, da sie direkt das Leben der Tiere verbessert. Wie wir beobachten konnten, wurde die Arbeit auch verbal verteidigt, wenn Passant*innen negativ auf das Füttern reagierten. Dies passierte öfter während unserer Fütterungstour. Bei der von uns begleiteten Fütterung kam dies, nach Aussage von unserer Ansprechpartnerin, besonders häufig vor. Das könnte daran liegen, dass die Tauben zurzeit sehr viel mediale Aufmerksamkeit erhalten. So gibt es in Bremen aktuell eine Debatte über die Einführung eines Fütterungsverbots für Tauben in der Innenstadt. Dieses soll jedoch nur für Privatpersonen gelten und nicht für Vereine, wie den Stadttauben e.V. Im August will die Bürgerschaft erneut über das Fütterungsverbot entscheiden (buten un binnen 2024a). Auch bekam die Stadt Limburg bezüglich eines Bürgerentscheids, der über die Tötung von Tauben entscheiden sollte, sehr viel Aufmerksamkeit (hessenschau 2024).

Abbildung 4: Ausgelegtes Futter auf dem Domshof (eigene Aufnahme)

Ein Thema, das häufig mit Stadttauben assoziiert wird und für einen schlechten Ruf sorgt, sind Krankheiten und der Mythos, dass die Tiere Krankheitsüberträger sind. Damit will der Verein aufräumen. Unsere Ansprechperson bezieht dazu Stellung:

“Das mit den Krankheiten, die von Tauben übertragen werden, ist totaler Quatsch. Ich leb noch!  Und wenn eine Katze dich beißt, musst du sofort ein Antibiotikum nehmen. Und dann wird gesagt, dass Tauben ansteckend sein sollen. Ich selbst hatte auch jahrelang Diskussionen mit meinen Eltern, weil ich die Tauben mit nach Hause genommen hab. Nachdem eine Freundin die angerufen hat und sie zur Schnecke gemacht hat, haben sie bei mir angerufen und sich entschuldigt. Seitdem akzeptieren sie das.”

Ihr zufolge übertragen Tauben in keinem relevanten Ausmaß Krankheiten. Doch auch wenn dem so sein sollte, könnte die Sorgepraktik der Ausbreitung von potenziellen Krankheiten entgegenwirken, da gut gefütterte und unverletzte Tauben ein stärkeres Immunsystem haben und weniger krank werden. Diese Aussage wird durch die theoretische Perspektive des One-Health-Ansatzes ergänzt. Er betrachte die Gesundheit von Menschen, Tieren und Umwelt als miteinander verknüpft und wird von den Vereinten Nationen definiert als “die gemeinsame Anstrengung verschiedener Disziplinen, die auf lokaler, nationaler und globaler Ebene zusammenarbeiten, um eine optimale Gesundheit für Menschen, Tiere und unsere Umwelt zu erreichen“ (Vereinte Nationen nach Papadopoulos/Wilmer 2011: 2). Dies bedeutet, dass jede Veränderung in einem dieser Bereiche Auswirkungen auf die anderen hat (Papadopoulos/Wilmer 2011: 2–3). In unserem Fallbeispiel zeigt sich diese Theorie in der Praxis des Taubenfütterns und -pflegens. Indem der Verein darauf achtet, dass die Tauben gesund bleiben und bei Verletzungen und Krankheiten der Tiere diese von den anderen separiert, trägt er nicht nur zu deren Wohlbefinden bei, sondern unterstützt auch die allgemeine Gesundheit und Hygiene der städtischen Umgebung. Dies mindert das Risiko von zoonotischen Krankheiten, die auf Menschen übertragbar sind. Durch die Pflege und Rehabilitation verletzter Tauben, die oft in Pflegestellen oder Tierheimen betreut werden, zeigt der Verein, wie eng die Gesundheit von Tieren und Menschen miteinander verbunden ist.

Die Multispezies-Ethnographie wird genutzt, um die Verbundenheit beziehungsweise Untrennbarkeit von Menschen und anderen Lebewesen anzuerkennen (Ameli 2022: 608). Sie erweitert “die soziologische Ethnographie um den Perspektivwechsel hin zu den Akteuren der mehr-als-menschlichen-Welt” (Ameli 2022: 608) und stellt den kollaborativen Perspektivwechsel in den Mittelpunkt. Im Fall der Fütterung der Tauben durch den Stadttauben Bremen e.V. zeigt sich, wie der Verein die Tiere in ihre Arbeit einbezieht und dass die Tauben nicht nur als passiver Empfänger menschlicher Fürsorge gesehen werden, sondern sich eine Bindung zwischen den Mitgliedern des Vereins und den Tieren aufgebaut hat. Diese beschreibt unsere Ansprechperson wie folgt “Die Tauben sind zutraulich. Sie können sich Gesichter merken. Am Ansgariplatz zum Beispiel wissen die schon Bescheid und fliegen uns direkt zugeflogen.”

Die Arbeit des Stadttauben Bremen e.V. stellt eine Sorgepraktik für Naturen innerhalb der Stadt dar und sorgt für eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Tauben vor Ort. Allerdings hilft ihre Arbeit nicht dabei die Population der Tiere auf artgerechte Art und Weise zu reduzieren. Laut dem Verein ist der einzige Weg die Taubenbestände innerhalb von Städten nachhaltig zu reduzieren der Aufbau und die Pflege von betreuten Taubenhäusern. In denen werden die Gelege der Tiere durch künstliche Eier ausgetauscht, sodass es zu keinem Ausbrüten der Küken kommt. In Bremen wurde im Juni 2024 ein betreutes Taubenhaus in der Stadt eröffnet, das genau dieses Ziel verfolgt (buten un binnen 2024b).

Literaturverzeichnis

Ameli, Katharina/Poferl, Angelika (Hrsg.) Schröer, Norbert (Hrsg.) (2022): Multispezies-Ethnographie. Wiesbaden. Springer VS

buten un binnen (Hrsg.) (2024a): Bremen verschiebt Taubenfütter-Verbot für die Innenstadt. Text abrufbar unter https://www.butenunbinnen.de/nachrichten/taubenfuettern-verbot-bremen-102.html (Zugriff am 24.7.2024).

buten un binnen (Hrsg.) (2024b): Neues Taubenhaus in Bremen eröffnet. Abrufbar unter https://www.butenunbinnen.de/videos/taubenhaus-tauben-bremen-100.html (Zugriff am 15.7.2024)

Hessenschau (Hrsg.) (2024): Bürgerentscheid. Bürger in Limburg stimmen für Tauben-Toten. Text abrufbar unter https://www.hessenschau.de/politik/buergerentscheid-mehrheit-der-buerger-in-limburg-stimmt-fuer-tauben-toeten–v3,buergerentscheid-limburg-tauben-toetung-100.html (Zugriff am 29.7.2024)

Papadopoulus, Andrew/Wilmer, Sarah/National Collaborating Centre for Environmental Health (Hrsg.) (2011): One Health: A primer.

Puig de la Bellacase, Maria (2017): Matters of Care. Minneapolis: University of Minnesota Press.