Autor:innen: Lennart Beermann, Moritz Diercks und Helena Petrick
Beschreibung der Praktik
Die Blühstreifen im Rembertikreisel zwischen den Bremer Stadtteilen Bahnhofsvorstadt und Ostertor wurden 2016 angelegt. Dies geschah in Zusammenarbeit zwischen dem Landesverband Bremen, des BUND und dem Umweltbetrieb Bremen. In diesem Beitrag werden die damit verbundene Sorgepraktik, die Bedeutung der Sorge für die beteiligten Akteur*innen und die verknüpften politischen Implikationen thematisiert. Die Blühstreifen wurden im Rahmen des Projektes ‘Bremen blüht auf’, welches von 2013 bis 2016 lief, angelegt.
Das Projekt umfasst zudem diverse weitere Blühflächen, wie zum Beispiel jene am Hochschulring. Der BUND hat das Projekt mit der Zielsetzung der “[…] Schaffung von Nahrungsressourcen für Wildbienen und Schmetterlinge in öffentlichen städtischen Grünanlagen und die langfristig erhaltene Pflege der Blühflächen durch den Umweltbetrieb Bremen durchgeführt” (Salomon 2021: 3). Es wurden die Blühflächen auf dem Rembertiring als Untersuchungsgegenstand ausgewählt, weil diese eine besondere Lage in der Stadt aufweisen. Im weiteren Verlauf soll auch der Frage nachgegangen werden, welche Rolle eine solche Fläche für Wildbienen und andere Insekten in der Stadt spielt.
Frau Schumacher, Mitarbeiterin des BUND, hat uns in einem Interview vor Ort den Ablauf des Anlegens von Blühstreifen genauer erläutert. Zunächst muss die Fläche für die Aussaat vorbereitet werden, hierbei werden mit Hilfe eines Treckers und einer Fräse die Grassoden entfernt. Hierfür muss der Boden ca. 30 cm tief gefräst werden, um das Saatbett optimal vorzubereiten. Im Anschluss wird das Saatgut ausgebracht und angewalzt, da es sich bei den Pflanzen um Lichtkeimer handelt und diese auf der Erde aufliegen müssen. Zudem sollte es sich um regional hergestelltes Saatgut von heimischen Blühpflanzen handeln. Auch der Zeitpunkt der Aussaat ist essentiell. Hierzu stellt Frau Schumacher folgende Punkte heraus: “Unsere Erfahrung zeigt, dass es besser ist, die Flächen im August anzulegen, weil es im Frühjahr in den letzten Jahren oft sehr trockene Phasen gab […]”
Im Wachstum muss teilweise auch Sorge für die Pflanzen geleistet werden, wie Frau Schumacher im Interview erläutert:
„Es muss ausreichend feucht sein, um eine Trockenphase zu vermeiden. […] Das Entfernen unerwünschter Pflanzen ist oft nicht leistbar und erfordert große Artenkenntnis. Ehrenamtliche Helfer haben hier viel beigetragen, um Pflanzen wie dominanten Klee zu entfernen.”
Außerdem werden die Flächen um die Blühstreifen herum regelmäßig gemäht, weil direkt am Rand eine Verkehrssicherungspflicht besteht. Diese verhindert zum Beispiel das Hineinwachsen von Pflanzen in den Straßenraum.
Frau Schumacher hat uns ebenfalls den Mähvorgang und die Notwendigkeit von Nisthilfen erläutert und nähergebracht. Auch der Blühstreifen selber wird ein- bis zweimal im Jahr, im Optimalfall mit einem Balkenmäher, gemäht, um weniger dominanten Pflanzen das Durchdringen zu ermöglichen. Zudem müssen Blühstreifen, je nach Saatgut, circa alle drei Jahre erneuert werden, damit die Vielfalt der Pflanzen bewahrt werden kann. Letztlich ist nicht nur die Bereitstellung von Nahrung in Form von Blühflächen für den Erhalt von Insekten von Nöten. Auch geeignete Nistmöglichkeiten müssen vorhanden sein. Andere Insekten, wie zum Beispiel Wildbienen, brauchen Sand oder bewohnen Mauerritzen in der Umgebung des Rembertikreisels, wie uns Frau Schumacher erläuterte.
Akteur*innen
Die Blühstreifen auf dem Rembertiring werden von verschiedenen Akteur*innengruppen angelegt und gepflegt. Zum einen spielt der BUND Bremen eine entscheidende Rolle. Dieser hat das Projekt angeleitet und behält immer noch eine beratende Funktion. Unsere Interviewpartnerin Frau Schumacher war von Beginn an an dem Prozess der Entstehung des Blühstreifens involviert. Mittlerweile führt der Umweltbetrieb Bremen selbstständig die Pflege des Blühstreifens durch und legt weitere in der Stadt Bremen an, wenn Flächen und Geld vorhanden sind. Teilweise stellt dieser zur Pflege von unterschiedlichen Flächen auch Subunternehmen ein. Die dritte Akteursgruppe sind die Ehrenamtlichen. Innerhalb des BUND hat sich der Arbeitskreis Bienen und Blüten gebildet, der sich zur Aufgabe gemacht hat, die vom Umweltbetrieb angelegten Flächen zu pflegen, da dieser nicht die Kapazitäten hat, dies hinreichend zu tun. Die im Blühstreifen lebenden Tiere könnten ebenfalls als Akteure des Netzwerks angesehen werden, weil diese mit dem Blühstreifen interagieren, diesen pflegen und somit auch zum Erscheinungsbild beitragen. Über den Fußweg in Höhe der Straße Fedelhören haben Anwohner*innen und Passant*innen die Möglichkeit, mit den Blühstreifen neben dem Kreisel zu interagieren. Zum Beispiel konnte beobachtet werden, dass Anwohner*innen ihre Hunde auf dem Rembertiring ausführen und dadurch den Blühstreifen teilweise zerstören, weil diese nicht auf die angelegten Pflanzen achten. Gleichzeitig kann dieser Bereich auch zur Erholung oder Information über Insekten und deren Lebensraum dienen.
Bedeutung und Wirkung der Praktik
Sowohl Frau Schumacher als auch der Arbeitskreis Bienen und Blüten haben uns keine Interessenkonflikte mitgeteilt. Im Gegenteil: Mittlerweile besteht eine gute Zusammenarbeit mit dem Umweltbetrieb Bremen, welcher nun auch über gemeinsame Projekte mit dem BUND und der hier beschriebenen Praktik hinaus Blühflächen angelegt hat. Auch im Austausch mit städtischen Behörden wird per se kein Konflikt attestiert. Trotzdem birgt das Anlegen von Blühflächen einige Schwierigkeiten. Die Praktik unterliegt häufig dem Geldmangel und der zusätzlichen Verwaltungsarbeit. Weiter kam es in der Vergangenheit häufiger zu Problemen mit Subunternehmen des Umweltbetrieb Bremens, welche aus Ermangelung eines Katasters teilweise Blühstreifen nicht als solche erkannt und daher abgemäht haben. Auch die Zusammenarbeit mit dem Amt für Straßen und Verkehr hat Frau Schumacher thematisiert. Von jenem Amt beauftragte Tiefbaufirmen tragen häufig teuren Mutterboden zum Abschluss von Bauarbeiten auf. Hier könnten Kosten gespart werden, da die zuvor verwendeten sandigen Böden für die Aussaat von Blühstreifen und das Nisten von Insekten vorteilhaft sein können.
Die Stadt konnte durch die Bepflanzung des Rembertirings eine Zunahme der Artenvielfalt bezüglich Wildbienen verzeichnen. Der Blühstreifen weist eine hohe Diversität und Dichte an Pollenpflanzen auf, die für Wildbienen wichtig sind, und kann somit eine hohe Anzahl insbesondere an solitären Wildbienenarten versorgen. Daher können auch diese kleinräumigen Flächen einen großen Beitrag für die Erhaltung der Artenvielfalt leisten (Salomon 2021: 14-16).
Trotz der Wichtigkeit dieses Standortes für Insekten stehen schon länger Pläne fest, den Rembertiring zu bebauen. Jedoch gibt es noch keinen genauen Zeitplan für die Umsetzung. Laut Frau Schumacher hatte der BUND an den Umgestaltungsplänen für den Rembertiring kein Mitspracherecht. Der Rembertiring wurde im Zuge der nicht realisierten Mozarttrasse in den 1960er Jahren gebaut. Dadurch ist seine geplante Funktion hinfällig geworden. Die neuen Pläne sehen ein Wohngebiet vor, das auf dem jetzigen Rembertikreisel entstehen soll. Frau Schumacher hofft, dass eventuelle Vorgärten den genommenen Lebensraum auffangen können.
Bedeutung für die Akteur*innen
Anhand unserer Interviewpartner*innen lässt sich heraushören, dass der Kontakt zur Natur als sehr wertvoll erlebt wird (AK Bienen und Blüten). Die drohende Ausrottung vieler Wildbienenarten hat die Interviewpartnerin veranlasst dem AK Bienen und Blüten beizutreten und somit anhand ihrer ehrenamtlichen Arbeit gegen das Artensterben vorzugehen. Ein Teil der Sorgearbeit ist das Entfernen von Beikraut und dominanten Pflanzen wie Klee oder Pappelschößlingen, damit der Blühstreifen nicht überwuchert. Zudem wurde an einigen Stellen nachgesät und weitere Pflanzen gepflanzt. Die Aufstellung von Nisthilfen für Wildbienen und die Pflege der vom Umweltbetrieb gesäten Futterpflanzen, ist ebenfalls eine Sorgepraktik des AK Bienen und Blüten. Eine weitere Sorgepraktik sind die intern organisierten Schulungen und Exkursionen, die die Interviewpartnerin noch mehr motivierten, ihre Arbeit und das Wissen auszuweiten. Auch den Befund eines Biologen, der auf dem Rembertikreisel 29 Wildbienenarten ausmachen konnte, war ein besonderer Motivationsschub für die Interviewpartnerin:
“[…] Diese Nachricht war für mich ein besonderer Motivationsschub, weil ja die Wildbienen in ländlichen Gebieten großflächig aussterben und die Stadt paradoxerweise auch durch unsere Arbeit mittlerweile der bessere Lebensraum ist.”
Auch, wenn die Arbeit auf dem Rembertiring nicht die angenehmste ist, ist sie trotzdem für die Interviewpartner*innen erfüllend, weil sie um die Wirksamkeit ihrer Arbeit wissen. “Durch den Verkehrslärm auf dem Kreisel ist die Tätigkeit dort nicht immer ein ungetrübtes Naturerlebnis, aber das Wissen um die Wirksamkeit der Arbeit ist sehr befriedigend.” (AK Bienen u. Blüten).
Theoretische Einbettung
Puig de la Bellacasa betont in ihrem Werk “Matters of Care: Speculative Ethics in More-than Human Worlds” (Puig de la Bellacasa 2017) die Bedeutung von Sorge als ethische Praxis, die sich auf mehr als nur menschliche Akteur*innen erstreckt. Sie argumentiert, dass Sorge eine Beziehung zwischen verschiedenen Akteur*innen, sowohl menschlichen als auch nicht menschlichen beinhaltet und dass diese Beziehungen oft vernachlässigt werden. Die Blühstreifen im Rembertikreisel können als Beispiel für eine solche Sorgepraxis gesehen werden.
- Mehr-als-menschliche Beziehungen: Die Anlage und Pflege der Blühstreifen sind eine direkte Interaktion zwischen Menschen (z. B. BUND, Umweltbetrieb Bremen, Ehrenamtliche) und nicht-menschlichen Akteuren (Wildbienen, Schmetterlinge, Pflanzen). Diese Interaktionen zeigen, wie menschliche Akteur*innen aktiv Sorge für nicht-menschliche Lebensformen tragen und wie diese Lebensformen wiederum die Stadtökologie beeinflussen.
- Ethik der Sorge: Die Entscheidungen, die bei der Anlage und Pflege der Blühstreifen getroffen werden (z. B. Wahl des Saatguts, Zeitpunkt der Aussaat, Gießpraktiken), basieren auf einer ethischen Verpflichtung gegenüber den Bedürfnissen der Insekten und Pflanzen. Diese Praktiken reflektieren eine Form der ethischen Sorge, die über rein menschliche Interessen hinausgeht.
Steele, Wiesel und Maller untersuchen in ihrem Werk “More-than-Human Cities: Where the Wild Things Are” (Steele et al. 2019) die Interaktionen zwischen menschlichen und nicht menschlichen Akteuren in städtischen Umgebungen und wie diese Beziehungen Städte formen können. Ebenso diskutiert Davis in “The caring city. Ethics of Urban Design” (Davis 2022) die ethischen Aspekte der Stadtplanung und wie Städte gestaltet werden können, um Fürsorge und Gerechtigkeit zu fördern:
- Städtische Biodiversität: Die Blühstreifen im Rembertikreisel tragen zur städtischen Biodiversität bei, indem sie Lebensräume für Wildbienen und andere Insekten schaffen. Dies zeigt, wie Städte als mehr-als-menschliche Räume gestaltet werden können, die sowohl menschliche als auch nicht-menschliche Bedürfnisse berücksichtigen.
- Ko-Konstruktion des städtischen Raums: Die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Akteuren (z. B. BUND, Umweltbetrieb Bremen, Ehrenamtliche) zeigt, wie der städtische Raum durch kooperative Sorgepraktiken gestaltet wird. Diese Ko- Konstruktion führt zu einer inklusiveren und ökologischeren Stadtgestaltung.
Insgesamt zeigt sich, dass die Anlage und Pflege der Blühstreifen im Rembertikreisel als Beispiel für eine mehr-als-menschliche Sorgepraxis betrachtet werden können und eine wichtige Rolle für Wildbienen und andere Insekten in der Stadt spielt, in dem diese als Lebensraum und Nahrungsquelle genutzt werden. Diese Praktik zeigt, wie ethische Sorge, kooperative Stadtgestaltung und die Förderung der städtischen Biodiversität ineinandergreifen, um eine nachhaltige und inklusive Stadt zu schaffen. Durch die Sicht von Puig de la Bellacasa, Steele et al. und Davis können wir die Blühstreifen als eine konkrete Umsetzung von theoretischen Konzepten verstehen, die betonen, dass Städte nicht nur für Menschen, sondern auch für andere Lebewesen gestaltet werden müssen.
Litaraturverzeichnis
DAVIS, J. (2022): The caring city. Ethics of Urban Design. Bristol: Bristol University Press, S. 1-10.
PUIG DE LA BELLACASA, M. (2017): Matters of care. Speculative ethics in more than human worlds. Minneapolis: University of Minnesota Press, S. 1-24.
SALOMON, J. P. (2021): Übersichtserfassung der Wildbienen in ausgewählten Blühstreifen des BUND-Projektes „Bremen blüht auf“. https://www.bund-bremen.net/fileadmin/bremen/Publikationen/2021_BUND-Projekt_Bremen blueht-auf_Wildbienen-Erfassung_Bluehstreifen_korr_04.11.2021.pdf (letzer Aufruf 22.07.2024)
STEELE, W., WIESEL, I., & MALLER, C. (2019). More-than-human cities: Where the wild things are. Geoforum, 106, 411-415.
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