Es war einmal …

Prüfungsleistung [Teresa Krems]

Es war einmal eine junge, einsame Kerze. 

Sie war aus glattem Wachs, dass flüssig wie Öl wurde, wenn man den weißen Docht an ihrer Spitze anzündete. Ihre Farbe war gelb. Aber auch orange. Eine Mischung aus Sonnengelb und Mandarinenorange. Rapsgelb. Sie war ungefähr dreißig Zentimeter hoch, hatte einen Münz-breiten Durchmesser und roch ganz leicht nach Orange.

Ihr vorübergehendes Zuhause war ein kleiner Laden in der Bremer Neustadt, der ganzjährig Weihnachtsdekoration verkaufte. Allerdings griffen die meisten Kunden*innen zu den blutroten, schneeweißen oder vanillefarbenen Kerzen. Denn kaum jemand wollte sich sein*ihr Zuhause mit Kerzen schmücken, die sich mit der gesamten glitzernden, traditionellen Weihnachtsdekoration bissen. Und auch ihre Form machte es ihnen nicht leichter, denn meistens waren die Leute auf der Suche nach Teelichtern oder breiten Kerzen.

Die einsame Kerze hingegen war eher eine Baumkerze. Allerdings wurde diese Kerzenart immer mehr von Elektrizität ersetzt. Denn statt brennende Kerzen an die Zweige zu stecken, wurden nun Kabel mit kleinen Glühbirnchen um die Tannen und Fichten gewickelt.

Schon eine gefühlte Ewigkeit lag die Kerze in dem Laden. Doch das war besser als in den Tiefen irgendeiner Schublade zu verstauben. Oder beim Ausmisten der Menschen in der Mülltonne zu landen. Sie hatte die Hoffnung von einem netten Menschen gekauft zu werden schon fast aufgegeben, als acht Tage vor Weihnachten ein sechsjähriges Mädchen mit ihrer Mutter den Laden betrat.

Sie waren auf der Suche nach kitschigem Weihnachtsschmuck. Und stundenlang füllte das Mädchen den Einkaufskorb mit pinkem Lametta, goldenen Kugeln und schwarzen Sternen, als sie schließlich kurz vor der Kasse stehen blieb. Genau vor den Kerzenregalen.

Obwohl die Mutter ihr erklärte, dass Kerzenfeuer gefährlich sei und sie Lichterketten auf dem Dachboden hätten, wurde sie von ihrer Tochter auf magische Weise überzeugt doch eine der orange-gelben Baumkerzen für Heiligabend zu kaufen.

Und so fand die einsame rapsgelbe Kerze ihr Zuhause und brannte strahlend und wunderschön für die Familie des Mädchens bis sie eines Tages stolz ausbrannte. Denn sie hatte die Hoffnung nie aufgegeben.

 

– Teresa

 

[Dieser Text entstand im Zuge einer Aufgabe in unserem Tutorium, bei der wir einen Gegenstand auf kreative Weise beschreiben sollten.]

4 comments

  1. Annika (Tut) says:

    Hallo Teresa,

    ich bin ganz begeistert, wie du die Beschreibung der Kerze in deine Geschichte einbinden konntest. Die Form und die Farbe kamen sehr gut zur Geltung. Außerdem hast du auch den Geruch beschrieben. Dass du dir eine Hintergrundgeschichte ausgedacht hast, warum die Kerze im Museum der vergessenen Gegenstände gelandet sein könnte, ist auch eine kreative Idee! Vielen Dank fürs Teilen. Es hat mir Spaß gemacht, deinen assoziativen Text zu lesen!

    LG Annika

  2. Jan says:

    Hi Teresa,
    Ich finde deinen Geschichte sehr unterhaltsam. Ich glaube es gibt viele einsame Kerzen in verstaubten Schubladen. Doch es wird immer ein Tag kommen an dem sie ihre Aufgabe erfüllen.

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