Mehrsprachigkeit als Ausgangspunk und Ziel schulischer Bildung in der gymnasialen Oberstufe

1. An Ihrem Gymnasium gibt es einen – wie üblich sehr heterogen besetzte – Vorkurs, in welchem sogenannte Seiteneinsteiger*innen Deutsch lernen und auf die Teilnahme am Regelunterricht vorbereitet werden. Für einige wird nun der endgültige Übergang in die Regelklasse diskutiert. Ein Großteil der Lehrpersonen plädiert – mit Verweis auf die noch nicht vollständig ausreichenden (bildungssprachlichen) Deutschkenntnisse – die Schüler*innen an eine Oberschule zu überweisen, obwohl die Schüler*innen hinsichtlich ihrer Lernfähigkeit und ihrer Vorbildung eigentlich die Voraussetzungen für das Gymnasium mitbringen und gerne an der Schule bleiben würden, da sie dort durch die Teilintegration in die Regelklassen auch schon Kontakte zu anderen Schüler*innen geknüpft haben. Nehmen Sie auf Basis der Vorlesung Stellung dazu.

Die mangelnden Deutschkenntnisse sollten meiner Meinung nach nicht zu einer Überweisung an eine andere Schule führen. Diese Schüler*innen sollten das Recht haben bleiben zu dürfen, solange sie die Vorraussetzungen für das Gymnasium mitbringen. Noch dazu sollte die Sicht der Schüler*innen mit in die Entscheidung einfließen, denn das Wohlergehen der Kinder ist das wichtigste und nur so kann man das Maximum aus ihnen rausholen. Außerdem wird es sehr schwer für die Seiteneinsteiger*innen neue Freunde zu finden an ihrer neuen Schule, gerade weil sie nicht so gut Deutsch sprechen und es wahrscheinlich sehr lange gedauert hat sich einzufinden und akzeptiert zu werden. Dazu gehört auch die Trennung ihrer Freunde an der alten Schule, die es ihnen schwer macht darüber hinweg zu kommen. Der einzige ausreichende Grund für einen Übergang wäre eine schlechte Lernfähigkeit und Schwierigkeiten beim Weiterbilden aufgrund ihrer mangelnden Sprachkenntnisse, was dafür sorgt, dass sie überhaupt nicht mithalten können. Dies ist aber hier nicht der Fall gewesen. Es lassen sich keine Aussagen über die Kompetenzen eines Individuums in Verbindung zur deutschen Sprache treffen. (Folie 10) 

2. Welche Erfahrungen mit Mehrsprachigkeit – in der hier verstandenen breiten Sicht – in Schule und Unterricht (selbst als Schüler*in und/oder Praxiserfahrungen als unterrichtende Person) haben Sie bislang gemacht? Reflektieren Sie diese Erfahrungen vor dem Hintergrund dieser Vorlesung.

Ich selbst bin mehrsprachig aufgewachsen, genau so wie alle meine Freunde und die meisten Menschen an meinen bisherigen Schulen. Was nicht heißen soll, dass wir die Sprache vernachlässigt haben, im Gegenteil, wir alle konnten viel besser Deutsch als unsere Muttersprache sprechen. Natürlich gab es trotzdem Nachteile gegenüber, denjenigen die Muttersprachlich mit Deutsch aufgewachsen sind und rund um die Uhr mit dieser Sprache im Austausch stehen, denn wir konnten unsere Eltern nicht nach Hilfe fragen wenn wir was nicht verstehen konnten, genau andersrum, unsere Eltern fragten uns nach irgendwelchen Übersetzungen.  Die Individualität und Vielfalt der Sprachen und Kulturen fand ich aber gerade deshalb sehr spannend. Genau wie bei den idealtypischen Unterscheidungen gab es welche, die seit dem sie auf die Welt gekommen sind die deutsche Sprache beigebracht bekommen haben, bei denen die Familiensprache Deutsch ist und die einen vollständigen Erwerb der Sprache erzielen konnten. Andererseits gab es andere die erst im Alter von 6-10 anfingen die Sprache zu lernen, die mit einer anderen Familiensprache aufgewachsen sind, begrenzte Lernmöglichkeiten haben und daher meistens einen unvollständigen Erwerb der Sprache erzielten. In der Universität sind Menschen verschiedenster Altersklassen und den unterschiedlichsten Sprachen zu sehen. Ich traf auf überraschend viele Schüler*innen, die Deutsch als Fremdsprache (DaF) erwerben. (Ahrenholz 2008; Boeckmann 2022; Hufeisen & Riemer 2020; Rösler 1994; 2012; Springsits 2012)

3. Was möchten Sie nach dem Besuch dieser Vorlesung bei Ihrer zukünftigen Unterrichtsgestaltung beachten? Welches Wissen und welche Fähigkeiten fehlen Ihnen dafür noch? Was wollen Sie dafür tun?

Ich möchte den mehrsprachigen Schülern mehr Unterstützung bieten und ihnen das einfinden in den Unterricht erleichtern, in dem ich meine Unterrichtsgestaltung auf die Bedürfnisse der Seiteneinsteiger*innen ausrichte, meine Fähigkeiten im Umgang mit verschiedenen Sprachen weiterentwickel und neue Unterrichtsmethoden anwende. Die Mehrsprachigkeit soll als was positives in meinem Unterricht angesehen werden und die Schüler dazu anregen ihre Sprachkenntnisse regelmäßig zu erweitern. Anders als es zurzeit der Fall ist, denn die Mehrsprachigkeit findet bislang kaum Eingang in den Unterricht (Wlossek & Rost-Roth 2016: 105). Mein Gefühl sagt mir, dass ich nicht ausreichend vorbereitet bin und meine Fähigkeiten nicht genügen, wie es bei vielen anderen auch der Fall ist (a.Hammer et al. 2016). Das liegt an den Zweifeln, die ich an meine sprachlichen Kompetenzen habe. Außerdem sollte beachtet werden, dass das Verwenden der Erstsprache fachliche Denk- und Verstehensprozesse fördern und deshalb viel mehr im eigentlichen Unterricht eingebaut werden sollten (Folie 38). Wobei aber jemand wie ich auf große Schwierigkeiten stoßen wird, da ich nur wenige Sprachen beherrsche. Für praktisch halte ich es sich mit den mehrsprachigen Schüler*innen auch umgangssprachlich auszutauschen, mit der sie ohne hin schon täglich konfrontiert werden und sie daher am besten verstehen.

4.Wie muss Schule unserer mehrsprachigen Gesellschaft gestaltet sein? Welche Rahmenbedingungen müssen gegeben sein, damit Sie die Mehrsprachigkeit Ihrer Schüler*innen einbeziehen und einen registersensiblen Fachunterricht gestalten können?

Ich denke das als aller erstens der fördernde Einsatz von Gruppenarbeiten und Diskussionsrunden die sprachlichen Fähigkeiten der Schüler*innen verbessern würden. Dazu sollte sollte auch mehrsprachiges Personal eingestellt werden, die besonders den Seiteneinsteigern behilflich sein können. Außerdem sollten Lehrkräfte regelmäßig in mehrsprachiger Unterrichtsgestaltung geschult werden, um sie in diesen Bereich zu stärken. Eine weitere Methode wäre das Bereitstellen von Materialien in verschiedenen Sprachen, welche den Schüler*innen ermöglich den Inhalt zu vertiefen. Zuletzt wäre begleitender Förderunterricht zum Fachunterricht der Schule vom Vorteil, um sie passend zum regulären Unterricht vorzubereiten. So können wir eine besser Unterstützung für unsere Schüler*innen sein. (Folie 45)

Literaturverzeichnis:

Folie 10;

(Ahrenholz 2008; Boeckmann 2022; Hufeisen & Riemer 2020; Rösler 1994; 2012; Springsits 2012)

(Wlossek & Rost-Roth 2016: 105).

(a.Hammer et al. 2016)

Folie 38

Folie 45


Kommentare

2 Antworten zu „Mehrsprachigkeit als Ausgangspunk und Ziel schulischer Bildung in der gymnasialen Oberstufe“

  1. Avatar von Christina
    Christina

    Du stellst den wichtigsten Aspekt der gegebenen Debatte sehr deutlich dar: Die Schüler sollten nicht aufgrund vermeintlich nicht ausreichender Deutschkenntnisse auf eine Schulform überwiesen werden, die letztlich nicht ihrem Können entspricht. Die Aufgabe betont, dass es vor allem die Bildungssprache ist, welche noch ausgebaut werden kann, das allgemeine Deutsch jedoch – so lese ich es – vollkommen auszurichten scheint, was ihnen definitiv schonmal eine erfolgreiche Mehrsprachigkeit zuspreche (vgl. Grosjean 2020: S. 14). Dies könnten auch die geknüpften Kontakte in der Schule bestätigen, da sie als ein Indiz dafür gelten könnten, dass sie sich gut schulisch und freundschaftlich verständigen können. Und auch, wenn jene Deutschkenntnisse noch ausbaufähig sind, sind besonders Kontakte mit Menschen, die die Sprache schon in vielen Bereichen sehr gut beherrschen – wie die Klassenkameraden – eine große Hilfe und Chance, die fehlenden Teilbereiche des Deutschen kommunikativ zu erlernen. Mit Freunden macht es dazu noch viel mehr Spaß. Da ebenfalls betont wird, wie du es auch in deinem Beitrag korrekt herausstellst, dass die Schüler bleiben wollen und es ihnen mit der Entscheidung der Lehrkräfte nur erschwert würde, Kontakte aufzubauen, ist es unratsam, die Schüler wegzuschicken, weshalb ich dir insgesamt vollkommen zustimme.

    Ich finde es sehr spannend, wie du deine persönliche Erfahrung mit Mehrsprachigkeit beschreibst! Ich selbst bin nur mit Deutsch aufgewachsen, meine Eltern konnten (bis auf gebrochenes Englisch, was wir aber zu Hause nie gesprochen haben), nur Deutsch sprechen. Auch in meinem Umfeld (wie Kindergarten oder Grundschule und in meinem Freundeskreis) wurde eigentlich nur Deutsch gesprochen, weshalb ich erst sehr spät – so richtig erst auf meinem Gymnasium – mit Mehrsprachigkeit konfrontiert wurde. Viele meiner Klassenkameraden und auch Schüler aus anderen Klassen konnten neben Deutsch noch andere Sprachen verstehen, lesen oder sprechen. Das fand ich immer sehr beeindruckend, da ich mir oft vorstellte – und es auch heute noch tue – wie schön es sein muss, mehr als nur Deutsch und Englisch zu verstehen. Denn mein Latein bringt mir heute sprachlich leider nicht viel. Ich denke, auch, wenn es leider heute noch bei vielen als etwas Negatives angesehen wird, wenn man bspw. türkisch oder kurdisch sprechen kann – diese Meinung teile ich nicht – dass es eine Bereicherung für diese Menschen ist. Mich fasziniert das bis heute noch, weswegen mich dein Beitrag auch sehr bereichert hat, da du mir eine Sicht gegeben hast, wie ein Alltag aussehen kann, wenn man nicht direkt mit Deutsch als Erstsprache aufwächst. Dankeschön!

    Ich kann dir nur zustimmen, dass es wichtig ist, seinen Unterricht anzupassen und – das finde ich, hast du besonders gut ausgedrückt – dass man immer wieder betont, dass Mehrsprachigkeit eine Bereicherung und etwas Wundervolles ist! Dabei möchte ich persönlich auch die Sicherheit weitergeben, dass ich nicht nur “Prestige-Sprachen”, welche wir in der Vorlesung angesprochen haben, Wertschätzung zeige, sondern alle meine Schüler unterstützen und bestärken möchte, dass jede Sprache etwas Tolles ist. Dabei möchte ich aber auch betonen, dass ich nicht zwischen “perfekten” mehrsprachigen Schülern und denen unterscheiden möchte, die eine andere Sprache vielleicht nur verstehen, aber nicht selbst sprechen können. Das spielt bei Mehrsprachigkeit nämlich keine Rolle, denn auch das Verstehen habe Anerkennung verdient (vgl. Oksaar 1980: S. 43). Auch denke ich, dass es für mich selbst eine große Bereicherung sein wird, auf die verschiedenen Sprachen aufzubauen und den Schülern mein Interesse zu zeigen, da die Mehrsprachigkeit meinen Schülern auch neue Möglichkeiten des Ausdrückens bietet, von der ich sicherlich etwas lernen kann (vgl. Grosjean 1989: S. 3). Deine Angst, nicht genug zu können, verstehe ich dabei voll und ganz. Meine Zweifel basieren vor allem auf meiner eigenen “Sprachbegrenzung” – d.h. ich kann nur Deutsch und Englisch sehr gut anwenden – andererseits auch auf fehlende Kenntnisse, wie ich Mehrsprachigkeit auch tatsächlich in den Unterricht einbinden kann. Daher hoffe ich sehr, dass ich dazu noch mehr Erfahrung sammeln werde.

    Jede deiner Ideen ist sehr bereichernd und nachvollziehbar, weshalb ich diese durch und durch nur unterstreichen kann, da der Unterricht an Schulen bisher leider wenig zum Thema Mehrsprachigkeit gestaltet worden sei (vgl. Wlossek und Rost-Roth 2016: S. 105). Besonders stimme ich deinem Punkt zu, dass mehrsprachiges Unterrichtsmaterial zur Verfügung gestellt werden sollte. In der Vorlesung hat mich besonders der Punkt interessiert, als ein Beispiel zu einer Gruppenarbeit veranschaulicht wurde, wo vereinzelt deutsche Begriffe wie Joghurt oder Wurst auftauchten, der Rest jedoch in einer anderen Sprache gesprochen wurde (vgl. Dirim 1998: S. 84f.). Wenn das Ziel der Gruppenarbeit nicht das Sprechen auf Deutsch ist, sondern eher inhaltliche Aspekte gefordert sind, halte ich es für sehr sinnvoll, Schüler in den Sprachen reden zu lassen, in denen sie sich am besten ausdrücken können, solange die Ergebnisse für alle deutlich formuliert werden. Wenn daher auch, wie du es mit dem allgemeinen Material vorschlägst, auch dieses in verschiedenen Sprachen zur Verfügung gestellt würde, kann ich mir gut vorstellen, dass die Schüler produktiver arbeiten können.

    Quellen:
    Dirim, İnci (1998): „Var mı lan Marmelade?“ – Türkisch-deutscher Sprachkontakt in einer Grundschulklasse. Münster: Waxmann.
    Grosjean, Francois (2020): Individuelle Zwei- und Mehrsprachigkeit. In: Gogolin, Ingrid, Hansen, Antje, McMonagle, Sarah. & Rauch, Dominique (Hrsg.): Handbuch Mehrsprachigkeit und Bildung. Wiesbaden: Springer VS, 13–21.
    Grosjean 1989: S. 3 (keine Angabe im Literaturverzeichnis, daher Verweis auf Folie 14).
    Oksaar, Els (1980): Mehrsprachigkeit, Sprachkontakt, Sprachkonflikt. In: Melde, Peter H. (Hrsg.): Sprachkontakt und Sprachkonflikt. Wiesbaden: F. Steiner, 43–52.
    Wlossek und Rost-Roth 2016: S. 105 (keine Angabe im Literaturverzeichnis, daher Verweis auf Folie 34).

  2. Avatar von Besfort
    Besfort

    Ergänzung zum Literaturverzeichnis:
    Folie 10 (Springsits, Birgit (2012): Deutsch als Fremd- und/oder Zweitsprache? (K)eine Grenzziehung. ÖDaF Mitteilungen 1, 93– 103.) ;
    Ahrenholz, Bernt (2008): Erstsprache – Zweitsprache – Fremdsprache. In: Ahrenholz, Bernt; Oomen-Welke, Ingelore (Hrsg.): Deutsch als Zweitsprache. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren (Deutschunterricht in Theorie und Praxis, 9). ;
    Boeckmann, Klaus-Börge (2022): Deutsch lernen als …Erstsprache – Zweitsprache – Fremdsprache. Kontroversen und
    Konvergenzen. Plenarvortrag im Rahmen des D-A-CH-Seminars 2022, 25. April 2022. https://dach-seminar.org/wp-
    content/uploads/2022/05/Plenarvortrag_Boeckmann.pdf ;
    Hufeisen, Britta; Riemer, Claudia (2010): Spracherwerb und Sprachenlernen. In: Krumm, Hans-Jürgen; Fandrych, Christian;
    Hufeisen, Britta; Riemer, Claudia (Hrsg.): Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Ein internationales Handbuch. Halbband 1. Berlin: de Gruyter, 738–753. ;
    Rösler, Dietmar (2012): Deutsch als Fremdsprache. Eine Einführung. Stuttgart & Weimar: Metzler. ;
    (Wlossek & Rost-Roth 2016: 105). ;
    (a.Hammer et al. 2016) ;
    Folie 38, Studie von Meyer & Prediger (2011): Wertschätzung der Erstsprache führte zur Nutzung der Erstsprache als Arbeitssprache, was wiederum zum ganzheitlicheren Verständnis von mathematischen Konzepten führte. ;
    Folie 45, (Dirim & Pokitsch 2017: 106) ;

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