A.1: Benennen Sie die für Sie zentralsten (mindestens zwei verschiedene, gerne auch mehr) theoretischen Erkenntnisse (auf allgemeine Konzepte oder empirische Studien aufbauend), die Sie aus den Vorträgen der Ringvorlesung mitgenommen haben. Nehmen Sie dabei Bezug auf:
a.) unterschiedliche fachdidaktische Aspekte. Übertragen Sie, wenn möglich, die in der Ringvorlesung gewonnenen Erkenntnisse auf die Didaktiken der von Ihnen studierten Fächer.
b.) generelle Erkenntnisse zur Beziehungsarbeit in Schule und Unterricht.
Im Rahmen der Vorlesungen wurden mehrere zentrale Erkenntnisse vermittelt, die für eine moderne Unterrichtsgestaltung von Relevanz sind. Von zentraler theoretischer Bedeutung ist die Erkenntnis der Rolle der Mehrsprachigkeit in der Schule. Die Mehrsprachigkeit wurde in der Vergangenheit oft als Problem definiert, welches es erschwert Lernerfolge zu erzielen und unbedingt gelöst werden sollte. Dabei haben aktuelle didaktische Ansätze gezeigt, dass die Mehrsprachigkeit vielmehr eine wertvolle Ressource darstellt. Durch die aktive Integration von Mehrsprachigkeit im Unterricht kann die Sprachkompetenz und das Verständnis der Schüler*innen im Unterricht gefördert werden. Schüler*innen können ihre Muttersprache nutzen, um schwierige Konzepte zu erfassen, bevor sie sich in der Unterrichtssprache ausdrücken. Dies resultiert in einem verstärkten Verständnis der Unterrichtsinhalte, sowie eines gesteigerten Selbstwertgefühls, da die sprachlichen Fähigkeiten der Lernenden genutzt und anerkannt werden (Ahrenholz, 2008; Boeckmann, 2022).
Diese Erkenntnisse sind von Bedeutung für das Fach Deutsch. In diesem Kontext besteht die Möglichkeit, dass die Lehrkraft die Materialien auch in der Erstsprache der mehrsprachigen Schüler*innen anbietet, um eine differenzierte Gestaltung der Aufgabenstellung zu ermöglichen. In der Erstsprache können die Inhalte zunächst erarbeitet und die gewonnen Informationen, dann anschließend in Deutsch vorgestellt werden. Diese Vorgehensweise eignet sich zudem in besonderem Maße für Gruppenarbeiten, da hierbei ein gemeinsamer Austausch von zentraler Bedeutung ist. Solch eine Methode unterstützt Schüler*innen mit Migrationshintergrund, sich besser einzufinden und stärkt die Fähigkeit des sprachlichen und kognitiven Lernens (Ahrenholz, 2008; Boeckmann, 2022). Das beste Beispiel dafür sind die wissenschaftlichen Arbeiten von Ahrenholz (2008) und Boeckmann (2022), die nachweisen, dass die Nutzung der Erstsprache zu einem besseren Verständnis, sowie zu besseren schulischen Leistung führt. zudem verbessern sich die sprachlichen Kompetenzen in effektiver Weise.
Ein weiterer zentraler Aspekt aus den Vorlesungen ist der Umgang mit Antisemitismus im schulischen Kontext. Die Vorlesungen weisen darauf hin, dass eine Betrachtung als rein historisches Phänomen zu kurz greift, da sensibel zu behandelnde Themen wie der Antisemitismus in der Gegenwart eine höhere Relevanz aufweisen als angenommen. Die Lehrkräfte sind folglich dazu verpflichtet, sich dieser Thematik anzunehmen und sie im Unterricht zu behandeln. Dadurch sollen die Schüler*innen über die Mechanismen und Gefahren von Vorurteilen und Feindbildern aufgeklärt werden, um ein besseres Miteinander zu fördern (Fein, 1987; Benz, 2014).
Antisemitismus könnte besonders gut im Geographieunterricht eingebaut werden, da dort Inhalte wie Migration, Bevölkerungsstrukturen und Raumkonzepte behandelt werden. Hierbei sollte im Unterricht historische Tiefe und verschiedene Erscheinungsformen des Antisemitismus berücksichtigt werden. Die Einbindung von Unterrichtsinhalten wie der Analyse historischer Karten, Bevölkerungsstudien und Migrationstrends ermöglicht die Behandlung von Themen wie Antisemitismus im Unterricht. Dabei kann die Rolle des Antisemitismus als treibende Kraft bei der Vertreibung und Verfolgung jüdischer Gemeinden im Laufe der Geschichte thematisiert werden. Wie tief Antisemitismus in unserer Gesellschaft verankert ist und wie wichtig ist es Schüler*innen darauf hinzuweisen, dazu liefern Fein (1987) und Benz (2014) wertvolle Grundlagen und Daten. Im Geographieunterricht könnte man solch eine Sensibilisierung durch Fallstudien zu historischen Migrationsbewegungen und aktueller demographischer Trends schaffen. In diesem Fall erfolgt eine Fokussierung auf den Antisemitismus, wodurch bei den Schüler*innen ein besseres Bewusstsein für die verschiedenen Erscheinungsformen des Antisemitismus geschaffen wird (Benz, 2014).
Neben den zentralen theoretischen Erkenntnissen aus den Vorlesungen spielt auch die Beziehungsarbeit in der Schule und im Unterricht eine bedeutsame Rolle. Sofern das Ziel darin besteht, signifikante Lernerfolge zu erzielen, ist eine vertrauensvolle und respektvolle Beziehung zwischen Lehrkräften und Schüler*innen von entscheidender Bedeutung. Diesbezüglich ist eine intensive Auseinandersetzung mit den Bedürfnissen und Lebenswelten der Schüler*innen für Lehrkräfte insbesondere in heterogenen Klassen von hoher Relevanz.
Des weiteren sei angemerkt, dass ein angenehmes Unterrichtsklima, geprägt von Respekt und Wertschätzung, von Lehrkräften in sämtlichen Unterrichtsfächern, wie zum Beispiel in denen genannten Fächern Deutsch- oder Geographie, zu fördern ist. Um den Schüler*innen die Möglichkeit zu geben, derartige Gefühle zu entwickeln, ist es empfehlenswert, dass Lehrkräfte öfter offene Gesprächsrunden in den Unterricht integrieren, in denen die Schüler*innen von ihren Hindernissen und Schwierigkeiten im Schulalltag berichten (Ahrenholz, 2008; Boeckmann, 2022). Dies ermöglicht zudem eine bessere Berücksichtigung der Bedürfnisse mehrsprachiger Schüler, deren Erstsprache nicht Deutsch ist, sowie eine effektive Sensibiliserung von Thematiken wie Antisemitismus. Lehrkräfte fördern die Schüler mehr, in dem sie individuelle Voraussetzungen der Schüler*innen berücksichtigen, denn das führt langfristig zu bessern Lernleistungen (Benz, 2014; Fein, 1987). Dies demonstriert, dass die Beziehungsarbeit an Schulen eine wesentlich größere Bedeutung hat als das reine Unterrichten. Die Förderung der individuellen Entwicklung der Schüler*innen stellt einen wesentlichen Aspekt in der schulischen Bildung dar. Diesbezüglich sind insbesondere der Umgang mit Mehrsprachigkeit im Unterricht sowie die Thematik des Antisemitismus zu erwähnen.
A.2: Welche Faktoren zum schulischen Umgang mit Heterogenität (z.B. Unterrichtsformen, Schulformen/-strukturen, schulkulturelle Aspekte, Handeln von Lehrkräften), die Sie in der Vorlesung kennengelernt haben, prägen im Rückblick auf ihre eigenen Praxiserfahrungen (eigene Schulzeit, Berichte aus der Praxis, ggf. auch schon eigene Praxiserfahrungen) den Schulalltag besonders stark – und warum? Hier können Sie aus Ihrer Sicht besonders gelungene oder auch weniger gelungene Beispiele reflektieren. Inwiefern helfen Ihnen die Inhalte der Vorlesung, eine solche Einschätzung vorzunehmen? Nehmen Sie konkret Bezug auf entsprechende Begriffe, Theorien, Konzepte, die Sie jetzt kennengelernt haben.
Die Vorlesungen zum Thema „Umgang mit Heterogenität“ waren für mich von großem Nutzen, insbesondere im Hinblick auf die gewonnenen Erkenntnisse zum Thema Diskriminierung. Diese Erfahrung ist für mich persönlich von großer Relevanz, weil ich gerade davon viel in meiner Schulzeit mitbekommen habe. Diskriminierung stellt ein tief verwurzeltes Phänomen in unserer Gesellschaft dar, welches sowohl auf individueller als auch auf struktureller Ebene beobachtet werden kann. In diesem Kontext erfolgt zudem eine Differenzierung zwischen direkter und indirekter institutioneller Diskriminierung (vgl. Gomolla 2016, S. 73). Im Falle der direkten institutionellen Diskriminierung erfolgt eine Benachteiligung einer bestimmten Menschengruppe, während bei der indirekten Diskriminierung dies eher durch faire Regelungen geschieht, wobei unterschiedliche Bevölkerungsgruppen ungleich betroffen sind. Diese Erkenntnisse lassen sich auch auf den schulischen Alltag übertragen, in dem es ebenfalls zu einer Benachteiligung von Schüler*innen kommen kann, obwohl diese die gleichen Leistungen erbringen wie ihre Mitschüler*innen (Bonefeld & Dickhäuser, 2018). Gerade im Hinblick auf meine eigene Schulerfahrung sind diese Themen von hoher Bedeutung. Eines der größten Probleme beim Umgang mit Heterogenität ist das differenzierte Lernen, welches die Berücksichtigung unterschiedlicher Hintergründe erfordert. In diesem Kontext obliegt es den Lehrkräften, individuelle Lernwege zu konzipieren, um eine gezielte Förderung aller Schüler*innen zu gewährleisten. In meiner eigenen Schulerfahrung wurde dies leider nicht so gut umgesetzt und meistens Schüler*innen mit einer anderen Erstsprache und Herkunft nicht ausreichend unterstützt. Ein Beispiel aus meinem persönlichen Umfeld verdeutlicht die Problematik: Ein guter Freund von mir kam erst vor wenigen Jahren aus der Türkei nach Deutschland und musste die gleichen Aufgaben erledigen wie ich, obwohl er die deutsche Sprache nicht so gut beherrschte wie ich. Dies kann zu einer strukturellen Diskriminierung führen, da fehlende Differenzierung, Lernbenachteiligungen und soziale Ausgrenzungen verstärken kann (vgl. Gomolla 2016). Des Weiteren ist die Gesamtheit der an einer Schule vorherrschenden Werte, Normen und Verhaltensweisen von essenzieller Bedeutung für die Entwicklung der Schüler*innen. Eine solche Schulkultur kann der Diskriminierung entgegenwirken und den Zusammenhalt fördern. Allerdings konnte dies während meiner Schulzeit mal wieder nicht ausreichend umgesetzt werden und wie an den meisten Schulen herrschte hier auch ein gewisser kultureller „Mainstream“, der wenig Raum für Diversität lässt. Sofern Schüler*innen mit anderen kulturellen Hintergründen nur unzureichend die Möglichkeit erhalten, sich interkulturell auszutauschen, werden sie marginalisiert (vgl. Gomolla 2016). Die von mir gesammelten Erfahrungen decken sich mit denen zahlreicher anderer Personen, mit denen ich über dieses Thema gesprochen habe. Die überwiegende Mehrheit berichtete von ähnlichen Erlebnissen während ihrer eigenen Schulzeit. Nur eine geringe Anzahl von Personen hatte positive Erfahrungen. Alleine nur die Frage „Wie lange lebst du denn schon in Deutschland?“ führte bei den meisten meiner Freunde schon zu einem Gefühl der Ausgrenzung, weil sie annehmen, dass ihnen nicht die Frage gestellt worden wäre, würden sie ein wenig mehr „deutsch“ aussehen. Diese ganzen Inhalte tragen letztendlich dazu bei, dass ich die gemachten Erfahrungen besser reflektieren und bewerten kann. Zum Beispiel helfen mir die Konzepte, Mechanismen, wie die „institutionelle Diskriminierung“, welche dann im Schulsystem zu Benachteiligung führen könnte, einfacher zu erkennen. Dies motiviert dazu, sensibler und verständnisvoller mit Diskriminierung umzugehen, um ihr entgegenzuwirken.
3. Zu welchen, mindestens zwei, Fragestellungen, die Sie in der Vorlesung kennengelernt haben, würden Sie gerne mehr erfahren im weiteren Studium in Bezug auf das Modulthema UMHET? Welche haben Sie vermisst? Bitte begründen Sie Ihre Wahl.
Die Frage der Meinungsäußerung von Lehrkräften weckte mein Interesse, und durch die Auseinandersetzung mit dem Beutelsbacher Konsens konnte ich wichtige neue Perspektiven zu diesem Thema gewinnen. Vor dem Besuch dieser Vorlesung war ich der Auffassung, dass Lehrkräfte in ihrer Meinungsäußerung stark eingeschränkt sind und stets eine neutrale Haltung einnehmen müssen. Der Beutelsbacher Konsens zeigte mir dann aber, dass Lehrkräfte doch nicht immer neutral sein müssen, sondern durchaus verschiedene Perspektiven auf ein Thema präsentieren können, um den Schüler*innen die Möglichkeit zu geben, sich eine eigene Meinung zu bilden, ohne in eine bestimmte Richtung beeinflusst zu werden (Gessner et. al. 2016). Ich würde gerne noch viel mehr darüber erfahren, was Lehrer*innen gesetzlich erlaubt ist und was nicht.
Des weiteren würde ich im Verlauf meines Studiums gerne mehr über den Umgang mit Mehrsprachigkeit im Fachunterricht kennenlernen. Die Vorlesung behandelt eine Vielzahl wichtiger Ansätze in diesem Themenbereich, jedoch fehlte mir noch eine gewisse tiefere Auseinandersetzung mit praktischen Methoden zur Integration mehrsprachiger Schüler*innen im Unterricht. Dabei ist mir die Unterrichtsgestaltung eines inklusiven Fachunterrichtes besonders wichtig, damit man mehr über potenzielle Herausforderungen und Strategien in der Praxis lernen kann. Ich denke, dass Mehrsprachigkeit eine Thematik sein wird, die noch für eine lange Zeit eine sehr relevante Rolle im Schulalltag spielen wird, weshalb eine detaillierte Vorbereitung von Vorteil ist.
Literaturverzeichnis:
– Ahrenholz, B. (2008). Erstsprache – Zweitsprache – Fremdsprache. In: Ahrenholz, B.; Oomen-Welke, I. (Hrsg.): Deutsch als Zweitsprache. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren.
– Benz, W. (2014). Antisemitismus. Aktuelle Formen und Phänomene. In: Benz, W. (Hrsg.): Ressentiment und Konflikt. Vorurteile und Feindbilder im Wandel, Schwalbach, S. 76-85.
– Fein, H. (1987). Dimensions of Antisemitism: Attitudes, Collective Accusations, and Actions. In: Fein, H.: The Persisting Question. Sociological Perspectives and Social Contexts of Modern Antisemitism. Berlin und New York, S. 67-85.
– Boeckmann, K.-B. (2022). Deutsch lernen als Erstsprache – Zweitsprache – Fremdsprache. Kontroversen und Konvergenzen. Plenarvortrag im Rahmen des D-A-CH-Seminars 2022, 25. April 2022.
– Bonefeld, Meike; Dickhäuser, Oliver (2018): (Biased) Grading of Students’ Performance: Students’ Names, Performance Level, and Implicit Attitudes. In: Front. Psychol. 9 (481).
– Gomolla, Mechtild (2016): Diskriminierung. In: Paul Mecheril (Hg.): Handbuch Migrationspädagogik. Weinheim und Basel: Beltz Verlag, S. 73-89.
– Gessner, Rebekka; Hoffmann, Kora; Lotz, Mathias; Wohning, Alexander (2016): Brauchen wir den Beutelsbacher Konsens? Bericht über eine Fachtagung. In: Benedikt Widmaier und Peter Zorn (Hg.): Brauchen wir den Beutelsbacher Konsens? Eine Debatte der politischen Bildung. Frankfurt a.M.: bpb, S. 28-36.
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