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Nene veröffentlichte ein Update in der Gruppe
Ringvorlesung “Umgang mit Heterogenität in der Schule“ 2025 BiPEb vor 7 Monaten, 1 Woche 1. Erläuterung des Spannungsfelds zwischen Inszenierung und Zuschreibung in Bezug auf Genderdynamiken und -pädagogik in der Schule (Folie 26–30)
Das Spannungsfeld zwischen Inszenierung und Zuschreibung beschreibt zwei zentrale Perspektiven auf Geschlecht in der Schule:
• Inszenierung („doing gender“): Geschlecht wird aktiv hergestellt, z. B. durch Verhalten, Sprache, Kleidung, Rollenspiele. In der Schule zeigt sich dies u. a. darin, wie sich Schüler*innen in geschlechtertypischer Weise verhalten oder wie Lehrkräfte geschlechtsspezifisches Verhalten (unbewusst) fördern oder sanktionieren.
• Zuschreibung: Hierbei geht es um festgelegte Erwartungen an „typisch“ männliches oder weibliches Verhalten, wie z. B. „Mädchen sind ruhiger und disziplinierter“ (Stalmann 1991) oder „Jungen sind sozial inkompetenter“ (Kaiser 1997). Diese Zuschreibungen beeinflussen das pädagogische Handeln und die Leistungsbewertung nachhaltig.Theoretische Ansätze (Folie 26–30):
• Laut Faulstich-Wieland und anderen ist das sogenannte „Zwei-Drittel-Aufmerksamkeitsgesetz“ ein Beispiel dafür, wie Jungen durch lauteres Auftreten mehr Aufmerksamkeit im Unterricht bekommen.
• Gleichzeitig zeigt sich eine Benachteiligung von Mädchen, insbesondere in MINT-Fächern, durch Lehrmittel oder unterschwellige Erwartungen.
• Die Rollen von Lehrer*innen werden ebenfalls inszeniert: männliche Lehrkräfte tendieren zur Distanz (z. B. „Public Fathers“), weibliche Lehrkräfte zeigen eher emotionale Nähe („Public Mothers“).
• Der Dekonstruktivismus vertritt die Position, dass Geschlecht ausschließlich ein soziales Konstrukt ist, während integrative Ansätze auch biologische Einflussfaktoren einbeziehen (vgl. Böhnisch 2015, Luhmann 1988).Diese Theorien zeigen, wie komplex das Verhältnis zwischen Inszenierung (bewusstes oder unbewusstes Verhalten) und Zuschreibung (gesellschaftlich oder individuell verankerte Erwartungen) ist – insbesondere in einem schulischen Kontext, in dem pädagogische Beziehungen durch diese Dynamiken stark geprägt sind.
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2. Reflexion eigener Erfahrungen in Schule und Praktikum – Genderplay und weiteres Heterogenitätsfeld
In meiner eigenen Schulzeit und auch während der Praktika in Grundschulen konnte ich mehrfach beobachten, wie stark Geschlecht im Klassenzimmer inszeniert wird. Besonders auffällig war dies in Sport- oder Kunstprojekten: Jungen wählten häufiger „coole“ oder kämpferische Themen, Mädchen eher soziale oder kreative Motive. Diese Wahl schien nicht nur auf eigenen Interessen zu beruhen, sondern auch auf impliziten Erwartungen seitens der Lehrkräfte.
Ein konkretes Beispiel aus meinem Praktikum: Ein Schüler mit arabischem Migrationshintergrund (sprachlich noch nicht sicher im Deutschen) wurde oft als „unruhig“ oder „auffällig“ beschrieben, obwohl er nur versuchte, Anschluss an Gespräche zu finden. Seine „laute“ Art wurde als „typisch Junge“ und „unpassend“ für den Unterricht bewertet. Mädchen mit ähnlichen sprachlichen Schwierigkeiten wurden eher unterstützt und „beschützt“. Hier zeigt sich deutlich die intersektionale Überlagerung von Gender und Sprache: Der Junge war nicht nur „männlich“, sondern auch sprachlich und kulturell „anders“ – und wurde dadurch doppelt benachteiligt.
Diese Beobachtungen zeigen, wie wichtig es ist, Gender nie isoliert zu betrachten. Sprache, Leistungserwartungen und kulturelle Hintergründe greifen ineinander und beeinflussen, wie Kinder wahrgenommen und behandelt werden.
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3. Beobachtungsaufgabe für kommende Praktika (intersektionale Perspektive)
Beobachtungsaufgabe:
Beobachten Sie im Unterrichtsalltag, wie Lehrkräfte mit geschlechtertypischem Verhalten umgehen. Achten Sie dabei besonders auf Situationen, in denen Gender mit einer weiteren Heterogenitätsdimension wie Sprache, Leistung oder sozialem Hintergrund zusammenwirkt:
• Werden Mädchen und Jungen bei ähnlichem Verhalten unterschiedlich beurteilt oder unterstützt?
• Gibt es Unterschiede in der Interaktion mit Kindern, deren Erstsprache nicht Deutsch ist?
• Wie gehen Lehrkräfte mit leistungsschwächeren Jungen im Vergleich zu leistungsschwächeren Mädchen um?Ziel der Beobachtung ist es, genderspezifische Inszenierungen im Zusammenspiel mit sprachlicher und/oder sozialer Heterogenität zu erkennen – und somit intersektionale Ungleichheiten sichtbar zu machen, die in der alltäglichen Praxis häufig übersehen werden.

