Zum 09. April 2013 hielt Prof. Dr. Simone Seitz an der Universität Bremen einen Vortrag zu der Thematik „Inklusion in Schulen- eine ganz normale Herausforderung“, der folgend reflektiert wird hinsichtlich der Fragestellung, inwiefern sich die Umsetzung inklusiver Strukturen im deutschen Schulsystem begründet, welche Widersprüche und Hindernisse sich ergeben könnten und wie die Inklusion in der Praxis zu leisten sein wird.
Zunächst zu der Begründung des Vorhabens, Kinder (oder, wie Prof. Dr. Seitz es ausdrückte: „besondere Kinder“), die irgendeine scheinbare oder tatsächliche Behinderung aufweisen, in den allgemeinen Schulunterricht einzugliedern. Ausgangspunkt für diese Entwicklung im Schulsystem stellt die UN-Behindertenrechtskovention des Jahres 2006 dar, in der es heißt: „(1) Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderung auf Bildung. Um dieses Recht ohne Diskriminierung und auf Grundlage der Chancengleichheit zu verwirklichen, gewährleisten die Vertragsstaaten ein inklusives Bildungssystem auf allen Ebenen und lebenslanges Lernen.“ Wie deutlich ausgedrückt und von Deutschland unterzeichnet, ist die Integration behinderter Schüler nun auch an allen Schulsystem zwingend und nicht mehr auf freiwilliger Basis möglich. Diesem Wert der Gleichberechtigung kann sicherlich nichts abgesprochen werden, weder an seiner Notwendigkeit, noch an seiner- wenn auch leider nicht gegebenen- Selbstverständlichkeit. Und doch bleiben (insbesondere an den von Dr. Prof. Seitz angeführten Argumenten), gewisse Zweifel. So wurde, um „gutes“ pädagogisches Handeln aufzuzeigen, das Beispiel eines Lehrers herangezogen, der an einer Grundschule tätig ist und ein autistisches Kind zu unterrichten hat. Dieses Kind, welches ein großes Interesse an Fußball zeigt, wurde gefördert, in dem die ganze Klasse eine Bundesligatabelle bastelte, die das Kind wöchentlich aktualisierte und somit ein integriertes Element der Klassengemeinschaft wurde.
Was sich im ersten Augenblick anhört wie eine machbare und erstrebenswerte Inklusion, wirft auf den zweiten Blick Fragen auf: So ist zu überlegen, ob ein solches pädagogisches Handeln, was in keinem Kontext zum laufendem Unterricht gestanden zu haben scheint, umsetzbar ist in Schulformen wie dem Gymnasium. Nimmt man hier die Inhalte des Kerncurriculums an, stellt es sich als Unmöglichkeit dar, diese Zeit aufzuwenden für einen Inhalt, der die restlichen Schüler dem angestrebten Schulabschluss nicht näher bringen wird. Es ist daher nicht verwunderlich, dass das Beispiel in einer Grundschule stattgefunden hat, aber die Forderung, die Inhalte des Kerncurriculums anzupassen an die förderbedürftigen Schüler, lässt sich kaum halten, betrachtet man die wirtschaftliche Realität. Ist eine solche Inklusion, wie sie beschrieben wurde, wünschenswert, oder ist es nicht eher eine versuchte Gleichberechtigung, die aber eben genau das bleibt- ein Versuch? Das allgemeine Wettern gegen das Schul- sowie Staatssystem, dem Dr. Prof. Seitz erlag, bringt leider wenig, daher wäre eventuell eher ein Blick auf Länder zu richten, die die Behindertenrechtskonvention bereits unterzeichneten und deren System sich an diese Herausforderung angepasst hat. Als gängiges Beispiel für inklusive Schulformen lassen sich südliche Länder wie Spanien und Italien, aber auch nördlichere und auch in weiteren Studien sehr erfolgreiche Länder wie Finnland anführen. Die dort betriebene Inklusion ist allerdings ein Prozess, der bereits mehrere Jahrzehnte andauert, ein allgemeines Kulturgut geworden ist und daher eben diese Selbstverständlichkeit darstellt, die in Deutschland fehlt und sich auch nicht über das Knie brechen lässt. Möchte man tatsächlich eine echte Integration behinderter Kinder erreichen, so ist zunächst den sozialen Ursprüngen für die stattgefundenen Exklusion nachzuspüren. Schulen dafür verantwortlich zu machen, dass sie 43% der Kinder als „lernbehindert“ einstufen und somit die Sonderschulen gut mit Schülern versorgen, ist nur ein scheinbares Problem, aber nicht der Kern. Tatsächlich hat die Exklusion einen kulturellen Ursprung, ist demnach in dem Denken und Handeln der Gesellschaft fest verankert und lässt sich nicht erzwingen oder hastig nach einer Konvention etablieren, weil es jetzt zwingend zu leisten ist. Lehrer, die mit dieser Herausforderung konfrontiert werden, stehen einer Belastung entgegen, die nicht zu schaffen ist. „Alle“ Schüler auf ein G8 Zentralabitur vorzubereiten und gleichzeitig das Niveau einigermaßen in einem einheitlichem Rahmen zu halten, ist eine Illusion, die auch in einem „Lehrerteam“ nicht zu bewältigen ist. Vielleicht wäre es eine angemessenere Maßnahme, nicht das dreiteilige Schulsystem in Frage zu stellen, sondern die Sonderschulen, die offensichtlich nicht in der Lage sind, sich auf die Weise um Kinder zu kümmern, dass sie die Chance auf einen gleichgestellten Abschluss erhalten. Behauptet Prof. Dr. Seitz, der IQ sinke nachweislich mich der Dauer des Besuches einer Sonderschule, so ist in erster Linie doch kritisch zu hinterfragen, wie dies möglich sein kann. Die Tatsache, dass die konventionellen Schulformen völlig überlastet sind, wird im Vortrag beiseite gewischt mit dem Verweis, man müsse mehr Stellen schaffen. Wie dies wirtschaftlich zu leisten ist in einer Situation, in der immer weniger Lehrer verbeamtet werden und die Attraktivität dieses Berufes somit auf lange Sicht sinken wird, ist weiter unklar.
Es kann nicht die Aufgabe einer Schule sein, ein ganzes gesellschaftliches System zu reformieren, dennoch kann sie an dieser Umwälzung beteiligt sein. Dazu müssen dennoch besonders auch Eltern, Kindergärten, Kitas und Fördervereine beitragen, da die Last, die momentan auf dem durchschnittlichen Lehrer liegt, mehr als hoch genug ist. Man sollte von daher die Komplexität der Inklusion nicht unterschätzen und vermehrt mit Behinderten zusammenarbeiten, um eine Lösung zu finden, die nicht vorbestimmt, sondern gemeinsam erarbeitet wird. Wie das Prinzip der Inklusion im konkreten Unterricht aussehen soll, wurde wenig behandelt, eher wage angedeutet. Möglichkeiten könnten zwar eine offene Fragestellung sein, doch ist diese nicht in allen Bereichen und in allen Situationen möglich. Man sollte eventuell mehr auf das soziale Netz der Kinder untereinander setzen, auf ausgebildete Sozial- und Sonderpädagogen, sowie auf Förderprogramme innerhalb des normalen Schulbetriebes. Inklusion kann meiner Meinung nach kein „Zusatz“ sein, der im Unterricht eingefügt wird, vielmehr muss die eigene Lehrsequenz in einer Reihe zu anderen integrativen Handlungen stehen. Somit bleibt- auch für mich- das Fazit offen, wie mit dieser Herausforderung faktisch umgegangen werden soll.