Grünes Pulver

Ein grünes Pulver, dunkel grün und so fein, dass es sich beinahe anfühlt wie gemahlener Sand. Ich habe die Sonne, die Berge und das Feuer vermisst . Da, wo ich hingehöre. Ich sehne mich nach lauten Menschen, langen warmen Sommernächten, einem kleinen Teeglas, dem wir alle nicht widerstehen können. Ich sehne mich nach lauten Lachern, den schönsten Farben des Sonnenunterganges, dem Rauschen der Wellen, die mich mit in die Ferne reißen- dieser unendlichen Leichtigkeit. Ich schaue stundenlang auf das Boot, was sich auf dem Wasser hin und her schwenkt und ein beruhigendes Quitschen von sich gibt. Meine Haut sah noch nie so schön, so gesund aus. Meine Haare sind durch das Licht heller geworden, lockiger und kraftvoller, so wie füher. Mein Körper ist verziert mit Schmuck, goldenem Schmuck, wie es sich gehört. Dem Auge, welches mich beschützt, obwohl  nur ich mich selber schützen kann. „Gözlerin ici gülüyor“ – das Innere deiner Augen lacht. So fühlt es sich an, wenn ich dort bin. Als wäre ich nach einer langen Reise angekommen. Ein grünes Pulver, dunkel grün, welches sich nun anfühlt wie gemahlener, nasser Sand. Die Sehnsucht überkommt mich und die Fernwehe. Das Gefühl, mich selber verloren zu haben. Meine Traurigkeit und Frustration überkommt mich. Bevor ich aber meine Hände zu verkrampften Fäusten zusammenrolle, öffne ich sie. Ich schaue die Innenfläche meiner Hände an. Meine Haut schaut blass, unglücklich und leblos aus. Eine Träne tropft genau in die Mitte und fließt durch die Fältchen auf meiner Haut. Ich verziere sie. Einen Kreis aus dem gemahlenen, nassen Sand. Ich binde ein weißes Tuch um meine Hände und lege mich schlafen. In meinem Auge liegt noch immer eine Träne. Am nächsten Tag sehe ich sie. Zwei orange, rote Sonnen auf meiner Haut, meinen Händen- aus dem grünen Pulver. Die Sonne, wo ich hingehöre. Ich sehe Leben und Liebe. Ich sehe Heimat.

Der zwölfte Winter

09-50-M1-T2: Tutorium 2 zu „Einführung in die Ethnologie“ | Tutor: Ben Baumgarten | WiSe 2023 | Tabea Heimbucher | 6327112 | Assoziativer Text

Im Grunde ein Stück Plastik, weiß-schwarz, vielleicht so groß wie zwei meiner Daumen. Nicht sonderlich kalt oder warm, ich spüre einzig diese kühl-schwitzige Wechselwirkung mit meiner Hand. Ein Blick länger und deine Farben werden viele, es glitzert und strahlt und funkelt und blinkt. Bewege ich dich, so tanzt helles Licht über deine Oberfläche und in bestimmten Winkeln leuchten da ganze Formationen von Regenbogenfarben. Die bunten Lichter scheinen aus dem Raum zwischen dem schwarzen und dem durchsichtigen Plättchen zu kommen, wo bei genauerem Hinsehen eine Ansammlung winziger, ebenfalls durchsichtiger Zacken zu erkennen ist. Diese kleinen Pyramiden fangen wohl alles ein, was an Licht auf deine Oberfläche trifft, und werfen Strahlen in die verschiedensten Richtungen zurück. Zwei Nummern sind auf deinem Äußeren eingraviert, Kombinationen von Buchstaben und Zahlen, und aus einer Seite tritt eine Halterung hervor; kleine Haken, eckig und rau. Vielleicht kann man dich damit an ein Fahrrad klemmen.Gerade ist das aber schwer vorzustellen, denn du liegst halt hier auf diesem Holztisch neben aufgerollten Kabelkopfhörern und einer zerbeulten blauen Flasche.

Elf Winter lang hat mir mein Vater gesagt, ich solle mich schützen. Elf Winter lang meine Mutter, ich solle mich sichtbar machen. Und elf Winter lang habe ich dich bei mir gehabt, an Taschen, Schuhen oder Jacken. Um im Dunkeln aufzufallen, um sicher zu sein. Daher kennen wir uns. Vielleicht hätte ich dich auch für die anderen Jahreszeiten behalten sollen. Aber in den hellen Monaten hat mir niemand geraten, mich zu schützen, geschweige denn zu zeigen. Manchmal sollte ich mich hüten oder auf mich aufpassen. Mich vorsehen oder mal melden. All das zu bewahren, was zu mir gehört, das hat mir aber keine geraten. Genauso wenig wie mich sichtbar zu machen. Viel eher waren da Jahre von Warnungen in die andere Richtung. Zu redselig, zu laut, zu provokant, zu viel, zu viel, zu viel. Ja, vielleicht wärst du da ganz nützlich gewesen, vielleicht sogar ähnlich überlebenswichtig wie an all den dämmrigen Winterabenden.

Im Frühling vor drei Jahren war viel Sonne da. Aber die war im Garten und ich in meinem Zimmer. Mit nichts außer mir und eigentlich nichtmal das wirklich. Der Rat, mich zu schützen, war vor der Türe geblieben, schon seit dem Winter lungerte er irgendwo unter der Decke. Ohne und doch irgendwie durch mein Zutun wurde ich immer sichtbarer, zumindest das kaputte in mir. Mutters Rat uminterpretiert. Vielleicht hätte ich dich damals gebraucht. Dann hätte ich mich zeigen und Schutz kriegen können, ohne dabei und daran zugrunde zu gehen.

Heute war ich mit meinem Fahrrad bei diesem Jungen und an meinem Fahrrad sind Reflektoren. Bestimmt könnte ich dich mit deinen zwei Haken dazu klemmen. Vielleicht brauche ich dich aber gar nicht mehr. Denn da sind schon Reflektoren, eine silberne Lampe und ein rotes Rücklicht, und ich bin ja zu ihm gefahren. Bin nicht in meinem Zimmer sitzen geblieben und in meiner Angst. Vielleicht bräuchte ich dich in meinem Kopf. Um mich vor mir selbst zu schützen. Vielleicht bräuchte ich auch meine Eltern, die mir dasselbe raten wie in all den Wintern, jetzt aber mit einer Allgemeingültigkeit für das ganze Jahr und mein ganzes Wesen und mein ganzes Tun. Und vielleicht bräuchte ich deine Lichter in meinem Zimmer, tanzend und bunt und liebevoll, um darin zu versinken und zu flirren und zu wirbeln, elf weitere Winter lang.

 

Undankbar

UNDANKBAR

Das, was unseren Dopamingehalt für unbestimmte Zeit steigen lässt, uns besser und mächtiger fühlen lässt. Für eine unbestimmte, aber endliche Zeit, in der wir unsere ständige Gier nach mehr bändigen. Der Erhalt von einem Gegenstand, der unseren Tag „rettet“ uns „belohnt“ und uns in der Scheinwelt Freude sowie Glück schenkt. Wie verloren wir doch sind, dass wir unser Glück von dem Konsum abhängig machen, während der Konsum uns unter Druck setzt, uns drängt, uns mehr und schneller arbeiten lässt. Uns unserer Lebenszeit beraubt. Wir kennen es nicht, zufrieden zu sein, weil wir doch nie wirklich gehungert haben. So wurde es mir erzählt. Es stimmt. Vielleicht aber auch, weil wir nie gelernt haben, wie man Dinge schätzt. Wahrhaftige Wertschätzung. Es beginnt mit der Wertschätzung, leben zu dürfen. Nicht wo man lebt, mit wem oder wie man lebt, sondern das man lebt. „Hayatina deger ver“. Schenke dem Leben Wert. Ich weiß nicht, wann ich das letzte mal bewusst in den Himmel geschaut habe. Mich darüber gefreut habe, dass ich die Farben des Himmels sehen kann und über die Motive in den Wolken philosophieren kann. Ich kann dir nicht sagen, wann ich zuletzt gerannt bin und glücklich war, dass meine Beine mich tragen. Wenn ich nicht mal den Himmel achte, die Möglichkeit, meine Arme um meine Liebsten zu legen, wie soll ich mein bestehendes, vergängliches Hab und Gut schätzen? Zufrieden und bescheiden sein? Wie soll ich meine Nefs nach immer mehr besiegen, mein Herz mit Luft und Liebe zufrieden stellen? Wir sollten alle öfter in den Himmel schauen, öfter lachen, ohne die Hand vor das Gesicht zu halten, rennen und lieben. Wir sollten vor allem eins: dankbarer sein. Hayataina deger ver