Es ist ein Freitagabend. Mal wieder sitze ich im Zug. Neben mir meine Handtasche und ein nur halb gefüllter Koffer, vielleicht will ich ja noch etwas von Zuhause mitnehmen.
Während der Zugfahrt, die sich wie eine halbe Ewigkeit anfühlt, kommen mir einige Gedanken in den Kopf. Ich fahre nun beinahe jeden Freitag in die Heimat und genauso jeden Sonntag oder Montag zurück nach Bremen, ich packe meine Sachen, überlege was ich wohl brauchen könnte, habe ich auch nichts Wichtiges vergessen?
Ich scherzte schon häufiger darüber, dass der RE1 zu meinem dritten Zuhause geworden ist, so oft wie ich mich hier aufhalte. Zuhause. Ein komischer Begriff. Im ersten Moment würde ich ganz klar sagen, mein Zuhause, das ist mein Elternhaus. In der Kleinstadt in der ich aufgewachsen bin, wo ich beinahe jeden in meinem Alter kenne. Hier wohnen die Menschen die mich mein Leben lang schon begleiten, meine Eltern, mein Bruder, meine Großeltern, meine Freunde die mit mir schon in die gleiche Grundschulklasse gingen. Aber halt, das ist doch gar nicht wahr. Auch einige meiner Freunde studieren an anderen Orten, leben nicht mehr „Zuhause“, die Leute meines Abiturjahrgangs, auf der ganzen Welt verstreut. Doch wenn man sie fragt, wo ihr zur Hause ist, würden viele von Ihnen dennoch sagen „In Aurich, da wo meine Eltern leben, meine Freunde.“
Wenn man „Zuhause“ allerdings danach definiert, wo ich mich am meisten aufhalte, wo ich lebe, wo ich studiere, beim Rewe einkaufe, meinen eigenen Haushalt schmeiße; dann müsste man sagen, mein Zuhause, das ist in Bremen, in Findorff in meiner WG. Das würde genauso auf meine Freunde zutreffen, ihr Zuhause wäre dann in Oldenburg, in Hannover, in Hildesheim. Jeder von ihnen hat auch dort ein eigenes Leben, neue Freunde die ich vielleicht gar nicht kenne, den Einkaufsladen wo sie immer hingehen, ihren Arbeitsplatz.
Denkt man noch etwas weiter, so ist ihr „Zuhause“ für viele bestimmt nicht das Elternhaus. Ich habe das Privileg, an einem Ort aufgewachsen zu sein der sicher ist, mit Menschen die mich lieben. Für einige mag das Elternhaus vielleicht nicht mehr als der Ort wo sie aufgewachsen sind sein, vielleicht auch ein schmerzhafter Ort, verbunden mit traumatischen Erlebnissen, Ängsten und Enttäuschungen. Ein Ort an den sie vielleicht nie wieder zurück gehen möchten. Oder auch können. Ich denke an Geflüchtete, die ihr Zuhause verloren haben, in ihrem Heimatland. Vielleicht hatten sie dort ein schönes „Zuhause“, einen Ort an dem sie sich wohlfühlten, wo geliebte Menschen waren, wo sie schöne Erinnerungen dran haben. Einen Ort den sie verloren haben, der durch Krieg zerstört wurde, den es möglicherweise gar nicht mehr gibt. Die Hoffnung eines Tages wieder „nach Hause“ gehen zu können, vielleicht aber auch die Hoffnung in einem neuen Land ein neues Zuhause finden zu können.
Immer wieder benutze ich nun das Wort „Ort“ doch je länger ich über den Begriff „Zuhause“ nachdenke, wird mir bewusst, dass auch wenn wir unser Zuhause immer automatisch als Ort bezeichnen, vielleicht als den Ort wo wir aufgewachsen sind, oder den Ort in dem wir aktuell leben, ist das „Zuhause“ vielleicht gar kein klar definierbarer Ort. Vielleicht kann „das Zuhause“ viele Orte sein, oder gar keiner. Vielleicht ist „Zuhause“ mehr ein Gefühl. Ein Gefühl das für Zugehörigkeit und Geborgenheit steht.