Hinter den Kulissen sozialer Macht: Gleichberechtigung am Arbeitsplatz

von Aleyna Yildiz, Greta Braun, Lily Kollender & Lisa Mrowka

Wie kommt es, dass bestimmte Personen in einer Gruppe als „kompetenter“ betrachtet werden? Liegt der Grund in der Person selbst oder hängt die Entscheidung vielleicht doch eher vom “Auge des/der Betrachtenden” ab? 

Nach diesem Text bist du schlauer, denn tatsächlich liefert die Wissenschaft – um genauer zu sein die Erwartungs-Status-Theorie – Antworten auf diese Fragen.

Kurz gesagt sehen wir die Welt durch verschiedene Brillen, von denen wir oft gar nicht merken, dass wir sie tragen. Um genau zu sein, können wir die Welt durch eine eher rosarote Brille oder eine mit dunklen Gläsern sehen. Je nachdem, durch welche Brille wir schauen, verändert sich unsere Wahrnehmung anderer Menschen. Außerdem kommt es vor, dass wir die Brille wechseln, wenn wir unterschiedliche Personen anschauen. Mit welcher Brille andere uns anschauen, spüren wir oft und das kann nicht nur unsere Selbstwahrnehmung, sondern auch unser Verhalten beeinflussen.  

Wie sich also zeigt, passiert ganz schön viel im Unbewussten. An den Stichwörtern selbsterfüllende Prophezeiung und Diskriminierung lässt sich schon ahnen, welche positive oder gefährliche Kraft hinter diesen Prozessen steckt. 

Um die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist, müssen wir vor allem verstehen, welche Brille wir tragen, um diese dann absetzen zu können und genau darum soll es nun gehen.
Klingt vielversprechend? Dann nix wie weiter lesen!

Zu Beginn, stell dir folgende Situation vor:

Als Diversitätsbeauftragte:r in einem Unternehmen, das projektbasiert arbeitet, begleitest du die Zusammenstellung eines neuen Teams für ein Beratungsprojekt, von dem auch Anna und Makeda Teil sind. Beide sind gleich lang im Unternehmen und haben ziemlich genau die gleichen Berufserfahrungen. In der neuen Projektgruppe gibt es keine offiziellen Hierarchien, da agil gearbeitet wird. Makeda ist motiviert, ihre Ideen einzubringen und ihr Können unter Beweis zu stellen. 

Makeda (oben) und Anna (unten)

Während du die ersten Wochen der Teamarbeit von Makeda und Anna beobachtest, fällt dir auf, dass beide gute Ideen einbringen, doch nur Annas werden umgesetzt. Nach einiger Zeit etablierten sich unausgesprochene Hierarchien im Team und Annas Ideen dominieren Makedas immer öfter.

Woran könnte das liegen? Du bist motiviert, eine Antwort zu finden und stößt bei deiner Recherche auf die Erwartungs-Status-Theorie, die deine Beobachtungen erklärt.

Wenn in Gruppen ein Problem gelöst werden soll und die Beiträge anderer Gruppenmitglieder dafür als wichtig erachtet werden, entwickeln Menschen Erwartungen an die Leistung anderer. Diese Erwartungen begründen Rangordnungen, sogenannte “Statushierarchien” in einer Gruppe, die erklären, wer sich wie viel beteiligt, wem wie viel zugehört wird und wie groß der Einfluss einzelner Mitglieder auf die Gruppe ist.

Die Basis dafür bilden drei Einflussfaktoren: (1) sozial bedeutsame Merkmale, (2) Belohnungen und (3) Verhaltensmuster. 

Mit Blick auf die Situation von Makeda und Anna erkennst du, dass alle drei Einflussfaktoren eine Rolle spielen könnten. 

  1. Laut der Theorie sind beispielsweise Geschlecht, Hautfarbe oder Ethnie Merkmale, durch die Menschen sich unterscheiden. Diese Statusmerkmale können unsere Erwartungen an Leistungen der Gruppenmitglieder prägen. Grund hierfür könnten weitverbreitete kulturelle Überzeugungen sein.
    Dabei wird zwischen spezifischen und allgemeinen (diffusen) Merkmalen unterschieden. Spezifische Merkmale sind nur im konkreten Kontext geeignet: in Makedas und Annas Fällen zum Beispiel projektspezifische Kompetenzen. Allgemeine Merkmale hingegen beeinflussen Erwartungen an die Kompetenz einer Person in verschiedensten Situationen aufgabenunabhängig. Leider könnte Makedas Hautfarbe sowie Ethnie deshalb zu diskriminierendem Denken und einer niedrigeren Einschätzung ihrer Kompetenz führen. 
  2. Während des Projekts lobt der CEO kontinuierlich Annas Beiträge. Obwohl Makeda ebenfalls gute Leistungen zeigt, erhält sie kaum Feedback. Dies führt dazu, dass die Gruppenmitglieder Anna als überlegen in der Gruppenhierarchie betrachten. Die Erwartungs-Status-Theorie erklärt dies durch soziale Belohnungssysteme: Durch die ungleiche Verteilung von Lob schließen die Gruppenmitglieder auf unterschiedliche Fähigkeiten, was wiederum den Rang der Statushierarchie beeinflusst.
  3. Obwohl Makeda und Anna gleichermaßen hervorragende Ideen einbringen, teilt Anna sie in einer selbstbewussten und proaktiven Weise, weshalb andere Gruppenmitglieder sie als durchsetzungsstark wahrnehmen. Die Erwartungs-Status-Theorie deutet darauf hin, dass es eine besondere Rolle spielt, wie die Verhaltensmuster zwischen den Gruppenmitgliedern sind. Demzufolge kann ein selbstbewusster Auftritt einen starken Einfluss auf die erwartete Leistung und somit den Hierarchierang haben.

Da Anna und Makeda insbesondere die allgemeinen Merkmale unterscheiden, scheint Makeda in der Hierarchie der Projektgruppe traurigerweise nach unten gerutscht zu sein. 

Wie äußerlich sichtbare Merkmale die soziale Hierarchie beeinflussen, untersucht die Forschung.

Welchen Einfluss mehrere allgemeine Merkmale auf Gruppenentscheidungen und soziale Hierarchien nehmen, zeigten Biagas und Bianchi 2016: Für ihre Forschung ließen sie eine Gruppe von Studierenden, vertreten von BPoC (Black and People of Colour) und weißen Personen, an einem Experiment teilnehmen. 

Dort wurde den Studierenden simuliert, zusammen mit Teampartner:innen Aufgaben lösen zu müssen. Gemessen wurde, inwiefern die Teilnehmenden die Antworten der angeblichen Teampartner:innen in Erwägung zogen. 

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass weiße Personen durchschnittlich am stärksten von Antworten anderer weißer Personen beeinflusst wurden und die Antworten von Schwarzen Menschen sowie Personen mit nicht-weißer Hautfarbe weniger in Erwägung zogen. Das Experiment zeigt, dass sowohl Hautfarbe als auch ethnischer Hintergrund den gleichen Einfluss auf die Bildung unausgesprochener Hierarchien in Gruppen haben.

Doch was passiert, wenn mehrere äußere Merkmale gleichzeitig wirken?

Hierzu liefert die Studie eine klare Antwort: Das Experiment zeigte, dass Hautfarbe und ethnische Zugehörigkeit zusammenwirken, was zu „doppelten Benachteiligungen“ führt. Personen mit mehreren ggf. negativ behafteten Merkmalen wird daher oft weniger zugetraut als Personen mit nur einem dieser Merkmale. Makedas Hautfarbe und ethnische Zugehörigkeit können so leider Einfluss auf die Erwartungen an sie haben.

Wie problematisch diese diskriminierenden und rassistischen Denkweisen sind, ist hoffentlich allen klar. 

Da diese Gedanken jedoch oft auch nur unbewusst vorherrschen, bietet die Erwartungs-Status-Theorie eine gute Möglichkeit, um die Entstehung von unausgesprochenen Hierarchien besprechbar zu machen. 

Take-Away für die Projektgruppe und DICH:

Als Diversitätsbeauftragte:r fühltest du dich verantwortlich, mit der gesamten Projektgruppe über die Situation zu sprechen. Die Gruppe war sehr offen dafür, mit dir zusammen Maßnahmen für eine aktive Gleichberechtigungskultur zu entwickeln. 

Mut machen!

Als den Projektmitgliedern klar wurde, dass unbewusste Erwartungen zu Benachteiligung führen können, haben sie sich dazu entschlossen, sich gegenseitig und vor allem Makeda Mut zu machen, weiter selbstbewusst Ideen einzubringen und ihre Fähigkeiten zu zeigen. 

Sensibilisieren!

Des Weiteren wurde von der Gruppe eine Sensibilisierungsschulung für die gesamte Firma vorgeschlagen, da die Entstehung von unausgesprochenen Hierarchien vielen Kolleg:innen wahrscheinlich nicht bewusst ist. An die Handlungsprinzipien und Werte des Verhaltenskodex wird nun ebenfalls regelmäßig erinnert. 

Ungerechtigkeiten ansprechen!

Ihr habt ein anonymes Meldesystem entwickelt, um die Hürde des Ansprechens von Ungerechtigkeiten zu verringern. Viele Probleme können so angegangen werden, bevor Situationen sich verschärfen.

Falsche Erwartungen abbauen!

Eine längerfristige Aufgabe ist es, alle Arbeitsplätze so zu gestalten, dass sie gar nicht erst Erwartungen hervorrufen. Es muss ein Weg gefunden werden, dass Aufgaben nicht typisch männlich/ weiblich/ BPoC / weiß gestaltet und gesehen werden. Das Verbreiten von Erfolgsgeschichten, die mit stereotypischen Erwartungen brechen, kann eine Vorgehensweise sein.

Austausch ermöglichen!

Als weitere Maßnahme empfehlt ihr der Veranstaltungsabteilung, regelmäßig Events zu organisieren, die den Dialog zwischen den Mitarbeitenden fördern. Diese Events sollten in unterschiedlichen Gruppengrößen sowie -konstellationen durchgeführt werden, damit Kulturaustausch stattfinden und das Begegnen ohne Erwartungen geübt werden kann. Schließlich kann Diversität nur dann wirken, wenn an alle die gleichen Erwartungen gestellt werden und alle die gleichen Chancen haben!

In diesem Sinne: Checkt eure Brillen, damit ihr die Welt so seht, wie sie wirklich ist!


Literatur:

Biagas Jr, D. E., & Bianchi, A. J. (2016). The Latin Americanization thesis: An expectation states approach. Social Forces, 94(3), 1335-1358.

Correll, S. J., & Ridgeway, C. L. (2003). Expectation states theory. In Handbook of social psychology (pp. 29-51). Boston, MA: Springer Us.

Psaridis, H. (2014). Erwartungen und Wirklichkeit gehen auseinander [Abbildung]. HARALD PSARIDIS.