Mehr Schein als Sein – Warum das WIE ausschlaggebend für Ihre CSR-Authentizität ist

von Rena Baumbach, Leoni Senkbeil & Luise Wonneberger

Was haben Ryanair als “Europas emissionsärmste Fluggesellschaft”, Lufthansa, die “die Zukunft schützt” und Etihads “nachhaltiger Luftverkehr” gemeinsam? Genau, sie alle gehen mit gutem Beispiel beim Thema Umwelt- und Klimaschutz voran – scheinbar. Aber kann das wirklich sein? Vielleicht halten Sie solche Maßnahmen im Kontext von Corporate Social Responsibility (CSR), also der Verantwortungsübernahme von Unternehmen, für nicht ganz glaubwürdig und denken wie viele andere auch an das Stichwort Greenwashing. Aber woran liegt dieses Störgefühl? Dieser Frage wird im Folgenden auf den Grund gegangen und neben einem theoretischen Rahmen auch spannende, wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse aus der Praxis vorgestellt.

Wie werden Urteile gebildet?

Fundamental für die persönliche Haltung gegenüber CSR-Maßnahmen ist die Beurteilung der Authentizität dieser. Dafür werden Zuschreibungen, auch Attributionen genannt, bezüglich der Ursachen einer Situation vorgenommen. Als theoretische Grundlage hat sich hierfür das Kovariationsprinzip des Sozialpsychologen Harold Kelley in der Praxis durchgesetzt.  Kelley hat sich grundsätzlich mit der Frage beschäftigt, wie die Erfolge oder Misserfolge anderer begründet werden und welche Ursachen dafür herangezogen werden. Das Kovariationsprinzip besagt, dass die Beurteilung einer Ursachenzuschreibung anhand der folgenden drei Dimensionen verläuft:

  • Konsens: Verhalten sich andere unter den gleichen Umständen genauso wie das beobachtete Objekt (das Objekt ist variabel und kann z. B. eine Person oder ein Unternehmen sein)?
  • Distinktheit: Verhält sich das Objekt unter anderen Umständen anders?
  • Konsistenz: Verhält sich das Objekt unter gleichen Umständen immer gleich?

Wurde in allen drei Dimensionen eine Beurteilung vorgenommen, kann als Endergebnis entweder das Objekt selbst, ein bestimmter Stimulus (Reiz, der eine Reaktion auslöst) oder eine Situation für den Erfolg oder Misserfolg verantwortlich gemacht werden.

Wie sieht das Ganze nun konkret aus? Hierzu ein Beispiel aus dem Arbeitsalltag: ein Teammitglied erbringt in einem Projekt eine gute Leistung. Stellen Sie nun fest, dass andere Teammitglieder im Rahmen des gleichen Projektes ein schlechtes Feedback bekommen haben (Konsens gering), das Teammitglied in ähnlichen Projekten immer gute Leistungen erbringt (Konsistenz hoch) und auch in inhaltlich anderen Projekten gute Leistungen erbringt (Distinktheit gering), werden Sie die Leistung den Fähigkeiten der Person zuschreiben. Sie kommen zu folgendem Schluss: das Teammitglied ist leistungsstark (Ursachenzuschreibung zum Objekt). 

Hier einmal eine Grafik, um das Ganze nachvollziehen zu können: 

Was haben diese Erkenntnisse der Attributionstheorien nun aber mit der Wahrnehmung von CSR-Aktivitäten zu tun?

Die Attributionstheorien lassen sich auf verschiedene Kontexte anwenden. So wurde auf Basis des Kovariationsprinzips in einer Studie von Moehl und Friedman (2022) untersucht, wie man die Erkenntnisse zu Konsens, Konsistenz und Distinktheit auf das Konsumverhalten und Wahrnehmung von CSR-Aktivitäten übertragen kann. Studien haben gezeigt, dass Produkte und Dienstleistungen eher konsumiert werden, wenn die Authentizität der Maßnahmen als hoch eingeschätzt wird. Fällt die Einschätzung gering aus, verlieren Sie Kundschaft. Wie trifft Ihre Kundschaft also die Entscheidung, ob Ihr Unternehmen in Bezug auf CSR als authentisch wahrgenommen wird? 

Kurze Erklärung: Damit Sie einmal abgeholt werden, folgt hier eine kurze Auffrischung zum Thema CSR in Zusammenhang mit Attributionen: CSR-Maßnahmen können in zwei Attributions-Kategorien eingeteilt werden: symbolische und substanzielle Attribution. Symbolische Attribution beschreibt hierbei, dass als Ursachen der CSR-Maßnahmen von Unternehmen vor allem Imageverbesserung und Profit zugeschrieben werden. Nehmen Kund:innen aber als mögliche Ursachen echte tiefgreifende Motivation und Verpflichtung zur Verbesserung des Gemeinwohls wahr, erfolgt die Zuschreibung der Ursachen substanziell.

Warum diese Wahrnehmung einen entscheidenden Unterschied macht, zeigt sich bereits in vorherigen Studien (z. B. von Marin et al., 2016), welche einen Zusammenhang von Ursachenzuschreibung der CSR-Maßnahmen zu folgenden Aspekten auf Seiten der Mitarbeitenden belegte: Engagement, Arbeitszufriedenheit sowie Vertrauen in den Arbeitgeber und das Unternehmen. Diese Aspekte empfanden die Mitarbeitenden folglich stärker bei substanzieller Attribution und geringer bei symbolischer Attribution. Dies bietet bereits erste Erkenntnisse hinsichtlich des Erfolgs von CSR-Maßnahmen, wenn die richtigen Bedingungen für eine substanzielle Attribution gegeben sind.

Eine Studie aus New York von Moehl und Friedman (2022) kann diese Erkenntnisse noch auf den Kontext Konsum erweitern. Auf Basis des Kovariationsprinzips können nun spannende Erkenntnisse hinsichtlich der Wahrnehmung der Authentizität von CSR-Maßnahmen gewonnen werden. Für Unternehmen liefert das wichtige Hinweise darauf, wie sie durch substanzielle Attributionen Kundschaft für sich gewinnen können.

So liefert die Studie zum Beispiel die Erkenntnis, dass Kund:innen CSR-Maßnahmen eher substanziellen Ursachen zuschreiben, wenn die CSR-Aktivitäten in der Branche/im Wettbewerb einzigartig sind (geringer Konsens), über verschiedene Bereiche des Unternehmens praktiziert werden (geringe Distinktheit) und über einen langen Zeitraum erfolgen (hohe Konsistenz). Dies führt  zu einer verstärkten wahrgenommenen Authentizität der CSR-Maßnahmen. Ein weiteres Ergebnis beschreibt, dass Kund:innen CSR-Maßnahmen eher symbolische Ursachen zuschreiben, wenn die CSR-Aktivitäten für die Branche/Wettbewerb üblich sind (hoher Konsens), nur in Teilbereichen des Unternehmens ausgeführt werden (hohe Distinktheit) und hauptsächlich nur zum aktuellen Zeitpunkt durchgeführt werden (geringe Konsistenz). Auch wenn diese zweite Behauptung nur teilweise bestätigt werden kann, zeigt sich sehr deutlich, dass es für eine authentische Wahrnehmung Ihres Unternehmens in Bezug auf CSR-Aktivitäten wichtig ist, sich tiefgreifende Gedanken zu machen und nicht einfach nur “das zu machen, was alle anderen auch machen.”

Aber WIE kann das nun konkret aussehen?

Natürlich ist die Implementierung von CSR-Maßnahmen ein langwieriger Prozess, aber mit den folgenden vier Tipps sollte es Ihnen um einiges leichter fallen, das richtige CSR-Konzept für Ihr Unternehmen umzusetzen.

  1. Stechen Sie aus der Masse hervor

Entwickeln Sie CSR-Maßnahmen, die sich von anderen Wettbewerbern in Ihrer Branche unterscheiden. Statt beispielsweise ein weltweit bekanntes soziales Projekt zu unterstützen, schauen Sie doch einmal, welche regionalen Initiativen es gibt, die im Einklang mit Ihren Unternehmenswerten stehen. 

  1. Denken Sie langfristig

Klar, eine einmalige große Spende mag verlockend klingen, aber diese Aktion könnte schnell dazu führen, dass Ihr Engagement als oberflächlich angesehen wird. Setzen Sie daher lieber auf Kontinuität. Denn CSR-Maßnahmen sollten nicht nur auf den aktuellen Zeitpunkt abzielen, sondern langfristig angelegt sein.

  1. Schwimmen Sie bewusst gegen den Strom

Folgen Sie nicht blind den Branchenstandards, ohne darüber nachzudenken, wie Sie sich differenzieren können. Einfach das zu tun, was andere auch machen, führt zu einer weniger authentischen Wahrnehmung.

  1. Verfolgen Sie ganzheitliche Ansätze 

Implementieren Sie CSR-Maßnahmen, die über verschiedene Bereiche Ihres Unternehmens hinweg durchgeführt werden. Ein ganzheitlicher Ansatz signalisiert Engagement und trägt zur wahrgenommenen Authentizität bei.

Abschließend lässt sich also sagen, dass das Kovariationsprinzip von Kelley einen nützlichen Rahmen für die Untersuchung der von den Kund:innen wahrgenommenen Authentizität von CSR-Maßnahmen Ihres Unternehmens bietet. Das Potenzial, das sich aus diesen Erkenntnissen schöpfen lässt, ist riesig. Fokussieren Sie sich daher auf die substanzielle Attribution. So können Sie und Ihr Unternehmen von einer Verbesserung des Images, neuer sowie treuer Kundschaft und letztendlich sowohl höheren Umsätzen als auch einem bleibenden positiven Einfluss auf die Gesellschaft profitieren.


Literatur:

Marin, L., Cuestas, P .J. & Roman, S. (2016). Determinants of consumer attributions of corporate social  responsibility.  Journal of Business Ethics, 138(2), 247-260.

Martinko, M. J. & Thomson, N. F. (1998). A Synthesis and Extension of the Weiner and Kelley Attribution Models. Basic and Applied Social Psychology, 20(4), 271-284. https://www.tandfonline.com/action/showCitFormats?doi=10.1207/s15324834basp2004_4 

Moehl, S. & Friedman, B. A. (2022). Consumer perceived authenticity of organizational corporate social responsibility (CSR) statements: a test of attribution theory. Social Responsibility Journal, 18(4), 1747-1117. http://dx.doi.org/10.1108/SRJ-07-2020-0296 

Reuters, Lr. (2024, 23. Januar). Greenwashing-Werbung: Diese Fluggesellschaften stehen in der Kritik. Airliners. https://www.airliners.de/greenwashing-werbung-fluggesellschaften-stehen-kritik/72167 

Bildquellen: 

Act Act Act (o. J.). Psychologie Aufnahmetest Zusammenfassung Kapitel 10. Act Act Act. Abgerufen am 22.01.2024 von https://www.act-act-act.com/psychologie-aufnahmetest-vorbereitung-kapitel10 

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Konfliktkompass im Büroalltag: Mit Kooperation statt Chaos zum Erfolg

von Madleen Geisler, Filiz Yüzücü & Maleen Schubert

In der hektischen Welt des 9-to-5-Jobs gerät jede:r von uns früher oder später zwischen privaten Krisen und stressigen Deadlines in einen Konflikt ‒ kleine Dramen lauern hinter jeder Ecke, ob in kollegialen Besprechungen oder beim täglichen Plausch an der Kaffeemaschine. Doch bevor du dich in einem Netz aus Missverständnissen und erhitzten Gemütern verfängst, wollen wir gemeinsam einen Blick auf mögliche Herausforderungen werfen. Herausforderungen, die uns das Miteinander manchmal schwerer machen, als es nötig wäre und wie wir einen konstruktiven Umgang mit ihnen finden können.

Wir begeben uns in folgende Situation: du präsentierst gerade deine wohlgemerkt ziemlich durchdachte Idee deinen Kolleg:innen sowie der Chefin im Meeting, als ein Kollege dir ins Wort fällt, er habe eine noch bessere. Das nervt dich, schließlich bist du ziemlich stolz auf deine Idee und solche egozentrischen Typen, die keine anderen Lösungen als ihre eigenen akzeptieren, kannst du generell nicht ausstehen. Eigentlich kennst du deinen Kollegen gar nicht gut genug, um ihn als egozentrischen Menschen zu bezeichnen diese Zuschreibung nennt sich Attribution und ist eine Erklärung, die du dir für das Verhalten deines Kollegen oftmals unbewusst zurechtlegst.   

Hierfür kann die Attributionstheorie nach Heider (1958) einen Erklärungsansatz liefern. Die Theorie erklärt, wie Menschen zu Schlussfolgerungen über die Ursachen für das Verhalten anderer Menschen oder des eigenen Verhaltens gelangen. Diese können z. B. durch das Zuschreiben bestimmter Persönlichkeitseigenschaften und Motive oder auch durch situative Faktoren erfolgen. In diesem konkreten Fall bedeutet das, dass du deinem Kollegen zuschreibst, ein egozentrischer Mensch zu sein und dass er dir deswegen ins Wort gefallen sei. Deine Annahme in dieser Situation könnte sein, dass dein Kollege dir ins Wort fällt, da die Chefin anwesend ist und er im Hinblick auf die baldigen Gehaltsverhandlungen im guten Licht dastehen möchte. Diese Annahme lässt dich nicht unberührt: dadurch, dass du eine schlechte Absicht deines Kollegen vermutest, gehst du nicht mehr so empathisch auf seine Idee ein, wie du es ohne Vorannahmen tun würdest. So sinkt deine Kooperationsbereitschaft ihm gegenüber, was nun wiederum negative Auswirkungen auf den weiteren Verlauf eures sich formenden Konflikts hat.  

Einen ähnlichen Prozess konnten Cohen-Chen et al. (2023) in ihrer Forschungsarbeit von sechs einzelnen Studien belegen. Sie untersuchten, wie sich die Gleichgültigkeit des Gegenübers im Konflikt auf die eigene Bereitschaft auswirkt, mit diesem zusammenzuarbeiten, wenn das Gegenüber keine enge Bezugsperson ist. Gleichgültigkeit bedeutet hierbei, dass auf eine emotionale Situation überraschend unemotional reagiert wird. Die Forschung zeigt, dass Personen weniger bereit sind, mit ihrem Gegenüber zu kooperieren, wenn dieses im Konflikt gleichgültig wirkt. Für diesen Prozess nennen die Forscher:innen mehrere Gründe: zum einen macht es schlechtere Laune, wenn dem Gegenüber der Konflikt egal zu sein scheint. Zum anderen vermutet man bei einem Gegenüber mit “Mir-doch-egal-Haltung” vielleicht, dass dieses im Konflikt nicht mit einem kooperieren wird warum sollte man da schließlich selbst noch kooperationsbereit bleiben? 

Konflikte am Arbeitsplatz sind unvermeidlich, doch wie wir mit ihnen umgehen, kann den entscheidenden Unterschied machen. Anstelle von Konfrontation und Abwehr sollten wir auf Anerkennung, Verständnis, gemeinsame Lösungen und somit auf Kooperation setzen. Deutsch (2011) hat einige Strategien benannt, um Konflikte konstruktiv anzugehen und eine positive Entwicklung für alle Beteiligten zu fördern. Zunächst betont er die Relevanz der passenden Haltung: es ist essenziell, sich als Team zu begreifen und Gemeinsamkeiten in Einstellung, Werten und Ideen zu identifizieren, um so eine Grundlage für die Lösung des Konflikts zu schaffen. Interessenkonflikte betrachtet er dabei als gemeinsame Probleme, die in Zusammenarbeit gelöst werden sollten. Die Kooperationsbereitschaft fördert nicht nur das Verständnis füreinander, sondern führt auch zu nachhaltigen Lösungen, von denen alle profitieren können. 

Wenn du den Konflikt mit deinem Kollegen also lösen oder gar vermeiden möchtest, ist es entscheidend, dich auf seine positiven Eigenschaften zu konzentrieren. Auch wenn dir dies zuerst schwerfallen mag, kann sich so die Atmosphäre zum Positiven ändern und eure gemeinsame Lösungssuche stützen. Zudem kann eine empathische Herangehensweise, die auch auf die Perspektive deines Kollegen Rücksicht nimmt, euren Prozess hin zu einer positiven Lösung eures Konflikts beeinflussen.

Ein weiterer Schlüssel ist die offene Kommunikation fördere daher einen Dialog, der ermöglicht, dass du und dein Kollege an der Situation wachsen könnt. Nutze dabei auch die Unterstützung von anderen Kolleg:innen, um euer Teamgefühl weiter zu stärken und sorge dabei immer für Ausgewogenheit, damit sich alle Beteiligten fair behandelt und gehört fühlen. Möchtest du das Problem direkt ansprechen, ist es dabei wichtig, persönliche Angriffe zu vermeiden und stattdessen auf eine respektvolle Kommunikation zu setzen.  Gemeinsame Fortschritte schaffen eine positive Dynamik, von der alle profitieren und legen so die Grundlage für eine angenehme und produktive weitere Zusammenarbeit. Selbstreflexion und der Abstand von der Situation können in deinem Team Schlüsselaspekte für eine dauerhaft gelingende Konfliktlösung sein.       

Also: versuch doch, deine Attributionen beim nächsten Meeting aktiv zu reflektieren und mögliche Konflikte als Chancen für Wachstum und Entwicklung für alle Beteiligten zu betrachten. Mit einer kooperativen und win-win-orientierten Einstellung kannst du positive Veränderungen bewirken und die Arbeitsatmosphäre nachhaltig verbessern.  


Literatur:

Cohen-Chen, S., Brady, G. L., Massaro, S., & van Kleef, G. A. (2022). Meh, whatever: The effects of indifference expressions on cooperation in social conflict. Journal of Personality and Social Psychology, 123(6), 1336–1361. https://doi.org/10.1037/pspi0000392

Deutsch, M. (2011). Cooperation and competition. In P. T. Coleman (Ed.), Conflict, interdependence, and justice: The intellectual legacy of Morton Deutsch, 23–40. Springer Science + Business Media. https://doi.org/10.1007/978-1-4419-9994-8_2

Heider, F. (1958). The psychology of interpersonal relations. Wiley. http://dx.doi.org/10.1037/10628-000

Bildquellen:

Unsplash (2020). Menschen sitzen auf Stühlen mit braunen Stühlen, abgerufen am 28.01.2024. https://unsplash.com/de/fotos/menschen-sitzen-auf-stuhlen-mit-braunem-holztisch-mlVbMbxfWI4

Gourmet-Schadenfreude: Warum ein misslungener Weinkauf die Pasta besser schmecken lässt

von Marie Abel, Karla Kedenburg, Malin Ollenschläger

Eine Erklärung anhand der sozialpsychologischen Feelings-as-Information Theory

Du sitzt mit deiner Freundin im Restaurant und am Nebentisch werden Beschwerden über die getroffene Weinauswahl geäußert. Deine Freundin und du, ihr grinst euch an. Es ist offensichtlich, dass ihr euch über das Unglück am Nebentisch amüsiert, in dem Wissen, dass euch beiden als absolute Wein-Nichtkenner:innen eine schlechte Weinauswahl ebenso widerfahren könnte. Euer Grinsen bekommt ihr nun nicht mehr weg. Komischerweise schmeckt euch die Spaghetti Carbonara jetzt noch vieeeeeel besser.

Zufriedenheit durch Schadenfreude über das Scheitern anderer? So miserabel es klingen mag, so wenig Zweifel bleiben daran. Eine neue Studie “So happy for your loss: Consumer schadenfreude increases choice satisfaction” von Moisieiev et al. aus dem Jahr 2020 weitet die Bedeutung von Schadenfreude für den Bereich des Marketings aus und war impulsgebend für diesen Blogbeitrag. Darin  konnten Forschende belegen, dass empfundene positive Emotionen über den Fail-Kauf einer anderen Person für eine höhere Zufriedenheit mit der eigenen Wahl sorgen. 

In der Sozialpsychologie wird Schadenfreude dadurch erklärt, dass Menschen Freude empfinden, wenn sie sich selbst im Vergleich mit anderen Personen bewerten und Freude empfinden, wenn sie selbst besser dabei wegkommen (Festinger, 1954). Schadenfreude ist also eine positive Emotion der Freude über das Unglück anderer Personen (Li et al., 2019).

Um zu erklären, wie Schadenfreude dazu führen kann, dass du dein Essen positiver bewertest, bedienen  wir uns der sozialpsychologischen Feelings-as-Information Theory (FAIT) von Norbert Schwarz. Diese gehört in die Gruppe von Attributionstheorien und erklärt, inwiefern Gefühle die Grundlage für Beurteilungsprozesse bilden. Im Prinzip besagt die Theorie, dass alle Arten von Gefühlen einen Informationsgehalt mitbringen und sie daher eine hohe Bedeutung haben, wenn etwas beurteilt oder entschieden wird. Dabei kann es auch zu Fehlzuschreibungen, also Fehlattributionen kommen. Die FAIT stellt dabei die Grundlage für die Studie “So happy for your loss: Consumer schadenfreude increases choice satisfaction” dar. Darin wird die Wirkung von Schadenfreude auf die Bewertung eigener Entscheidungen untersucht. In drei verschiedenen Experimenten bewerteten hunderte Versuchsteilnehmer:innen ihre eigenen Weinkäufe, nachdem sie von Fehlkäufen anderer Personen erfuhren. Im ersten Experiment zeigte sich, dass sie ihre Käufe tatsächlich besser bewerteten. Im zweiten Experiment wurde dies wiederholt nachgewiesen, diesmal sogar  für den Fall, dass die Fehlkäufe der anderen Personen in einer komplett anderen Produktkategorie stattfanden (Zeitschriften statt Weine). Im dritten Experiment wurde untersucht, ob das Bewusstsein über Fehlattribution diesen Effekt abschwächt. Die spannende Auflösung zu dieser Frage findest du am Ende dieses Blogbeitrags.

Wie hängen nun die Inhalte der Theorie mit der Studie zusammen?

Eins ist sicher: Gefühl ist nicht gleich Gefühl. Schwarz unterteilt Gefühle in verschiedene Kategorien: Affekte, Stimmungen, Emotionen, körperliche Empfindungen und metakognitive Erfahrungen. Bei dem kurzfristigen Gefühl der Schadenfreude sprechen wir von einem Affekt. Also, bezogen auf unser Weinbeispiel: Wenn du wegen des Fail-Kaufs deiner Tischnachbarn den Affekt der Schadenfreude durchlebst, wirkt dieses Gefühl als Information. Da du gerade deine Spaghetti Carbonara isst und beurteilst, wie sie dir eigentlich schmeckt, schreibst du dein freudiges Gefühl fälschlicherweise dem Erfolg deiner Essenswahl zu. Man spricht dann vom Attributionsfehler.

Wir Menschen neigen dazu, unsere Gefühle unbewusst dem zuzuschreiben, worauf gerade unsere Aufmerksamkeit liegt. Dieser Effekt wird noch verstärkt, weil unsere Gefühle auch den sogenannten Verarbeitungsmodus von Informationen beeinflussen. Freudige Stimmung bringt uns in einen Top-Down Verarbeitungsmodus, in dem wir uns an Vorwissen, Erwartungen und Kontextwissen orientieren, um etwas zu beurteilen. Der gegensätzliche Bottom-Up Modus ermöglicht hingegen einen schärferen Blick für Details im Hier und Jetzt. Deine Schadenfreude über den Weinkauf lässt dich also in den Top-Down Modus springen und ganz automatisch bewertest du dein Essen nur aufgrund von Erwartungen, Erfahrungen oder Mustern. Die tatsächlichen sensorischen Reize – wie das Essen wirklich schmeckt – gehen ein bisschen unter.

Dies funktioniert, obwohl Wein und Spaghetti Carbonara unterschiedliche Produkte sind. Du kannst deine Freude also nicht einfach darauf schieben, dass du tatsächlich die bessere Alternative gewählt hast. Theoretisch hätte dir Schadenfreude also auch dein Essen versüßen können, wenn du unzufriedene Shopping-Kunden durch das Fenster beobachtet hättest.

Der Informationsgehalt unseres Gefühls kann sogar noch gesteigert werden: Obwohl du weißt, dass dein Essen sehr teuer war und sich deine Begeisterung daher in Grenzen halten sollte, hält die Freude trotzdem an und du verleihst ihr noch mehr Bedeutung. Dann sprechen wir vom sogenannten Aufwertungsprinzip der Attributionstheorie.

Umgekehrt gibt es das Abwertungsprinzip der Attributionstheorie: Unter bestimmten Umständen wirken Gefühle weniger stark auf die Bewertung ein. Stell dir also vor, dass du dich der durch Schadenfreude verursachten Fehleinschätzung nicht einfach hingeben möchtest. Sehr verständlich, denn darauf ist wohl niemand stolz. Was kannst du also tun, um diesem Gefühl weniger Bedeutung zuzuschreiben? 

Wie man so schön sagt: Bewusstsein ist der erste Weg zur Besserung. Du erkennst deinen Affekt der Schadenfreude? Dir wird bewusst, dass dir das Essen vor allem wegen der schlechten Erfahrung der Tischnachbar:innen gut schmeckt? Dann wird sich der Effekt relativieren. Theoretisch erklärt, sinkt mit dem Bewusstsein, woher das Gefühl kommt, die subjektive Bedeutung dieses Gefühls für die Information. In der Studie wurde das im dritten Experiment dadurch belegt, dass die Versuchsteilnehmer:innen kurze Artikel über “Gefühlsboosting durch das Leid anderer Personen” lesen sollten, also über das Phänomen der Schadenfreude informiert wurden. Daraufhin bewerteten sie ihre getätigten Fehlkäufe wieder weniger freudig als die Vergleichsgruppe von Versuchsteilnehmer:innen, die einen Artikel über irgendein anderes Thema bekamen und somit kein Bewusstsein für die Fehlinterpretation erlangten. 

Eine weitere Möglichkeit neben dem Bewusstsein gibt es noch, um dem Affekt der Schadenfreude nicht das Feld zu überlassen: Nach Schwarz ist der Einfluss des Gefühls abhängig von mehreren Kontextfaktoren. Hast du zum Beispiel ein hohes Expertenwissen auf dem Gebiet, beispielsweise weil du schon öfter in dem Restaurant diese Carbonara gegessen hast, stehen dir aufgrund deiner Erfahrungen noch mehr Bewertungsmaßstäbe zur Verfügung und du wirst dich automatisch weniger stark auf dein Gefühl allein verlassen.

Long story short: Gefühle stellen eine wichtige Informationsquelle für Entscheidungen und Beurteilungen dar. Sie können aber auch in die Irre führen. Die Wirkung von zufällig ausgelöster Schadenfreude auf die Bewertung einer getroffenen Entscheidung ist dabei ein anschauliches Beispiel für eine unbewusste Zuschreibung. Unser Rezept: Durch Bewusstsein über die Quelle des Gefühls kannst du den Einfluss korrigieren. Aber fühl dich nicht aufgefordert – wir verstehen, dass man sich hin und wieder einfach besser fühlen möchte, ohne einen rationalen Grund. Wir finden es  völlig menschlich, mit dem Ziel beschäftigt zu sein, das eigene Selbstwertgefühl hochzuhalten. In diesem Sinne: auf die Schadenfreude!


Literatur:

Festinger, L. (1954). A theory of social comparison processes. Human Relations, 7(2), S. 117–140.

Li, X., McAllister, D. J., Ilies, R., & Gloor, J. L. (2019). Schadenfreude: A counternormative observer response to workplace mistreatment. Academy of Management Review, 44(2), 360-376.

Moisieiev, D., Dimitriu, R., Jain, S. P. (2020). So happy for your loss: Consumer schadenfreude increases choice satisfaction. Psychol Mark. 37. S. 1525–1538.

Schwarz, N. (2012). Feelings‐as‐Information Theory. In P. A. M. Van Lange, A. W. Kruglanski & E. T. Higgins (Hrsg.), Handbook of Theories of Social Psychology (1, S. 289–308). SAGE Publications Ltd.