Gourmet-Schadenfreude: Warum ein misslungener Weinkauf die Pasta besser schmecken lässt

von Marie Abel, Karla Kedenburg, Malin Ollenschläger

Eine Erklärung anhand der sozialpsychologischen Feelings-as-Information Theory

Du sitzt mit deiner Freundin im Restaurant und am Nebentisch werden Beschwerden über die getroffene Weinauswahl geäußert. Deine Freundin und du, ihr grinst euch an. Es ist offensichtlich, dass ihr euch über das Unglück am Nebentisch amüsiert, in dem Wissen, dass euch beiden als absolute Wein-Nichtkenner:innen eine schlechte Weinauswahl ebenso widerfahren könnte. Euer Grinsen bekommt ihr nun nicht mehr weg. Komischerweise schmeckt euch die Spaghetti Carbonara jetzt noch vieeeeeel besser.

Zufriedenheit durch Schadenfreude über das Scheitern anderer? So miserabel es klingen mag, so wenig Zweifel bleiben daran. Eine neue Studie “So happy for your loss: Consumer schadenfreude increases choice satisfaction” von Moisieiev et al. aus dem Jahr 2020 weitet die Bedeutung von Schadenfreude für den Bereich des Marketings aus und war impulsgebend für diesen Blogbeitrag. Darin  konnten Forschende belegen, dass empfundene positive Emotionen über den Fail-Kauf einer anderen Person für eine höhere Zufriedenheit mit der eigenen Wahl sorgen. 

In der Sozialpsychologie wird Schadenfreude dadurch erklärt, dass Menschen Freude empfinden, wenn sie sich selbst im Vergleich mit anderen Personen bewerten und Freude empfinden, wenn sie selbst besser dabei wegkommen (Festinger, 1954). Schadenfreude ist also eine positive Emotion der Freude über das Unglück anderer Personen (Li et al., 2019).

Um zu erklären, wie Schadenfreude dazu führen kann, dass du dein Essen positiver bewertest, bedienen  wir uns der sozialpsychologischen Feelings-as-Information Theory (FAIT) von Norbert Schwarz. Diese gehört in die Gruppe von Attributionstheorien und erklärt, inwiefern Gefühle die Grundlage für Beurteilungsprozesse bilden. Im Prinzip besagt die Theorie, dass alle Arten von Gefühlen einen Informationsgehalt mitbringen und sie daher eine hohe Bedeutung haben, wenn etwas beurteilt oder entschieden wird. Dabei kann es auch zu Fehlzuschreibungen, also Fehlattributionen kommen. Die FAIT stellt dabei die Grundlage für die Studie “So happy for your loss: Consumer schadenfreude increases choice satisfaction” dar. Darin wird die Wirkung von Schadenfreude auf die Bewertung eigener Entscheidungen untersucht. In drei verschiedenen Experimenten bewerteten hunderte Versuchsteilnehmer:innen ihre eigenen Weinkäufe, nachdem sie von Fehlkäufen anderer Personen erfuhren. Im ersten Experiment zeigte sich, dass sie ihre Käufe tatsächlich besser bewerteten. Im zweiten Experiment wurde dies wiederholt nachgewiesen, diesmal sogar  für den Fall, dass die Fehlkäufe der anderen Personen in einer komplett anderen Produktkategorie stattfanden (Zeitschriften statt Weine). Im dritten Experiment wurde untersucht, ob das Bewusstsein über Fehlattribution diesen Effekt abschwächt. Die spannende Auflösung zu dieser Frage findest du am Ende dieses Blogbeitrags.

Wie hängen nun die Inhalte der Theorie mit der Studie zusammen?

Eins ist sicher: Gefühl ist nicht gleich Gefühl. Schwarz unterteilt Gefühle in verschiedene Kategorien: Affekte, Stimmungen, Emotionen, körperliche Empfindungen und metakognitive Erfahrungen. Bei dem kurzfristigen Gefühl der Schadenfreude sprechen wir von einem Affekt. Also, bezogen auf unser Weinbeispiel: Wenn du wegen des Fail-Kaufs deiner Tischnachbarn den Affekt der Schadenfreude durchlebst, wirkt dieses Gefühl als Information. Da du gerade deine Spaghetti Carbonara isst und beurteilst, wie sie dir eigentlich schmeckt, schreibst du dein freudiges Gefühl fälschlicherweise dem Erfolg deiner Essenswahl zu. Man spricht dann vom Attributionsfehler.

Wir Menschen neigen dazu, unsere Gefühle unbewusst dem zuzuschreiben, worauf gerade unsere Aufmerksamkeit liegt. Dieser Effekt wird noch verstärkt, weil unsere Gefühle auch den sogenannten Verarbeitungsmodus von Informationen beeinflussen. Freudige Stimmung bringt uns in einen Top-Down Verarbeitungsmodus, in dem wir uns an Vorwissen, Erwartungen und Kontextwissen orientieren, um etwas zu beurteilen. Der gegensätzliche Bottom-Up Modus ermöglicht hingegen einen schärferen Blick für Details im Hier und Jetzt. Deine Schadenfreude über den Weinkauf lässt dich also in den Top-Down Modus springen und ganz automatisch bewertest du dein Essen nur aufgrund von Erwartungen, Erfahrungen oder Mustern. Die tatsächlichen sensorischen Reize – wie das Essen wirklich schmeckt – gehen ein bisschen unter.

Dies funktioniert, obwohl Wein und Spaghetti Carbonara unterschiedliche Produkte sind. Du kannst deine Freude also nicht einfach darauf schieben, dass du tatsächlich die bessere Alternative gewählt hast. Theoretisch hätte dir Schadenfreude also auch dein Essen versüßen können, wenn du unzufriedene Shopping-Kunden durch das Fenster beobachtet hättest.

Der Informationsgehalt unseres Gefühls kann sogar noch gesteigert werden: Obwohl du weißt, dass dein Essen sehr teuer war und sich deine Begeisterung daher in Grenzen halten sollte, hält die Freude trotzdem an und du verleihst ihr noch mehr Bedeutung. Dann sprechen wir vom sogenannten Aufwertungsprinzip der Attributionstheorie.

Umgekehrt gibt es das Abwertungsprinzip der Attributionstheorie: Unter bestimmten Umständen wirken Gefühle weniger stark auf die Bewertung ein. Stell dir also vor, dass du dich der durch Schadenfreude verursachten Fehleinschätzung nicht einfach hingeben möchtest. Sehr verständlich, denn darauf ist wohl niemand stolz. Was kannst du also tun, um diesem Gefühl weniger Bedeutung zuzuschreiben? 

Wie man so schön sagt: Bewusstsein ist der erste Weg zur Besserung. Du erkennst deinen Affekt der Schadenfreude? Dir wird bewusst, dass dir das Essen vor allem wegen der schlechten Erfahrung der Tischnachbar:innen gut schmeckt? Dann wird sich der Effekt relativieren. Theoretisch erklärt, sinkt mit dem Bewusstsein, woher das Gefühl kommt, die subjektive Bedeutung dieses Gefühls für die Information. In der Studie wurde das im dritten Experiment dadurch belegt, dass die Versuchsteilnehmer:innen kurze Artikel über “Gefühlsboosting durch das Leid anderer Personen” lesen sollten, also über das Phänomen der Schadenfreude informiert wurden. Daraufhin bewerteten sie ihre getätigten Fehlkäufe wieder weniger freudig als die Vergleichsgruppe von Versuchsteilnehmer:innen, die einen Artikel über irgendein anderes Thema bekamen und somit kein Bewusstsein für die Fehlinterpretation erlangten. 

Eine weitere Möglichkeit neben dem Bewusstsein gibt es noch, um dem Affekt der Schadenfreude nicht das Feld zu überlassen: Nach Schwarz ist der Einfluss des Gefühls abhängig von mehreren Kontextfaktoren. Hast du zum Beispiel ein hohes Expertenwissen auf dem Gebiet, beispielsweise weil du schon öfter in dem Restaurant diese Carbonara gegessen hast, stehen dir aufgrund deiner Erfahrungen noch mehr Bewertungsmaßstäbe zur Verfügung und du wirst dich automatisch weniger stark auf dein Gefühl allein verlassen.

Long story short: Gefühle stellen eine wichtige Informationsquelle für Entscheidungen und Beurteilungen dar. Sie können aber auch in die Irre führen. Die Wirkung von zufällig ausgelöster Schadenfreude auf die Bewertung einer getroffenen Entscheidung ist dabei ein anschauliches Beispiel für eine unbewusste Zuschreibung. Unser Rezept: Durch Bewusstsein über die Quelle des Gefühls kannst du den Einfluss korrigieren. Aber fühl dich nicht aufgefordert – wir verstehen, dass man sich hin und wieder einfach besser fühlen möchte, ohne einen rationalen Grund. Wir finden es  völlig menschlich, mit dem Ziel beschäftigt zu sein, das eigene Selbstwertgefühl hochzuhalten. In diesem Sinne: auf die Schadenfreude!


Literatur:

Festinger, L. (1954). A theory of social comparison processes. Human Relations, 7(2), S. 117–140.

Li, X., McAllister, D. J., Ilies, R., & Gloor, J. L. (2019). Schadenfreude: A counternormative observer response to workplace mistreatment. Academy of Management Review, 44(2), 360-376.

Moisieiev, D., Dimitriu, R., Jain, S. P. (2020). So happy for your loss: Consumer schadenfreude increases choice satisfaction. Psychol Mark. 37. S. 1525–1538.

Schwarz, N. (2012). Feelings‐as‐Information Theory. In P. A. M. Van Lange, A. W. Kruglanski & E. T. Higgins (Hrsg.), Handbook of Theories of Social Psychology (1, S. 289–308). SAGE Publications Ltd.


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