Schubladen im Büro: Aufdecken und Überwinden von Berufsstereotypen

von Sven Baumann, Kaya-Madeleine Bücker & Amina Zrouki

Stell dir vor, du bist in einem Büro voller verschiedener Berufsgruppen – da gibt es den IT-Spezialisten, die Marketingleiterin, den Buchhalter und die Personalmanagerin. Ohne es zu merken, hast du wahrscheinlich schon eine Meinung darüber, wer kompetent und wer besonders freundlich ist. Das sind Stereotype – Schubladen in unserem Kopf, in die wir Menschen stecken, basierend auf ihrem Beruf oder anderen Merkmalen. Im Arbeitskontext kann das ziemlich verzwickt sein. Das Stereotype Content Model von Fiske, Cuddy, Glick und Xu aus dem Jahr 2002 hilft uns zu verstehen, wie und warum wir bestimmte Berufe und damit Menschen als kompetenter oder wärmer ansehen. Interessant wird es, wenn wir uns eine Studie von He, J., He, Kang, Tse und Toh aus dem Jahr 2019 ansehen, die genau darauf eingeht. Also bist du bereit, die Brille der Stereotype abzusetzen und die Welt der Berufe aus einer neuen, offeneren Perspektive zu sehen?

Was ist das Stereotype Content Model?

Das Stereotype Content Model, auch SCM genannt, nutzt die beiden Dimensionen Kompetenz und Wärme, um zu erklären, wie Stereotypen in unserem Kopf entstehen. Du fragst dich nun sicherlich, was genau überhaupt unter Kompetenz und Wärme verstanden werden kann. Hier einmal eine Erläuterung:

Wärme: Diese Dimension beschreibt, ob wir eine Person oder eine Gruppe als freundlich und vertrauenswürdig oder unfreundlich und konkurrenzfähig einschätzen.

Kompetenz: Die Dimension der Kompetenz beurteilt, ob wir eine Einzelperson oder Gruppe als fähig und qualifiziert oder unfähig und unqualifiziert ansehen.

Nach dem SCM gibt es auf Basis dieser beiden Dimensionen letztlich vier Kategorien, in die Gruppen eingeordnet werden können:

  1. Paternalistische Stereotype: In der ersten Kategorie nehmen wir Gruppen als warm, aber nicht sehr kompetent wahr. Gute Beispiele hierfür sind liebevolle Großeltern oder Menschen mit Behinderungen.
  2. Verachtende Stereotype: Gruppen der zweiten Kategorie werden weder als warm noch als kompetent angesehen. Beispielhaft können hier Obdachlose oder Straftäter:innen genannt werden.
  3. Neidvolle Stereotype: In diese Kategorie sind Gruppen eingeordnet, die zwar als kompetent, aber nicht warm angesehen werden. Ein Beispiel für diese Kategorie sind reiche Geschäftsleute oder Asiat:innen.
  4. Bewundernde Stereotype: Gruppen dieser Kategorie werden nicht nur als warm, sondern auch als kompetent wahrgenommen. Ärzt:innen oder Lehrer:innen fallen beispielsweise in diese Kategorie.

Welche Auswirkungen hat es, wenn wir Personen beispielsweise als warm, aber wenig kompetent wahrnehmen? Vor allem kann dies dazu führen, dass wir bestimmte Personen diskriminieren. Stell dir zum Beispiel vor, dass du auf der Arbeit durch deine Kolleg:innen als berufstätige Mutter als warm, aber weniger kompetent eingeschätzt wirst als dein männlicher Kollege. Eine Folge könnte sein, dass du für eine höhere Position innerhalb des Unternehmens nicht vorgeschlagen wirst, da dir so eine Position nicht zugetraut wird. Stattdessen wird dein männlicher Kollege bevorzugt, obwohl du den gleichen Universitätsabschluss hast wie er sowie vier Jahre mehr Berufserfahrung und schon einige Projekte im Unternehmen erfolgreich geleitet hast. Ziemlich unfair, oder? Stereotypen gibt es dabei aber nicht nur innerhalb eines Teams in einem Unternehmen. Wie bereits anfangs erwähnt, existieren Stereotypen auch in Bezug auf Berufsgruppen. Diese soziale Wahrnehmung führt zu einer unterschiedlichen Bewertung für verschiedene Berufe. 

Was sagt die Forschung denn dazu?

Die durchgeführte Studie von He und Kolleg:innen untersuchte das SCM und betrachtete dabei die Wärme- und Kompetenzdimensionen. Durch die Studie konnte die Vermutung bestätigt werden, dass Stereotype von Berufsgruppen vorwiegend auf der Grundlage von Wärme- und Kompetenzmerkmalen entstehen.

Doch was genau haben die Teilnehmenden der Studie neben Wärme berücksichtigt, wenn sie eine Personengruppe als warm bewertet haben? Grundlage für die Einschätzung waren dabei auch die Gutmütigkeit, die Freundlichkeit und Vertrauenswürdigkeit sowie die Aufrichtigkeit und die Großmütigkeit. Für die Bewertung der Kompetenz wurde berücksichtigt, wie fähig, intelligent, effizient und geschickt sowie selbstbewusst und kompetent eine Personengruppe wahrgenommen wird. Ein überraschendes Ergebnis der Studie war, dass Stereotypen oft durch eine hohe Wertschätzung von Kompetenz und weniger durch Wärme geprägt sind. In der Folge kann es dazu kommen, das bestimmte Berufsgruppen als dominant und kühl wahrgenommen werden, was wiederum negative Auswirkungen auf das Berufsfeld haben kann.

Besonders interessant ist die Verbindung zwischen Stereotypen und persönlichen Merkmalen wie Geschlecht, Alter und ethnischer Zugehörigkeit. Frauen und Angehörige ethnischer Minderheiten werden oft als weniger kompetent und selbstbewusst wahrgenommen. Männer in ähnlichen Berufen werden hingegen als kompetenter und auch selbstbewusster eingeschätzt. Doch welche Folgen hat das? Eine Auswirkung dieser Stereotypen zeigt sich beispielsweise darin, dass in bestimmten Berufsgruppen wie zum Beispiel dem Handwerk nur sehr wenige Frauen tätig sind. In der Studie wurden verschiedene Berufe anhand von Wärme und Kompetenz analysiert und dabei wurde festgestellt, dass einigen Berufen eine hohe Wärme, aber niedrige Kompetenz zugeschrieben werden, während es bei anderen Berufen gegenteilig war. Dies wirft natürlich die Frage auf, wie diese Wahrnehmungen berufliche Entscheidungen beeinflussen. So neigen Frauen beispielsweise dazu, Berufe zu wählen, die als wärmer, aber weniger kompetent angesehen werden, was die ungleiche Geschlechterverteilung in bestimmten Berufsfeldern erklären könnte. So sind Frauen beispielsweise besonders häufig in der Pflege oder Berufsfeldern der Erziehung beschäftigt.

Die Studie verweist auf die Notwendigkeit, die Kultur und Wahrnehmung von Berufsgruppen genauer zu betrachten. Stereotypen können dabei nicht nur die Wahrnehmung von anderen Personen beeinflussen, sondern auch eigene berufliche Entscheidungen wie die Wahl des Ausbildungsberufes oder des Studienfachs. Dies wiederum hat direkte Auswirkungen auf die berufliche Gleichstellung und kann zu einer ungleichen Verteilung von Männern und Frauen in verschiedenen Berufen führen. Um diese Probleme anzugehen, ist es wichtig, dass wir uns bewusst werden und lernen, wie Stereotypen am Arbeitsplatz wirken. Wir sollten uns also darauf konzentrieren, Menschen besser über Vorurteile und Stereotypen aufzuklären und Schulungen anbieten, um das Bewusstsein der Menschen hierfür zu schärfen. Dies kann dazu beitragen, dass Berufsgruppen fairer wahrgenommen werden und eine inklusive und gerechtere Arbeitsatmosphäre geschaffen wird.

Es lässt sich also festhalten, dass Stereotype über unterschiedliche Berufsgruppen letztlich sehr kompliziert sind. Stereotype beeinflussen nicht nur unsere individuellen Sichtweisen, sondern haben auch tiefgreifende Auswirkungen auf die Vielfalt und Gleichberechtigung in verschiedenen Berufsfeldern.

Was solltest du also tun?

Stereotype im Arbeitsumfeld beeinflussen nicht nur, wie wir unsere Kolleg:innen und Mitarbeitenden sehen, sondern auch, wie unsere Arbeitswelt aufgebaut ist. Sie bestimmen auch, welche Chancen wir haben oder welche Steine uns in den Weg gelegt werden können. Besonders auffällig wird dies bei Minderheiten, und zum Beispiel Frauen, die oft ungerechtfertigt in Schubladen gesteckt werden. Du solltest also immer bewusst deine eigenen Vorurteile hinterfragen, um auf der Arbeit einen offenen und gerechten Umgang zu fördern. Durch das Erkennen und Überwinden dieser Stereotype können wir einen Schritt in Richtung einer fairen Arbeitsumgebung leisten. Du möchtest doch sicherlich auch fair behandelt werden? Aber wie setzen wir diesen Wandel konkret um? Sind wir bereit, individuell und als Gemeinschaft die Initiative zu ergreifen, um die Barrieren zu überwinden, die Stereotype am Arbeitsplatz schaffen? Deine Gedanken und Erfahrungen hierzu sind ungemein wertvoll – Wir laden Dich herzlich ein, dich an dieser fortlaufenden Diskussion zu beteiligen. Welche Möglichkeiten siehst Du, Stereotype in unserer Arbeitswelt zu durchbrechen?


Literatur:

Fiske, S. T., Cuddy, A. J. C., Glick, P. & Xu, J. (2002). A model of (often mixed) stereotype content: competence and warmth respectively follow from perceived status and competition. Journal of Personality and Social Psychology, 82(6), 878–902. https://doi.org/10.1037/0022-3514.82.6.878

He, J., Kang, S. K., Tse, K. & Toh, S. M. (2019). Stereotypes at work: Occupational stereotypes predict race and gender segregation in the workforce. Journal of Vocational Behavior, 115, 103318. https://doi.org/10.1016/j.jvb.2019.103318

Bildquellen:

Shutterstock (o. J.). Dont Stereotype Me-Platine auf Bokeh-Hintergrund, abgerufen am 28.01.2024 von https://www.shutterstock.com/de/image-photo/dont-stereotype-me-placard-bokeh-background-487382911


Leave a Reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert