Von den späten 1960er bis in die 1990er Jahre hinein erlebte unsere Gesellschaft eine feministische Bewegung, bekannt als die zweite Welle der Frauenbewegung. Diese Bewegung forderte nicht nur soziale Gleichstellung zwischen den Geschlechtern, sondern auch eine psychologische Befreiung, die sich in der Selbstbestimmung der Frau manifestierte. Frauen sollten das Recht haben, unabhängig zu entscheiden, wie sie ihr Leben führen wollen. Die nachfolgenden Disney-Beispiele setzen somit ein Ende des Bildes der unterwürfigen Hausfrau.
Im Zeichentrickfilm „Arielle, die Meerjungfrau“ aus dem Jahr 1989 zeigt sich Arielle sofort als kleine Rebellin. Bereits in ihrer ersten Szene erfährt man direkt von ihrer Ungehorsamkeit. Sie ist eine Prinzessin, die sich nicht unterwirft, sondern ihren eigenen Vorstellungen folgt. Arielle empfindet, dass ihr Leben noch nicht begonnen hat, und sehnt sich danach, ein Teil der Menschenwelt zu sein.
Im Verlauf der Geschichte rebelliert sie gegen ihren Vater und geht sogar einen riskanten Handel mit der Meerhexe Ursula ein, um als Mensch an der Seite von Prinz Erik zu sein, in den sie sich bereits verliebt hatte. Arielle ist von unerschütterlicher Neugier und Mut geprägt. Obwohl sie ihre Stimme opfert, die ihr größtes Kapital darstellt, um ihre Liebe zu Erik und den Menschen zu leben, gibt sie nicht nach. Die kleine Meerjungfrau akzeptiert ihr Schicksal nicht einfach so, sondern kämpft mit allem, was sie hat, um ihre Träume zu verwirklichen. Während die Liebe zu einem Prinzen wieder eine zentrale Rolle spielt, liegt ihr Hauptanliegen darin, eine andere Person zu werden und für diese Veränderung zu kämpfen, bis sie erreicht ist. Dass sie dabei auf die Unterstützung ihres Vaters zurückgreift, ändert nichts an ihrem eisernen Willen, der wohl jeden überzeugt hätte.
Als nächstes betrachten wir Belle aus „Die Schöne und das Biest“ von 1991. Genau wie Arielle fühlt sich auch Belle in ihrer Heimat nicht wirklich zuhause. Während der Rest ihres Dorfes eher simpel gestrickt ist, taucht sie gerne in Bücherwelten ab, die von fremden Ländern und Abenteuern erzählen. Wir haben es erneut mit einer Frau zu tun, die sich nicht in ihr enges Umfeld einpassen möchte. Auch sie weigert sich, den Erwartungen zu entsprechen, beispielsweise indem sie den Heiratsantrag des Dorfschönlings Gaston ablehnt.
Ihr Mut zeigt sich besonders deutlich, als sie freiwillig beim Biest bleibt, um ihren Vater zu befreien. Belle bricht auch die Regeln des Biests. Sie isst nicht nur mit ihm, wie angeordnet, sondern ignoriert auch das Verbot, den Westflügel zu betreten. Obwohl das Biest, einst ein verzauberter Prinz, sie vor Wölfen rettet, pflegt sie im Nachhinein nicht nur seine Wunden, sondern tritt ihm auch standhaft entgegen. Belle ist eine Frau, die stets ihrer Neugier nachgeht und sich von niemandem zwingen lässt. Sie ist die erste unter unseren Beispielen, die bei Männern nicht das Aussehen, sondern die Persönlichkeit schätzt. Und noch wichtiger: Zum ersten Mal wird ein Mann durch die Liebe einer Frau von seinem Fluch befreit, und nicht umgekehrt!
Der Film Aladdin von 1992 präsentiert uns Prinzessin Jasmin als weiteres Beispiel für rebellische Disney-Frauen. Auch sie weigert sich, das Gesetz zu erfüllen, das sie zur Heirat mit einem Prinzen verpflichtet. Alle Bewerber schreckt sie ab. Jasmin besitzt eine starke Persönlichkeit und reagiert wütend, wenn man über sie spricht, als wäre sie ein Objekt. Am Ende ist es jedoch Aladdin, der sie aus einem riesigen Stundenglas befreit. Es scheint, dass sie ihm dafür dankbar ist, dass ihr Vater sie am Ende heiraten lässt, wen sie für würdig hält.
Der Trickfilm „Pocahontas“ von 1995 präsentiert uns eine Indigene Prinzessin, die unglaublich mutig ist und sich völlig frei bewegt. Pocahontas selbst sagt, sie geht, wohin der Wind sie führt. Sie springt von hohen Klippen und betont, dass sie nicht daran interessiert ist, „stetig“ zu werden. Für den „starken, beschützenden Mann“, den ihr Vater als Schwiegersohn wünscht, hat sie nur ein Stirnrunzeln übrig. Stattdessen gefällt ihr der freundliche, aufgeschlossene John Smith. Doch er kann ihr nichts beibringen; der Versuch, sich über sie zu stellen, macht sie wütend. Pocahontas zeigt John Smith stattdessen ihr Land und rettet ihm am Ende sogar das Leben. Trotz ihrer optischen Erscheinung scheinen die Rollen vertauscht zu sein. Am Ende weigert sich Pocahontas, John Smith in seine Heimat zu begleiten, und entscheidet, zu Hause zu bleiben, weil man sie dort braucht. Diese Prinzessin kann auch ohne einen Mann auskommt.
Der Film „Mulan“ aus dem Jahr 1998 zeigt eine Frau, die sich in eine klassische Männerrolle begibt, um ihr Vater zu retten. Bereits zuvor war sie nicht besonders angepasst: Statt Eindruck bei einer Heiratsvermittlerin zu schinden, mischt sie sich lieber in Männerangelegenheiten ein. In ihrer Verkleidung lehnt Mulan es ab, Männerstereotype zu erfüllen, wie etwa in der Nase zu bohren oder Prügeleien anzufangen. Ihr Wille, kampftauglich zu werden, ist eisern, und am Ende stellt sich heraus, dass sie kriegsstrategisch ihren Truppen weit voraus ist. Sie rettet nicht nur ihre Freunde, sondern ganz China. Selbst der Kaiser verneigt sich vor ihr! Und natürlich verliebt sich auch Hauptmann Li Shang in sie, obwohl er einen Anstoß braucht, um ihr zu folgen.
Kaum je zuvor waren fiktive Frauen so kraftvoll wie in den Disney-Filmen der Mitte der 90er Jahre. Diese Damen kämpfen nicht nur, sondern sie sind es auch, die ihre Prinzen retten, und nicht umgekehrt. Hier wird also gekonnt versucht, sich gegen die Stereotypen zu stellen.