Ungelesene Bücher (SL_B3)

Ungelesene Bücher

In meinem Zuhause finden sich Schätze von unschätzbarem Wert – meine ungelesenen Bücher. Sie sind nicht nur Wissensquellen und Unterhaltung, sondern auch Erzähler meiner Lebensgeschichte. Als Erbe sind sie bestimmt, nicht nur aufgrund ihres Inhalts, sondern auch als physische Objekte, untrennbar mit meiner eigenen Geschichte verwoben. Durch zahlreiche Umzüge haben sie in grünen Kisten ihre Reisen angetreten – von Verden nach Berlin und von Berlin in den Balkan.

Die Großstadt hat sie in den unterschiedlichsten Wohnungen ruhen lassen, und viele von ihnen waren meine ständigen Begleiter auf Reisen. Egal ob im Zug, Bus oder Flugzeug, haben sie sich mir auf kurzen und langen Strecken anvertraut. Als Sammlerin von Büchern lasse ich mich gerne von der Magie des Zufalls leiten, ich stolpere über Entdeckungen, die nicht nur literarisch, sondern auch Lebensphasen bezogen sind.

Nach meiner Ankunft in Bremen habe ich mich endlich dazu durchgerungen, sie zu sortieren. Viele von ihnen fanden ihren Platz im Keller, denn mich gänzlich von ihnen zu trennen, wäre unvorstellbar gewesen. Ein passendes Regal für ihren eigenen und persönlichen Raum haben sie bisher jedoch noch nicht gefunden.

Während dieser Aufräumaktion bin ich auf ein besonders treffendes Vorwort gestoßen – das Vorwort zu einem Buch von Elias Canetti. Es scheint, als hätte der Autor die Verbindung zu seinen Büchern genauso intensiv erlebt wie ich, und seine Worte resonieren mit meiner eigenen Erfahrung des Sammelns, Lesens und Bewahrens. In meinen ungelesenen Büchern liegt nicht nur Wissen, sondern auch die Geschichte meiner Reisen, Umzüge und Entdeckungen, eingefangen zwischen den Seiten und im Gewicht jeder grünen Kiste.

“Es gibt viele Bücher , die man zwanzig Jahre bei sich hat, ohne sie zu lesen, die man immer in der Nähe hält […]“ Dann, nach zwanzig Jahren, kommt ein Augenblick, da man plötzlich, wie unter einem sehr hohen Zwang, nichts anderes tun kann, als gerade so ein Buch von Anfang zu Ende und in einem Zuge aufzunehmen: Es wirkt wie eine Offenbarung.

 […] welcher Idiot würde zu behaupten wagen, daß immer dasselbe drinstand.“


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