Haarige Gesellschaft
Ein freier Text von Parlote Muzlijaj
Wenn es um Haare geht, dann treffen wir meistens eine bewusste Entscheidung, wie und ob sie sein sollen und vielleicht wann sie sein können. Diese Entscheidung treffen wir nicht immer selbst. Das Thema Haare hat nicht nur einen sozialen Stellenwert, sondern auch eine politische.
Breanne Fahs ist Professorin der Women and Gender Studies an der Arizona State University.Fahs ist spezialisiert auf die Untersuchung der Sexualität von Frauen, kritische Verkörperung Studien, feministische Geschichten und politischen Aktivismus.
In einem ihrer Seminare an der Universität wurden die Teilnehmer*innen vor die Herausforderung gestellt, zehn Wochen lang ungehindert all ihre Körperbehaarung wachsen zu lassen. Dieses Experiment offenbarte unterschiedliche Dynamiken je nach sexueller Orientierung, sozialer Herkunft und Hautfarbe der Teilnehmerinnen.
Heterosexuelle Frauen sahen sich oft mit der Forderung ihrer Partner konfrontiert, vorab um Erlaubnis zu bitten, bevor sie sich auf ein derartiges Projekt einließen. Queere und bisexuelle Frauen hingegen empfanden Schwierigkeiten bei der Aufgabe, da sie befürchteten, sich durch verstärkte Behaarung noch stärker zu „outen“. Hierbei spielt die lesbare sexuelle Identität durch Körperbehaarung eine entscheidende Rolle.
Besonders Schwarze Frauen, Women of Color und jene aus sozial schwächer gestellten Familien erfuhren erheblichen Widerstand aus ihren sozialen Kreisen. Freund*innen und Familien fürchteten, dass ihre Lieben aufgrund ihres haarigen Erscheinungsbilds verstärkt mit Rassismus, Klassismus und Ausgrenzung konfrontiert werden könnten. (Vgl. E. Lechner, S. 118 f.)
Die scheinbare simple Anfrage im Experiment, entfachte bald starke Reaktionen und führte rasch zu einer politischen Debatte über das „Recht zu Sein“.
In den sozialen Medien kann man ebenfalls bestimmte Bewegungen zu Haaren beobachten. Unter dem Hashtag #NormalizeBodyHair finden sich viele unterschiedliche Frauen, die sich selbstbewusst mit ihrer Körperbehaarung vor der Kamera und der Öffentlichkeit stellen. Unter diesen Posts befinden sich ebenfalls vermehrte Hasskommentare.
Elisabeth Lechner, Kulturwissenschaftlerin, schreibt in ihrem Buch, dass Darwins Theorie, hiermit nicht wenig zu tun hat, denn dort war eines klar: “ Männer haben Körperbehaarung, Frauen nicht”. (E.Lechner, S.125.)
Doch die gesellschaftlich anerkannte Theorien geht soweit weiter, dass sie behauptet,” […] haarige weibliche Körper nicht nur als unzulänglich, weniger zivilisiert (bis hin zu kriminell) und als für die Reproduktion ungeeignet galten, sondern dass sie auch für ihre geschlechtliche Ambivalenz gefürchtet wurden”, so zitiert Lechner aus dem Buch “Plucked: A History of Hair Removal” von Rebecca Herzig, US-Professorin für Gender Studies. (E.Lechner, S.125)
Das Natural Hair Movement, das seinen Ursprung in der Black-Power-Bewegung der USA während der Bürgerrechtsbewegung in den 1960er Jahren hat, wird durch aktuelle Diskurse noch deutlicher sichtbar.
Die Autorin Hilal Moshtari befasst sich ebenfalls mit dem Thema, ob dichte Körperbehaarung, braune Zähne, eine große Nase, sie hinterfragt die Ideen von Hässlichkeit. Die Haare sind nur ein Zweig dieser Thematik, die den Zwängen der Schönheit unterliegen. Erst vor dem Hintergrund eines kolonialen, weißen Schönheitsideals werden dunkle Körperhaare als Makel wahrgenommen. Schönheitsnormen setzen gesellschaftliche Erwartungen, die Schönheit zur Verpflichtung und Nicht-Konformität als „persönliches Versagen“ stigmatisieren.
Es ist offensichtlich, dass hauptsächlich von Frauen erwartet wird, sich den sich ständig wandelnden und eigentlich unerreichbaren gesellschaftlichen Schönheitsnormen zu unterwerfen.
Denn der Kapitalismus ist auf der Suche nach einem Schönheitsideal, das nicht nur äußerliche Attraktivität verspricht, sondern auch den Erwerb zahlreicher Produkte mit einem vermeintlich erstrebenswerten „Aussehen“ verknüpft, um das Ansehen zu steigern. Hilal plädiert in ihrem Buch dafür, „uns an die Seite der Hässlichkeit zu stellen”, denn erst das Zulassen von Hässlichkeit lehrt uns Verletzlichkeit, Intimität und Vertrauen. Erst wenn wir uns mit der Hässlichkeit versöhnen, können wir unsere Menschlichkeit und somit auch unsere Sterblichkeit anerkennen.
Freier Text_ParloteMuzlijaj (SL)
Literaturangabe
Hilal, Moshtari (2023): Hässlichkeit. München: Hanser Verlag.
Lechner, Elisabeth (2022): Riot don’t diet. Widerstand der widerspenstigen Körper. Wien: Verlag Kremayr & Scheriau GmbH & Co. KG.
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