Meine erste kulturwissenschaftliche Beobachtung!

Ich sitze im Eingangsbereich der Uni Bremen. In dem großen Glasgebäude, welches mich als einziges der Uni-Gebäude ein wenig beeindruckt. Es ist hell und die Glaswände hoch. An den Wänden hängen Poster und Flyer. Es gibt eine Pinnwand mit Angeboten für das Semester. Unten gibt es ein kleines Bistro, Toiletten, einen Friseur und ein paar weitere Läden. Ich verstehe noch nicht ganz wofür dieses Gebäude da ist. Anfänglich dachte ich es sei eine Art Anlaufpunkt oder Hauptzentrale für die Universität, doch so etwas scheint es hier nicht zu geben. Zumindest nicht Auffällig erkennbar. Die Struktur der Gebäude und das Konzept der Uni Bremen kann nicht auf den ersten Blick erschlossen werden, so scheint es mir. Ich vermute, dass es von der Idee der `flachen Hierarchien´ und `Bildung auf Augenhöhe´stammt. Wenn es nicht die Offizielle Zentrale der Uni ist, welche Funktion hat dieser Glaskasten dann?

Ich sitze oben, auf einem kreisförmig angeordneten hellen Holzgebilde, welches eine der Sitzgelegenheiten darstellt. Die Form ist bequem, der Untergrund eher weniger. Kalt und Hart. Nachdem ich von der Bibliothek aus den Boulevard überquert hatte und eine der Offenen Glastüren passiert, wählte ich diesen Spot für meine Beobachtung. Ich bin ungestört und habe einen Blick auf die Sofas, die Eingänge, die Pinnwand und den Anfang der Treppe die zum unteren Teil der Halle führt.

Ich rufe die Notes App auf meinem Handy auf und fange an die Atmosphäre einzusaugen. Sie ist bewegt. Menschen kommen und gehen. Andererseits ist sie verharrend. Menschen sitzen auf den Sofas, eingepackt in Jacke und Schal. Menschen verharren vor der Pinnwand. Die Türen stehen offen. Die Luft zieht rein. Die Wolken ziehen an den Glasfenstern vorbei. Licht scheint rein? Ich erinnere mich nicht mehr.

Eine alte Frau (ich schätze sie ende siebzig) in einer dunklen Winterjacke, die zu groß für sie scheint steht an der Brüstung. Zwischen Pinnwand und Treppenanfang. Sie vertilgt eine Waffel mit Puderzucker. Wo sie die wohl her hat? Wer ist sie? Ist sie Besucherin? Arbeitet sie an der Uni? Ich werde es wahrscheinlich nicht erfahren. Ich kann nur beobachten. Und vermuten.

In der Sofaecke tut sich wenig. Vier bis fünf Sofas stehen In der Ecke zweier Glasaussenwände. Angeordnet in einem offenen Viereck. Zueinander gerichtet. Die Menschen schauen sich nicht an. Sie sitzen an ihren Geräten Und starren, verharren, sitzen. Man könnte vermuten sie warten. Sitzen etwas ab. Es sieht ungemütlich aus. Der Stoff der Polsterung kalt. Wahrscheinlich sind sie am Arbeiten. Etwas Lesen, Schreiben, Schauen, sich Notizen machen. Eine hatte bestimmt auch ein Buch in der Hand. Oder etwas zu schreiben. Minimale Bewegungen gibt es zwischendurch. Ich kann mir vorstellen dass es schwer ist von so einem Sofa wieder hochzukommen, so tief wie man da einsinkt.

Laufend kommen Menschen rein und gehen die Treppe runter. Es kommen Menschen von der Treppe und gehen raus. Oft vereinzelnd. Es sind um einiges mehr, wenn kurz vorher ein Bahngeräusch getönt hat. Jetzt allerdings bei weitem nicht so viele wie zu den Stoßzeiten. Ich würde behaupten, dass zwar Bewegung herrscht, aber im Vergleich zu sonst eher eine Ruhige Atmosphäre präsent ist.

Die meisten Menschen sind alleine Unterwegs. Auf dem Weg zu ihrem eigenen Ziel. Bepackt mit Umhängetasche oder Rucksack. Viele Schauen beim gehen in ihr Mobiltelefon. Einige sind auch zu zweit, lachen oder unterhalten sich.

Die ältere Dame kommt zum Ende ihrer Waffel-Session. Sie putzt sich die Nase und faltet dann den Pappteller zusammen, wirft ihn in einen Mülleimer. Sie geht zur Pinnwand, macht dort irgendetwas, das ich nicht genau erkenne und geht zurück zur Brüstung. Sieht so aus, als ob sie sich sortiert. Oder einen Flyer einsteckt.

Rechts unter einem Dach das nicht verglast ist, führt eine Automatische Schiebetür nach draussen. Direkt daneben haben sich vor einigen Minuten zwei Männer in Anzügen in die äußere Gebäudeecke an einen Mülleimer mit Aschenbecher gestellt. Einer der Anzüge könnte eine Koch-Bekleidung sein. Sie Rauchen. Vermutlich Tabak. Sie unterhalten sich angeregt und lachen zwischendurch.

Die ältere Frau macht sich auf den Weg nach draussen. Sie steuert die Automatische Tür an und geht auf die Männer zu. Sie spricht sie an, woraus ein kurzer Austausch entsteht. Sie lachen kurz zu dritt und dann zieht die Frau weiter. Ein dritter Mann im Anzug gesellt sich zu den Rauchern dazu.

Drinnen hat sich etwas getan. An der Pinnwand steht schon länger eine junge, dunkel und praktisch gekleidete Frau mit Brille. Es scheint, als schaue sie sich einige der Flyer und Plakate an.

Ich beobachte auch, wie sich in der Sofaecke etwas tut. Zwei Personen sind im Gespräch. Es wirkt sofort lebendiger. Von draussen kommt das Lachen und Gesprächsfetzen der Männer rein. Der Geruch von Zigarettenrauch. Hin und wieder ertönt ein Bahngeräusch. Das Treffen der Schuhsohlen auf den gefliesten Treppenstufen.

Auf die junge Frau vor der Pinnwand trifft ein junger Mann. Es sieht aus als seien sie verabredet. Sie zeigt ihm etwas, sie reden und gehen zusammen in Richtung Ausgang.

Zwanzig Minuten sind vorbei. Am Anfang fühlte ich mich als Fremdköper dieser Situation. Nach längerem Sitzen und Beobachten mehr als Teil des Ganzen. Ich kenne Meine Umgebung und seine Dynamik um einiges genauer als vor zwanzig Minuten.

Am Ende meiner Beobachtung kann ich sagen: ich nehme diesen Ort als Durchgangsplatz wahr. Es gibt Möglichkeiten sich kurz neu zu sortieren, sich zu informieren, auf Menschen zu treffen. Für mich ist es allerdings kein Ort zum verweilen. Es fühlt sich ein bisschen an wie ein Bahnhof der Uni.

Ich bin gespannt ob sich mein Gefühl dazu im laufe des Studiums noch ändern wird.


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