Ich verlasse den Seminarraum, laufe die Treppe runter und überlege, welcher Ort sich am Besten eignet, in die Beobachterrolle einzugehen.
Die Entscheidung fällt auf die Bus- und Bahnhaltestelle, ebenso entscheide ich mich, mit einer Fragestellung auf die Beobachtung einzugehen. Da die Zeit knapp ist, hole ich mir nicht meinen Mantel aus der Garderobe, eine Entscheidung, die ich später so bereue.
In schnellen Schritten laufe ich auf die Glashalle zu, laufe die Treppen runter und schaue nach einem geeignet Platz zum Sitzen und entdecke um die Säulen, gleich am Eingang in rotem Leder bezogene Bänke, die ich zuvor nie wahrgenommen habe, obwohl ich durch die Glashalle selbst zich male lang gelaufen bin aber natürlich immer in Eile.
Von hier habe ich einen gute Aussicht, auch wenn ich keine komplett freie Sicht habe, jedoch habe ich die nötige Distanz, nicht wahrgenommen zu werden von den Beobachtenden und gleichzeitig in Ruhe zu beobachten.
Ich merke schnell, dass ich das Bedürfnis habe alles aufzuschreiben und zwar parallel zu den Beobachtungen, da ich sonst nicht hinterher komme mit den Geschehnissen und keine verzerrten Wahrnehmungen riskieren will.
Es ist kurz nach 13 Uhr.Zu dieser Uhrzeit ist nicht viel los an der Haltestelle aber genug zum Beobachten.
Wie vertreiben sich die Wartenden die Zeit, bis sie sich von der Haltestelle fortbewegen?
Einer telefoniert, vier schauen auf ihr Handy, zwei Rauchen ganz gemächlich und unterhalten sich. Eine Gruppe kommt hinzu. Mir ist kalt.
Die Wartenden bewegen sich kaum von ihrem Platz. Eine Raucherin verlässt ihren Platz, um die Zigarettenstummel zu entsorgen und kehrt an derselben Stelle zurück. Ein Mann in roter Jacke bewegt sich nun beim Telefonieren. Die zweite rauchende Person entsorgt auch ihren Zigarettenstummel an der gleichen Stelle.
Die Bahn kommt. Eine von den zuvor rauchenden Personen setzt sich im Glashaus und rennt gleich wieder los zur Bahn. Die meisten Personen verlassen den Ort mit der Bahn.
Ein Wartender ist besonders auffällig, er stand am gleichen Punkt von Anfang an, hat nicht auf sein Handy geschaut, seine Blicke fielen auf dem Boden, nach oben oder doch mal beobachtend in der Umgebung und stand besonders auffällig lang an der Haltestelle.
Auf dem Weg zurück sehe ich noch im Glashaus einen Kommilitonen aus dem Kurs, es wird mir gleich bewusst, dass diese Person den gleichen Ort beobachtet hat. Auf dem Weg zurück zum Kursraum, tauschen wir uns aus und sprechen über die einzige Person, die sich nicht anderweitig beschäftigt hat. Die Frage kam auf, ob er nicht doch noch Kopfhörer (Earpods) hatte, die ich von der Distanz nicht gesehen habe. Seine Haltung würde in einem anderen Licht geführt werden.
Im Feedback Gespräch in der Runde merke ich zugleich für mich, dass ich womöglich eine zu große Distanz zu dem Ort, den ich mir ausgesucht hatte, zum Beobachten hatte.
Man soll mit allen Sinnen beobachten. Ich habe keine Sprache bzw. Gespräche gehört,
nicht der Rauch der Rauchenden gerochen, nicht die Anekdoten der größeren Gruppe gehört.
Es macht unheimlich viel Spass sich in dieser Rolle zu begeben, doch es bedarf an sehr viel Übung, auch sich auf die Situation einzulassen, sein Erinnerungsvermögen aufzubauen und genau zu Beobachten, einen Fokus zu haben und nicht untergehen in dem Flut der Geschehnisse.
Ich werde in der Zukunft immer wieder solche Übungen für mich einbauen, um einen anderen Blickwinkel auf meine alltägliche Situation wahrzunehmen und das Beobachten als Methode zu üben.
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