Heterogenität und Inklusion im Deutschunterricht

RV08 // Prof. Dr. Matthis Kepser // Heterogenität und Inklusion im Deutschunterricht der Sekundarstufen

  1. Greiner (2019) formuliert verschiedene Dilemmata, die mit der Forderung nach Inklusion an den Schulen verbunden sind. Nehmen Sie zu dreien Ihrer Wahl Stellung.

a) Das Differenzstärkungsdilemma: In inklusiven Schulen wird die Heterogenitätswahrnehmung aufgrund der Sichtbarkeit großer (Leistungs- und Verhaltens-)Differenzen noch verschärft: Extreme Heterogenität erfordere ≫komplexe Differenzierung≪ (Gonzalez et al. 2016, S. 335). Vergleichsdifferenz erzeugt potentiell besonders für Schuler mit Problemen mögliche Beschämungs- und Abwertungserfahrungen. (vgl Folie 8)

Ich denke, dass das Differenzstärkungsdilemma durch die Verstärkung und Offenlegung der Sichtbarkeit der Leistungs- und Verhaltensdifferenzen und die darauf folgende Differenzierung des Unterrichts, die in erster Linie auf dem Vergleich mit dem Klassenverband basiert, das Potential von Beschämungserfahrungen und Abwertungsgefühlen in sich trägt. Allerdings bin ich ebenso der Meinung, dass die Lehrkraft durch vermittelte Differenzierung von beispielsweise Leistungsunterschieden und einer damit einhergehenden Wertung der Schüler*innen dem entgegen wirken kann. Die Pluralität der Schüler*innen und der Menschen generell ist die Grundlage und der Ausgangspunkt für jede Gesellschaft und damit notwendig. Sofern die Schüler*innen sich, ihre Leistungen und die damit verbundenen Differenzierungsmaßnahmen mit diesem Grundgedanken begreifen, besteht die Chance, den Beschämungs- und Abwertungsgefühlen entgegen zu wirken.

b) Das Autonomiedilemma: Das allgemeine Ziel gesteigerter Lernerautonomie setzt bereits erhöhte Selbstregulationsfähigkeiten voraus – Autonomie beim Lernen zu ermöglichen, stärkt (nur) die (leistungs-)starken Schüler und befestigt den berühmten Matthäus-Effekt (›Wer hat, dem wird gegeben‹) beim Lernen. (vgl. Folie 9)

Auch bei diesem Dilemma denke ich, dass es grundsätzlich zutrifft. Allerdings hat meiner Meinung nach die Lehrkraft durch das Lehren autonom zu lernen und zu arbeiten Einfluss auf die Schüler*innen, sodass ein ausreichendes Mindestmaß an Selbstregulationsfähigkeiten bei allen Schüler*innen vorhanden sein kann. Nichtsdestotrotz würde ich das Dilemma noch ausweiten: Die Schüler*innen sind angewiesen auf ihr soziales Umfeld, was wiederum häufig vom Elternhaus beziehungsweise den Sorgeberechtigten abhängt. Auch hier kommt der Matthäus-Effekt dermaßen zum Tragen, sodass Schüler*innen die Unterstützung brauchen, deutlich bessere Chancen mit einem zum Lernen und Aufwachsen angemessenen sozialen Umfeld haben, als die, die es nicht haben. Auf diesen Aspekt hat die Lehrkraft kaum Einfluss und es gibt darüber hinaus auch keine „Stellschrauben“ wie bei dem Autonomiedilemma.

c) Das ›Als ob‹-Dilemma: Die ethnographische Unterrichtsforschung hat paradoxale Interaktionspraxen im inklusiven schulischen Alltag aufgezeigt, die eine Doppelbotschaft an (leistungsschwächere) Schüler übermitteln: Förderungsbedürftige Schüler werden – gemessen an ihrem Lernniveau – zu besonderen Leistungen ermutigt, aber ihre Leistungen werden weder klassenöffentlich ernstgenommen noch gewürdigt werden (Prengel 2017, S. 15). (vgl. Folie 10)

Der in dem ›Als ob‹-Dilemma beschriebenen Problematik stimme ich zu. Schüler*innen neigen dazu, die eigenen Leistungen mit den Leistungen der anderen Schüler*innen zu vergleichen und diese als Maßstab zur Bewertung ihrer Leistungen heranzuziehen. Ich denke, dass das einerseits ein für Menschen typisches Verhalten ist, das auf sozialen Erfordernissen des Lebens beruht. Andererseits lehrt oft das System Schule oft den Vergleich mit anderen Schüler*innen zu ziehen – mit beispielsweise einem öffentlichen Notenspiegel nach einer Klausur. Deswegen halte ich es für ausgesprochen wichtig, dass die Lehrkraft den Schüler*innen beibringt, die eigenen Leistungen primär mit den eigenen vorangegangenen, dem eigenen Anspruch und den eigenen Erwartungen zu vergleichen. Dieser Vergleich muss meiner Meinung nach dann mit einer Reflexion der eigenen Fähigkeiten  kombiniert werden, sodass die Leistungen eines jeden Menschen von ihm selbst und den anderen Schüler*innen richtig kontextualisiert werden können. 

  1. Die Vermittlung und Reflexion der deutschen Sprache ist nicht nur Aufgabe des Deutschunterrichts, sondern fächerübergreifendes Unterrichtsprinzip. 

a) Wo sehen Sie in Ihrem (ggf. zweiten) Fach Möglichkeiten, um Vielsprachigkeit als Ressource zu nutzen?

In meinem zweiten Fach Politik werden viele Texte in den verschiedensten Sprachen publiziert und in jedem Land und in jedem Sprachraum wird Politikwissenschaft unterschiedlich betrieben.

Vielsprachigkeit kann dabei helfen nicht nur den Kern von Texten oder Aussagen zu verstehen, sondern explizite Formulierung genau auf den Sinn zu analysieren. Darüber hinaus kann Vielsprachigkeit dabei helfen die Perspektive und die Grundsätze von der Disziplin der Politikwissenschaft in anderen Ländern zu verstehen. 

Beispielsweise ist es von Vorteil bei der Auseinandersetzung mit der russischen Politikwissenschaft und wie sie betrieben wird, einen russischsprachigen Unterstützer zu haben, der gegebenenfalls um Eigenheiten, gängige Metaphern, Anspielungen oder Doppeldeutigkeiten der russischen Sprache weiß, damit Texthinweise und Autor*innenintention richtig interpretiert werden können. Somit bestünde für eine*n nicht russischsprachigen Bearbeiter*in trotz der Sprachbarriere die Möglichkeit tiefen Zugang zur Perspektive russischsprachiger politikwissenschaftlicher Texte zu bekommen.

b) Wo sehen Sie in Ihrem (ggf. zweiten) Fach Möglichkeiten, um gendersensibel Unterrichtsgegenstände auszuwählen und Aufgaben zu konstruieren? (ACHTUNG! Ein * genügt dafür nicht!)

Auch hier verweise ich auf die Politikwissenschaft. Unsere Sprache kann darüber Auskunft geben, wie wir die Welt wahrnehmen und sehen. Gleichzeitig erfüllt unsere Sprache auch die Funktion bewusst Weltwahrnehmung zu kommunizieren. Als angehende Lehrkräfte müssen wir deshalb einen immanenten Anspruch an unsere Sprache haben, wenn wir uns im Raum Schule bewegen. Es ist wichtig, wenn wir beispielsweise über Zukunftsperspektiven im Rahmen der Berufswahl sprechen, nicht bestimmte Tätigkeiten mit Geschlechtern und Geschlechterrollen notwendigerweise zu verknüpfen und so diese Verknüpfung an die Schüler*innen weiterzugeben. 

Beispielhaft hierfür sind die Begriffe der Krankenschwestern und der Krankenpflegenden: Im ersten Begriff gehört das Geschlecht schon mit zur Berufsbezeichnung und ist damit vermeintliche Voraussetzung für die Tätigkeit, obwohl der Beruf davon handelt Kranke zu pflegen, was der zweite Begriff exakt und neutral beschreibt.

Es ist unsere Pflicht als angehende Lehrkräfte uns stetig kritisch mit unserer Sprache auseinanderzusetzen und zu reflektieren, was wir überhaupt genau sagen wollen und was wir sagen. Diese Fähigkeiten der kritischen Reflexion der Sprache müssen wir dann unseren Schüler*innen beibringen und dabei genauso betonen, warum die kritische Reflexion von Sprache überhaupt und vor allem für Schüler*innen wichtig ist.

Quellenverzeichnis:

Kepser, M. (2021): Heterogenität und Inklusion im Deutschunterricht – Vielsprachigkeit und Gender als Herausforderung. Vorlesung RV08.

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