24.01.2025 / Danner, Kamphues, Severin

Kennst du das? Du sitzt in einem Meeting, präsentierst eine Idee und sofort gibt es Einwände oder Diskussionen. Dann bringt dein Kollege, der schon länger im Unternehmen ist und mehr verdient, schließlich eine andere Idee ein und sie wird ohne großen Widerstand akzeptiert. Wie entstehen solche Unterschiede?  Dieser Blogbeitrag hilft dir zu verstehen, wie Statushierarchien in Teams entstehen, und bietet Ansätze, wie jede Idee unabhängig vom Status berücksichtigt werden kann.

Der unsichtbare Status: Was deine Stimme stärkt oder schwächt

Stell dir eine Projektgruppe vor: Lisa, eine neue Mitarbeiterin, hat eine innovative Lösung für ein Problem. Als sie ihren Vorschlag vorträgt, wird er ignoriert. Später präsentiert Thomas, ein erfahrener Kollege, dieselbe Idee und wird gefeiert. Diese Situation zeigt, dass Personen dazu neigen, Vorschläge von Personen mit angeseheneren Merkmalen (z.B. männlich, Führungsposition), besser zu bewerten als identische Vorschläge von anderen Personen.

Laut der „Expectation States Theory“ nach Correll und Ridgeway (2003) bilden Gruppenmitglieder Leistungserwartungen auf Grundlage von verschiedenen, meist unbewussten Annahmen. Diese Annahmen beeinflussen unter anderem wer die meisten Gelegenheiten bekommt zu sprechen und Vorschläge zu machen. Eine Hierarchie entsteht. Je mehr jemand beitragen darf, desto kompetenter wird er oder sie wahrgenommen – ein selbstverstärkender Kreislauf.

Aber welche unsichtbaren Prozesse stecken hinter der Entstehung von Statushierarchien?

1. Statusmerkmale: Wer zählt als kompetent?

Ein wesentlicher Aspekt, warum manche Personen in einem Team mehr Einfluss und Macht haben als andere, sind Statusmerkmale. Diese beruhen auf gesellschaftlichen Annahmen, die bestimmten Eigenschaften wie Geschlecht, Beruf oder Alter Kompetenz zuschreiben.

Menschen nutzen die Statusmerkmale unter anderem, um die Kompetenz anderer einzuschätzen. Diese Merkmale können spezifisch, also auf die Aufgabe bezogen sein (z. B. Fachwissen) oder diffus, d.h. aufgabenunabhängig, (z. B. Geschlecht, Alter, ethnische Herkunft). Letztere wirken oft unbewusst und beeinflussen wem wir mehr zutrauen, oft basierend auf gesellschaftlichen Vorurteilen. Schauen wir nun wieder auf Lisa und Thomas. Lisa wird allein aufgrund ihrer Junior-Position und ihres Geschlechts weniger ernst genommen. Thomas, der erfahrene, männliche Kollege, genießt dagegen automatisch mehr Vertrauen und Ansehen. Solche Annahmen führen dazu, dass Merkmale wie Alter oder Geschlecht die Wahrnehmung beeinflussen – oft ohne, dass wir uns dessen bewusst sind.

2. Belohnungen: Wer bekommt Anerkennung?

Belohnungen wie Lob, Gehalt oder verantwortungsvolle Aufgaben sind nicht nur Zeichen von Anerkennung. Sie beeinflussen auch, wie wir Leistung wahrnehmen und welche Erwartungen wir an uns selbst und andere stellen. Werden Belohnungen ungleich verteilt, nehmen wir diese Unterschiede oft als Hinweis auf Kompetenz wahr, selbst wenn sie eher auf Zufall, Sympathie oder Machtverhältnissen beruhen. Dadurch entstehen Statusunterschiede, die in der Gruppe als legitim empfunden werden.

Dabei wirken Belohnungen selten isoliert. Sie verstärken bestehende Statusmerkmale wie Geschlecht, Alter oder berufliche Erfahrung. Ein erfahrener männlicher Kollege wie Thomas profitiert beispielsweise doppelt: Sein Alter und Geschlecht tragen dazu bei, dass er als kompetent wahrgenommen wird und die ihm zugesprochene Anerkennung untermauert diesen Eindruck. Gleichzeitig werden Beiträge von jüngeren oder weiblichen Kolleginnen wie Lisa oft übersehen, wodurch ihnen die Möglichkeit fehlt, Belohnungen zu erhalten. So entsteht ein Kreislauf, in dem sich Macht und Status unabhängig von der tatsächlichen Leistung gegenseitig verstärken.

3. Verhaltensmuster: Selbstbewusst oder still?

Gruppen sind wie ein Tanz: Wer führt und wer folgt zeigt sich schnell und oft unbewusst. Neben offensichtlichen Statusmerkmalen wie Geschlecht oder Alter und der Verteilung von Belohnungen, prägen vor allem Verhaltensmuster die Gruppendynamik. Diese entstehen, wenn eine Person dominanter und selbstbewusst auftritt und die andere sich zurückhaltend verhält, etwa durch Zustimmung oder Schweigen.

Lisa bringt ihren Vorschlag zum Beispiel ruhig und bedacht vor, während Thomas ihn mit einem selbstbewussten Ton und Augenkontakt präsentiert. Das Team reagiert prompt auf Thomas, obwohl die Idee identisch ist. Lisa wird dadurch stiller, Thomas lauter. Mit jeder Wiederholung festigt sich dieses Muster: Thomas wird als „Leader“ wahrgenommen, Lisa als „Follower“. Das Team sieht diese Rollen irgendwann als normal an, ganz nach dem Motto: „Thomas führt, Lisa folgt.“

Verborgene Hürden: Warum manche mehr leisten müssen

Wie wir gerade gelernt haben, werden Leistungen in Gruppen nicht immer gleich bewertet. Oft entscheidet nicht nur die Qualität der Arbeit, sondern auch, wer sie präsentiert. Menschen mit niedrigerem Status wie Frauen, People of Color oder junge Teammitglieder müssen deshalb häufig mehr leisten, um dieselbe Anerkennung wie ihre Kolleg:innen mit höherem Status zu erhalten. Ihre Erfolge werden strenger geprüft, während bei anderen dieselben Leistungen automatisch als positiv bewertet werden.

Diese ungleichen Maßstäbe machen es schwer, sich in bestehenden Statushierarchien zu behaupten. Personen mit niedrigem Status stoßen zudem häufiger auf Widerstände, wenn sie Verantwortung übernehmen oder selbstbewusst auftreten. Was bei anderen als Stärke wahrgenommen wird, gilt bei ihnen oft als unangemessen oder wird kritischer betrachtet. Diese unsichtbaren Barrieren basieren auf den tief verwurzelten gesellschaftlichen Stereotypen, die unsere Wahrnehmung und Erwartungen unbewusst prägen.

Innovationen durch Vielfalt: Warum Teams von Diversität profitieren

Ein interessantes Beispiel für die Auswirkungen von Teamzusammensetzungen auf die Leistung eines Unternehmens liefert eine Untersuchung zur Geschlechterdiversität in Managementteams (del Mar Fuentes-Fuentes et al., 2023). Sie untersucht, ob Genderdiversität in Managementteams zu einer stärkeren Förderung inklusiver Innovation führt und dadurch letztlich die Unternehmensleistung steigert. Inklusive Innovation wird dabei als die Entwicklung neuer Ideen verstanden, die darauf abzielen, benachteiligte Gruppen zu unterstützen und deren soziale sowie wirtschaftliche Chancen zu verbessern. Die Studie zeigt, dass mehr Frauen in Führungsgremien tatsächlich zu einer höheren Vielfalt und Qualität der Ideen führt, was wiederum die Innovationskraft des Unternehmens steigert.

Wenn Frauen wie Lisa sichtbare Führungsrollen übernehmen und ihre Perspektiven aktiv eingebracht werden, können sich Wahrnehmungen und Entscheidungsprozesse ändern. Es wurde vielfach gezeigt, dass eine größere Geschlechterdiversität in Entscheidungen die Entwicklung innovativer, inklusiver Lösungen fördert. Die Präsenz von Lisa in einer Führungsposition könnte beispielsweise dazu führen, dass andere Ansätze und Ideen eingebracht werden, als dies bei einem rein männlich geprägten Führungsteam der Fall wäre. Genderdiversität kann dazu beitragen, traditionelle Statushierarchien aufzubrechen, indem sie diffuse Statusmerkmale wie Geschlecht hinterfragt. Es wird deutlich, dass Leistung nicht mehr nur an traditionellen Statusmerkmalen festgemacht werden kann, sondern dass Vielfalt und unterschiedliche Perspektiven einen positiven Einfluss auf die Teamdynamik und letztlich auch auf die Unternehmensleistung haben.

Was das für uns bedeutet

Wir können also festhalten, dass Hierarchien und Kompetenzerwartungen in Teams bei Menschen tief verwurzelte und oft unbewusste Mechanismen sind, die beeinflussen, wessen Beiträge gehört und anerkannt werden. Diese Dynamiken und Hierarchien entstehen durch gesellschaftliche Annahmen, Verhaltensmuster und Belohnungen, die die Wahrnehmung von Kompetenz verzerren. Um allen Teammitgliedern die gleichen Chancen einzuräumen, müssen wir aktiv gegen diese Muster steuern. Es hilft die eigene Wahrnehmung zu hinterfragen und bewusst darauf zu achten, wem wir eigentlich Gehör schenken. Strukturen, die Geschlechterdiversität fördern, tragen dazu bei, traditionelle Hierarchien zu hinterfragen und neue, innovative Perspektiven zu integrieren. Das kann letztlich die Leistung steigern. Führungskräfte spielen hierbei eine Schlüsselrolle, indem sie Inklusion und offene Kommunikation aktiv vorleben können. Es braucht Mut und Reflexion, um eingefahrene Muster zu durchbrechen. Doch die Mühe lohnt sich: Wenn alle Stimmen im Team gehört werden, kann von einer Vielfalt von Ideen profitiert werden. Am Ende ist es nicht nur eine Frage der Fairness, sondern auch der Effizienz: Teams, die alle Mitglieder einbinden, sind innovativer und können bessere Entscheidungen treffen.

Hast du schon einmal darüber nachgedacht, welche Möglichkeiten sich eröffnen könnten, wenn jede Idee Gehör findet?

Achte doch beim nächsten Teammeeting bewusst darauf, welche Ideen möglicherweise übersehen werden und welches Potenzial in ihnen steckt. Manchmal liegt gerade in den leisen Stimmen das größte Potenzial.

Quellen:

  • Correll, S. J. & Ridgeway, C. L. (2006). Expectation States Theory. In J. Delamater & J. D. DeLamater (Hrsg.), Handbook of social psychology (S. 29–51). Springer. https://doi.org/10.1007/0-387-36921-X_2
  • del Mar Fuentes‐Fuentes, M., Quintana‐García, C., Marchante‐Lara, M. & Benavides‐Chicón, C. G. (2023). Gender diversity, inclusive innovation and firm   performance. Sustainable Development, 31(5), 3622–3638. https://doi.org/10.1002/sd.2615