24.01.2025 / Ardler, Fischer, Zipprich

Theorie der sozialen Identität

Die gläserne Decke durchbrechen: Wie Frauen ihre Identität als Stärke für Führungsrollen nutzen können

„Männerwelt“, „Gläserne Decke“ – diese Begriffe sind leider immer noch allgegenwärtig, vor allem, wenn es um Frauen in Führungspositionen geht. Der Weg an die Spitze ist für Frauen nach wie vor ein steilerer Aufstieg. Er ist insbesondere geprägt von hartnäckigen Vorurteilen und männlich dominierten Systemen. Worin könnte der Schlüssel zum Durchbrechen dieser Barrieren liegen? Er liegt sicher nicht in einer Anpassung an eine traditionelle, männlich geprägte Führungsart, sondern vielmehr darin, die einzigartige Identität als Frau anzunehmen und als Stärke zu nutzen!

Der Widerspruch, eine Frau in einer Männerwelt zu sein

Für viele Frauen in Führungspositionen ist die Herausforderung nicht nur, in den „Jungenclub“ einzudringen. Es geht auch darum, ihre Geschlechtsidentität mit den Erwartungen an ihre Position in Einklang zu bringen. Wie eine Studienteilnehmerin es so treffend ausdrückt: „Es ist schwer, zehn Stunden am Tag in einer von Männern dominierten Logik zu leben und dann nach Hause zu gehen und feminin, fürsorglich, süß und gut gelaunt zu sein.“

Diese Herausforderung lässt sich mit der sozialen Identitätstheorie (engl. Social Identity Theory) beschreiben: Menschen definieren sich über Gruppenzugehörigkeiten, die ihnen Orientierung geben. Diese Gruppenzugehörigkeiten sind ein fester Bestandteil des menschlichen Seins. Menschen ordnen sich selbst und andere in Gruppen ein – Frauen, Männer, Führungskräfte, Mitarbeitende. Dabei entstehen oft vereinfachte Gruppendarstellungen – also Vorurteile. Wenn eine Frau in eine Führungsposition wechselt, wird sie schnell in eine Schublade gesteckt. Entweder entspricht sie dem Führungsbild oder dem Frauenbild, aber selten beidem gleichzeitig. Sie wird Teil einer Gruppe, in der alle Mitglieder gleich und austauschbar erscheinen.

Verstärkt wird diese Wahrnehmung durch alte Bewertungsmuster: Traditionell galten „männliche“ Führungseigenschaften wie Durchsetzungskraft als wertvoller als „weibliche“ Eigenschaften wie Mitgefühl. Solche Zuordnungen definieren das gesellschaftliche Ansehen und erschweren Frauen den Weg in Führungspositionen.

Im Kern geht es um eine emotionale Gratwanderung: Wie können Frauen ihre verschiedenen Identitäten vereinbaren? Zwischen beruflicher Position und weiblicher Identität entsteht ein ständiger Balanceakt mit weitreichenden Folgen für die persönliche und berufliche Entwicklung. Für Frauen in Führungspositionen gibt es so einen ständigen Balanceakt zwischen der Zugehörigkeit zur Gruppe „Frauen“ und der Gruppe „Führungskräfte“. Das kann dazu führen, dass Frauen sich gezwungen fühlen, sich zwischen ihrem Frausein und ihrer Führungsposition zu entscheiden.

Die Gefahr des „Queen bee phenomenon

Diese Entscheidung kann auch dazu führen, dass sich Frauen in Führungspositionen von anderen Frauen abgrenzen. Die bewusste Abgrenzung von Frauen in Führungspositionen zu anderen Frauen kann als „Queen bee phenomenon“ benannt werden. Bei dieser umstrittenen Theorie grenzen sich Frauen in Führungspositionen von anderen Frauen ab. Dies tun sie, um zu beweisen, dass sie „anders“ sind und es in einer Männerwelt „geschafft“ haben. Die Queen bees passen sich sogar an die männlichen Verhaltensweisen und Spielregeln an. Sie unterstützen damit die Strukturen, die andere Frauen benachteiligen. 

Auch wenn diese Strategie zunächst den Weg des geringsten Widerstands zu sein scheint, können die Folgen verheerend sein. Sie fördert den Mangel an Zusammenhalt unter Frauen, und bestärkt Geschlechterstereotype. Zudem lässt sie die zugrunde liegenden Probleme ungelöst. Frauen, die diesen Weg wählen, zahlen oft einen hohen persönlichen Preis. Sie erleben mehr Stress und fühlen sich weniger wie sie selbst. Zudem leiden sie unter dem inneren Konflikt zwischen ihrem Frausein und ihrer Position als Führungskraft.

Die eigene Identität als Stärke nutzen

Aber es gibt auch einen anderen Weg. Frauen haben die Möglichkeit, die Wahrnehmung der eigenen Gruppe positiv zu verändern, ohne direkt die bestehenden Machtverhältnisse anzutasten. Dies geschieht durch die sogenannte kreative Neueinschätzung, die positive Merkmale der Gruppe betont und negative verändert. In der Studie „Me, a Woman and a Leader“ untersuchten Forschende genau diesen Ansatz. Sie befragten über 800 Frauen, die bereits Führungspositionen innehatten oder diese anstrebten. Mit verschiedenen Fragen wollten sie herausfinden, wie positiv die Teilnehmerinnen die eigene Geschlechtsidentität und die Führungsidentität wahrnahmen. Außerdem untersuchten sie den Widerspruch zwischen der Rolle als Frau und der Rolle als Führungskraft. Das wurde gemessen durch Aussagen wie beispielsweise „Ich habe das Gefühl, dass andere Manager mich nicht ernst nehmen, weil ich eine Frau bin“.

Das Ergebnis war eindeutig: Wenn Frauen ihre eigene Geschlechtsidentität positiv bewerten, erleben sie weniger Widerspruch zwischen ihrem Frausein und ihrer Führungsposition. Diese Frauen zeigen eine höhere Lebenszufriedenheit. Zudem erlebten sie weniger Stress und waren stärker motiviert, Führungspositionen einzunehmen. Die Erklärung: Eine positive Geschlechtsidentität verringert den wahrgenommenen Widerspruch zwischen den Rollen als Frau und Führungskraft. Anders ausgedrückt: Wenn Frauen stolz darauf sind, Frauen zu sein, fühlen sie sich weder dazu gedrängt, ihre Weiblichkeit zu unterdrücken, noch dazu, ihren Erfolg in Führungspositionen unter Beweis stellen zu müssen.

Dadurch können Frauen aktiv die Bedeutung „weiblicher“ Führungseigenschaften wie Mitgefühl und Zusammenarbeit betonen. Anstatt sich an die Männerwelt anpassen zu müssen, können sie die besonderen Stärken hervorheben, die Frauen in Führungspositionen mitbringen.

Echten Wandel bewirken

Natürlich ist das nur ein Teil der Lösung. Für wirklichen, langfristigen Fortschritt braucht es auch Wandel auf höherer Ebene. Frauen und Männer sollten gemeinsam daran arbeiten, greifbare Verbesserungen zu erreichen. Beispielsweise, indem sie gesellschaftliche Probleme angehen und aktiv um Anerkennung und Rechte von Frauen kämpfen. Dadurch können Ungleichheiten verringert und die Lebenssituation der gesamten Gruppe verbessert werden. Frauen in Führungspositionen bekämpfen somit aktiv Ungleichbehandlung. Oder sie treten für Gleichberechtigung ein und gestalten die Umgangsweisen im Unternehmen mit.

Indem Frauen andere Frauen gezielt fördern und unterstützen, können sie ihren Einfluss nutzen. Beispielsweise, um offenere und vielfältigere Umgebungen zu schaffen, können Frauen zu Vertreterinnen des Wandels werden. Es ist nicht leicht, aber der Weg lohnt sich. Er verspricht eine Zukunft, in der Frauen einfach sie selbst sein und trotzdem erfolgreich sein können – ohne sich zwischen ihrer Weiblichkeit und ihren Zielen entscheiden zu müssen.

Die Geschichte neu erzählen

Die Geschichte von Frauen in Führungspositionen ist kompliziert, voller Herausforderungen und Stolpersteinen. Wir müssen verstehen, wie unsere soziale Identität mit diesen Herausforderungen zusammenhängt und unsere Einzigartigkeit als Stärke sehen. Nur dann können wir die Geschichte neu erzählen.

Es ist an der Zeit, die gläserne Decke zu durchbrechen. Nicht, indem wir versuchen, in eine Form zu passen, die nie für uns gedacht war. Sondern indem wir unser ganzes Selbst an den Tisch bringen und den Wert zeigen, den Frauen in den höchsten Führungspositionen einbringen können. Das kann zum Beispiel erreicht werden, indem Lebensläufe anonymisiert werden. So könnte in einem Bewerbungsprozess vorurteilsfrei entschieden werden, statt basierend auf Geschlecht oder Herkunft. Auch bei höheren Positionen können Quotenregelungen eingeführt werden, um die Vielfältigkeit zu erhöhen. 

So können wir eine Zukunft schaffen, in der weibliche Führungsstärke nicht länger die Ausnahme sind, sondern zum Alltag gehören. 

Literaturverzeichnis

Derks, B., Van Laar, C. & Ellemers, N. (2016). The queen bee phenomenon: Why women leaders distance themselves from junior women. The Leadership Quarterly, 27(3), 456–469. https://doi.org/10.1016/j.leaqua.2015.12.007

Ellemers, N., & Haslam, S. A. (2011). Social Identity Theory. In P. A. M. Van Lange (Hrsg.), Handbook of Theories of Social Psychology (S. 379-398).

Karelaia, N. & Guillén, L. (2014). Me, a woman and a leader: Positive social identity and identity conflict. Organizational Behavior And Human Decision Processes, 125(2), 204–219. https://doi.org/10.1016/j.obhdp.2014.08.002