24.01.2025 / Lange, Nosthoff, Thieheuer / Kommentare
Handwerkliche Berufe für Männer, erzieherische Arbeit für Frauen – diese Stereotype prägen unsere Berufswelt bis heute. Viel zu oft wird die Berufswahl nicht von den eigenen Stärken oder Interessen bestimmt, sondern von tief verwurzelten Geschlechterrollen, die unbewusst Grenzen setzen. Gesellschaftliche Erwartungen definieren weiterhin, welche Berufe als „typisch männlich“ oder „typisch weiblich“ gelten und schränken die individuelle Freiheit der Berufswahl ein. Doch was wäre, wenn wir diese veralteten Muster aufbrechen könnten, indem wir geschlechtsstereotype Rollenbilder kritisch hinterfragen? Eine Zukunft ohne diese unsichtbaren Schranken ist möglich – eine, in der jeder Mensch den individuellen Weg frei wählen kann. Um zu zeigen, wie das gelingen kann, haben wir drei Personen befragt, die in ihrem Beruf erfolgreich mit traditionellen Rollenbildern gebrochen haben.
Die Relevanz der Berufswahl und wie Geschlechterrollen diese beeinflussen
Die Berufswahl spielt eine zentrale Rolle in unserem Leben: Sie prägt nicht nur die berufliche Zukunft, sondern beeinflusst auch unsere Zufriedenheit, Work-Life-Balance und unser Wohlbefinden. Dennoch zeigen aktuelle Daten, dass geschlechtsspezifische Stereotype weiterhin die Berufswahl beeinflussen: Nach dem Statistischen Bundesamt waren im Jahr 2024 lediglich 10,2 % der Beschäftigten in Handwerksberufen weiblich. Gleichzeitig liegt der Männeranteil am pädagogischen Personal in Kindertageseinrichtungen im Jahr 2022 nur bei 7,9 %. Diese Verteilung spiegelt nicht nur persönliche Vorlieben oder Interessen von Männern und Frauen wider, sondern ist auf tief verankerte geschlechterstereotype Normen zurückzuführen. Schon früh werden Kindern vermeintlich typische Rollenbilder vermittelt: Technikspielzeuge und Baukästen für Jungen, Puppen und Küchensets für Mädchen. Diese Prägungen wirken unbewusst fort und beeinflussen später die Berufsentscheidung, oft ohne, dass es den Betroffenen selbst bewusst ist. Tabita, eine Segelmacherin berichtet uns: „Bei einem Vorstellungsgespräch für einen Ausbildungsplatz wurde ich von einem Chef darauf hingewiesen, dass ich eine Frau wäre und dass dieser Beruf körperlich anstrengend sei. Er war der Meinung, dass ich diesen Beruf nicht ausüben könne, da ich als Frau zu schwach wäre.“ Solche Vorurteile erschweren Frauen den Einstieg in handwerkliche Berufe, wie Tabita erläutert: „Ich werde häufig von Kunden kräftetechnisch unterschätzt. Manche sind dann erstaunt, dass ich doch so viel Kraft habe und wie ein Mann zupacken kann.“
Tabita handelt in ihrer Situation entgegen der Geschlechterstereotype, die in der Social Cognitive Career Theory von Nzasi begründet werden. Diese erklärt, dass die Berufswahl neben persönlichen Zielen von zwei Faktoren beeinflusst wird: dem Glauben an die eigene Fähigkeit (Selbstwirksamkeit) und den Erwartungen an die Ergebnisse. Selbstwirksamkeit bedeutet, wie Menschen ihre Fähigkeiten in einem Beruf einschätzen. Ergebnisorientierung beschreibt, dass Menschen Berufe wählen, bei denen sie positive Ergebnisse oder Belohnungen erwarten. Zudem zeigt sie, dass die Zuschreibung von Charaktereigenschaften die Selbstwirksamkeit in bestimmten Berufsfeldern beeinflusst. Männer werden dabei häufig mit Eigenschaften wie Wettbewerb und Durchsetzungsfähigkeit assoziiert, was sie dazu motiviert, Führungspositionen anzustreben. Frauen hingegen werden gesellschaftlich stärker mit Fürsorglichkeit und Empathie verbunden. Dies führt dazu, dass Frauen sich eher in Pflegeberufen befähigt fühlen und MINT-Berufe als weniger attraktiv wahrgenommen werden.
Madita, eine MINT-Absolventin im Bereich Management und Technik, schildert hierzu eine weitere Perspektive: „Vor allem nach dem Studium, als es um die ersten Jobs nach dem Bachelor ging, wurde mir durch meine männlichen Kommilitonen vorgemacht, mit hohen Erwartungen in das Jobinterview zu gehen und sich selbst sogar ein bisschen besser zu verkaufen, als man eigentlich ist. Meine weiblichen Kommilitoninnen waren dagegen eher zurückhaltend.“ Ihre Erfahrungen verdeutlichen, wie tief verankerte Geschlechterrollen ihre subjektiv wahrgenommenen Fähigkeiten und Karrierechancen beeinflussen.
Doch woher kommen diese klassischen Rollenbilder, welche die Berufswahl prägen?
Die Social Role Theory nach Eagly und Wood liefert eine klare Erklärung: Geschlechterstereotype entstehen durch die historische Beobachtung geschlechtsspezifischer Aufgabenverteilungen. Frauen und Männer übernehmen bestimmte Tätigkeiten, weil diese ihnen historisch und kulturell zugeschrieben wurden. Diese Zuschreibungen erscheinen oft unveränderlich, sind jedoch eng mit den sozialen Bedingungen verknüpft, unter denen sie entstanden sind. Besonders bemerkenswert ist, dass diese Rollenbilder nicht nur passiv wahrgenommen, sondern aktiv weitergegeben werden. Für die Berufsorientierung bedeutet das, dass Menschen ihre Berufe anhand von gesellschaftlichen Erwartungen wählen. Ihre eigene Berufswahl orientiert sich unterbewusst an stereotypischen Vorstellungen. Wer von diesen Rollen abweicht, begegnet oft Widerständen – sei es in Form von Skepsis, Ablehnung oder mangelnder Unterstützung. Ein gutes Beispiel dafür sind Frauen in Führungsrollen: Zeigen sie einen durchsetzungsstarken Führungsstil, werden sie oft negativer wahrgenommen als Männer, die sich genauso verhalten. Dieses Verhalten wird bei Frauen als „untypisch“ bewertet – und zeigt, wie stark solche Rollenbilder unser Denken prägen. Malte, ein Student der Sozialen Arbeit, ergänzt: „Besonders in männlich dominierten Räumen ist es für mich nicht einfach, von meinem Studium und dem Beruf, den ich ausübe, zu sprechen. Oft werden Männer, die im Care-Bereich arbeiten, belächelt, da es keine typischen Statusberufe sind.“
Die Theorie weist jedoch auch darauf hin, dass sich Rollenbilder ändern können, wenn gesellschaftliche Strukturen sich wandeln. Männer, die in sozialen Berufen tätig sind, und Frauen, die in technischen Berufen arbeiten, durchbrechen diese klassischen Rollenbilder. Kleine Veränderungen im Alltag haben langfristig die Kraft, Geschlechterrollen zu hinterfragen und neu zu definieren. Malte hebt hier die Rolle von Vorbildern hervor: „Erwachsene haben einen unglaublichen Einfluss auf Kinder und Jugendliche. Ich glaube, dass viele Probleme dieser Welt nicht vorhanden wären, wenn wir Jungen andere Rollen anbieten und vorleben würden.“
Kritiker:innen könnten argumentieren, dass Stereotype durchaus ihre Berechtigung haben, da biologische und hormonelle Unterschiede zwischen Frauen und Männern existieren. Zwar sind Frauen im Durchschnitt kleiner und weniger muskulös, doch stellt sich die Frage, ob solche Unterschiede im Zeitalter technologischen Fortschritts noch eine zentrale Rolle spielen sollten. Vielmehr scheint es so, dass immer noch kulturelle, soziale und strukturelle Einflüsse die Berufswahl prägen und oft die individuelle Eignung überlagern. Dennoch zeichnet sich in den letzten Jahren zeichnet der positive Trend ab, dass Geschlechterstereotype bei der Berufswahl durchbrochen werden. Beispielsweise übernehmen immer mehr Frauen trotz dieser Einflüsse Führungspositionen. Trotzdem besteht weiterhin Handlungsbedarf, um diesen Wandel zu verstärken.
Wie können wir Stereotype in der Berufswelt aufbrechen?
Da die Berufswahl ein entscheidender Schritt im Leben eines Menschen ist, der nicht nur die berufliche Zukunft, sondern auch die persönliche Zufriedenheit und das gesellschaftliche Zusammenleben prägt, müssen wir für eine gerechtere Berufswahl geschlechtsspezifische Stereotype, soziale Normen und kulturelle Erwartungen kritisch hinterfragen. Unser Ziel sollte es sein, diversere Karrierewege zu ermöglichen, die allen Schüler:innen und Berufseinsteiger:innen gleichberechtigte Chancen bieten. Dabei spielen zielgruppenspezifische Interventionen in Schulen und am Arbeitsplatz eine entscheidende Rolle. Es ist notwendig, bereits in der Schulbildung den Grundstein dafür zu legen, dass persönliche Interessen, Fähigkeiten und Ziele die Berufswahl bestimmen – nicht gesellschaftliche Erwartungen oder strukturelle Barrieren. Auch während des gesamten Karrierewegs sollten Menschen die Freiheit haben, ihren beruflichen Weg unabhängig von biologischen Merkmalen zu erkunden und zu wählen. Unsere Gespräche zeigen: Es lohnt sich, geschlechtsspezifische Rollenbilder zu hinterfragen. Alle Gesprächspartner:innen bestätigten, dass es die richtige Entscheidung war, ein nicht stereotypisches Berufsbild zu wählen.
Jetzt ist die Zeit, Vorurteile abzubauen und Bildungs- sowie Arbeitsumfelder zu schaffen, in denen jede:r das eigene Potenzial entfalten kann. So wird Gleichberechtigung in der Berufswahl zur Realität.
Hast du schon einmal darüber nachgedacht, wie Geschlechterrollen deine eigenen Entscheidungen beeinflusst haben?
Teile deine Erfahrungen und Gedanken in den Kommentaren und lasst uns gemeinsam darüber sprechen, wie wir Stereotype aufbrechen und eine gerechtere Berufswelt schaffen können – deine Meinung zählt!
Quellen:
- Davis, J. T. M. & Hines, M. (2020). How Large Are Gender Differences in Toy Preferences? A Systematic Review and Meta-Analysis of Toy Preference Research. Archives of sexual behavior, 49(2), 373–394. https://doi.org/10.1007/s10508-019-01624-7
- Eagly, A. H. & Wood, W. (2012). Social Role Theory. In Higgins, E. Tory, Kruglanski, Arie W., Lange & Paul A. M. Van. (Hrsg.), Handbook of Theories of Social Psychology (2. Aufl., S. 458–476). SAGE Publications. https://doi.org/10.4135/9781446249222.n49
- Nzasi, C. (2023). The Role of Gender Shaping Career Choices. Journal of Sociology, 1(1), 10–18.
- Statistisches Bundesamt. (2024). Erwerbsbeteiligung von Frauen nach Berufen. https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Qualitaet-Arbeit/Dimension-1/erwerbsbeteiligung-frauen-berufe.html
- Statistisches Bundesamt. (2023). Anteil der Männer am pädagogischen Kita-Personal von 4,1% im Jahr 2012 auf 7,9% im Jahr 2022 gestiegen: Zahl der Woche. https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/Zahl-der-Woche/2023/PD23_34_p002.html