Die Myasthenia gravis, Lesezeit 17 min, medizinisch fachlich

Die Myasthenia gravis, Lesezeit: 17 min

 

Die Myasthenia gravis ist eine Autoimmunerkrankung. Das Leitsymptom der Myasthenia gravis ist eine wechselnd ausgeprägte Schwächung der quergestreiften Muskulatur. Die quergestreifte Muskulatur ist für die Bewegung des Menschen notwendig. Der Herzmuskel ist davon nicht betroffen. Die Schwäche ist häufig asymmetrisch ausgeprägt, d.h. nicht in beiden Körperhälften gleich ausgeprägt und nimmt unter anhaltender Belastung der betroffenen Muskelgruppen zu. Es ist jedoch nicht ungewöhnlich, dass die muskuläre Schwäche spontan und ohne ersichtlichen Grund auftritt, über kürzere oder längere Phasen anhält und dann wieder spontan remittiert, verschwindet. Es handelt sich bei der Myasthenia gravis um eine Autoimmunerkrankung, bei der es zu einer Störung der Signalübertragung vom Nerv zum Muskel kommt (vgl. Köhler 2012, S.24).

 

Pathogenese:

Die neuromuskuläre Signalübertragung erfolgt an der motorischen Endplatte der Muskelfaser, da wo der Nerv andockt, also die Verbindungsstelle von Nervenende und Muskelfaser.

Der vordersten Abschnitt des Axons, des Nervenendes, enthält zahlreiche mit Acetylcholin gefüllte Vesikel            sogenannte Kammern, ein Lagerraum. An der muskulären Endplatte befinden sich die dazugehörigen Acetylcholin-Rezeptoren die den Botenstoff Acetylcholin aufnehmen. Zwischen Nervenende und Endplatte befindet sich der synaptische Spalt, ein Zwischenraum. Bei einem Bewegungsimpuls öffnen sich die Vesikel (Kammern), der Botenstoff Acetylcholin wird ausgeschüttet, überwindet den synaptischen Spalt, verbindet sich mit dem Acetylcholinrezeptor und innerviert die Muskelfaser zur Kontraktion. Die Bewegung erfolgt.

Nach der Bewegung spaltet die im synaptischen Spalt vorhandene Acetylcholinesterase das Acetylcholin in Acetat und Cholin.  Das Cholin wird aktiv von den Nervenendigungen wieder aufgenommen, wo die Cholin-Acetyltransferase das Acetylcholin wieder zusammenbaut.

Der Funktionskreislauf ist geschlossen, und es kann zu einer erneuten Ausschüttung des Acetylcholins kommen.

Bei der Myasthenia gravis bildet der Körper autoimmune Antikörper. Diese Antikörper belegen die Acetylcholinrezeptoren. Dem ausgeschütteten Acetylcholin stellen sich weniger Rezeptoren zur Verfügung, der Muskel erfährt keine ausreichende Depolarisierung, die ein muskuläres Aktionspotenzial auslösen würde. Bei der Myasthenia gravis sind die sekundären synaptischen Spalten weniger tief, so dass quantitativ weniger Acetylcholinrezeptoren in den Tiefen der Einfuhrchungen zur Verfügung stehen.

Es kommt zur muskulären Schwäche (vgl.Köhler 2012, S.45-47).

 

Epidemiologie:

Die ersten Schilderungen dieser Erkrankungen gehen auf Thomas Willis (1621-1675), einen englischen Arzt zurück. Im Jahr 1672 beschrieb er Patienten mit klassischer myastener Symptomatik, unterschiedlichen Alters (vgl. Köhler 2012, S.18).

Die Erkrankung kann in jedem Lebensalter auftreten. Die jährliche Inzidenz (Neuerkrankung) wird mit 3-5/Million und die Prävalenz (insgesamt Erkrankte) mit 60-15/Million angegeben. Frauen sind allgemein doppelt so oft betroffen wie Männer. Männer erkranken bevorzugt im höheren Lebensalter und weisen bevorzugt die okuläre Verlaufsform auf. Frauen erkranken am häufigsten im mittleren Lebensalter. Die Häufigkeit dieser Erkrankung nimmt international zu, durch ein vermehrtes Auftreten der Altersmyasthenie (vgl.Köhler 2012, S.43-44).

 

Symptome:

In der Regel hat die Erkrankung einen langsamen Verlauf. Doppelbilder gehören zu den häufigsten Symptomen, häufig kombiniert durch eine einseitige, asymetrisch ausgeprägte oder doppelseitige Ptose (Lidheberschwäche). Sprach- und Schluckstörungen können im frühen Stadium auftreten. Im späteren Stadium kann die körperliche Muskelschwäche auf Arme und Beine übergreifen. In nur etwa 15% der Fälle bleiben die Symptome auf die Augen beschränkt.

 

Verstärkt wird die Erkrankung Myasthenia gravis durch folgende Faktoren:

– Schilddrüsenerkrankungen, Elektrolytentgleisungen

– Fieber, Infektionserkrankungen

– Extreme körperliche oder seelische Belastungen

– Antibiotika und andere Medikamente

– Hormonelle Störungen

– Narkosen

– Therapiefehler, wie die Überdosierung von Acetylcholinesterase- Hemmstoffen

Die allgemeinen Symptome der Myasthenia gravis sind im Tagesverlauf in der Regel abends am häufigsten ausgeprägt und reduzieren sich wieder über die nächtliche Erholung (vgl. Köhler 2012, S.24-25).

 

Ursache:

Der Myasthenia gravis liegen Antikörper zugrunde. Die Ursache der Autoimmunerkrankung ist unbekannt. Des Weiteren gibt es einen klaren Zusammenhang mit einer tumorös vergrößerten Thymusdrüse, einem Organ des Immunsystems. Erbliche Faktoren und extreme seelische und körperliche Belastungen werden als Auslöser werden diskutiert (vgl. Köhler 2012, S.18-21).

 

Diagnose/ diagnostisches Vorgehen:

Anamneseerhebung: Doppelbilder, Kau- und Schluckbeschwerden, Schwäche der proximalen Muskelgruppen, Zunahme im Tagesverlauf

Körperliche Untersuchung: Typischerweise rein motorische Störungen, Ptose, Doppelbilder, reduzierte Vitalkapazität

Zusatzuntersuchungen: Thorax-CT oder MRT, Antikörperbestimmung, Elektrophysiologische Testung, Serienstimulation, Einzelfaser-EMG (vgl. Köhler 2014, S.53)

 

 

Therapie:

Bei der Behandlung der Myasthenia gibt es vier Therapieprinzipien.

  1. Die Verbesserung der neuromuskulären Übertragung durch Acetylcholinesterase-Inhibitoren. Die Wirkung des Medikamentenwirkstoffs Pyridostigminbromid ist so, dass die Spaltung des Botenstoffes Acetylcholin in Acetat und Cholin im synaptischen Spalt verhindert wird, und quantitativ mehr Acetylcholin zum Kontaktieren der Rezeptoren vorhanden ist.
  2. Immunsuppressive Therapie
  3. bei akuter Verschlechterung: Plasmabehandlung mit Plasmapherese, Immunadsorbtion
  4. Thymektomie (vgl. Köhler 2012, S.93)

 

Ziel der Therapie ist es, den Betroffenen ein möglichst normales Leben mit ihrer Erkrankung zu ermöglichen. Die Myasthenie-Sterblichkeit ist in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich zurückgegangen, auch bedingt durch die Einführung der immunsuppressiver Therapie und die immer bessere intensivmedizinische Betreuung.

(vgl. Köhler 2012, S.113).

 

Literatur:

Köhler, Wolfgang (2012): Myasthenia gravis, 4. Auflage. International Medical Publishers London, Boston; Bremen: UNI-MED



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