Solidarität zwischen Pest und Corona und danach

Ein Online-Gespräch mit Heinz Bude (Institut für Soziologie, Universität Kassel), Christine Dietze (Master Transkulturelle Studien, Universität Bremen), Jeanette Ehrmann (Institut für Politikwissenschaft, Universität Gießen) und Wolfgang Kaschuba (BIM, Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung)

Moderation: Ehler Voss (Institut für Ethnologie und Kulturwissenschaft, Universität Bremen)

 

Zeit und Ort
Universität Bremen, Worlds of Contradiction (WoC), Institut für Ethnologie und Kulturwissenschaften, 5. Mai 2020, 18 Uhr, Zoom-Konferenz

Während der Soziologe Heinz Bude in seinem Anfang 2019 erschienenen Buch “Solidarität. Die Zukunft einer großen Idee” eine Tendenz zur Abwertung des Begriffs diagnostizierte, ist die Aufforderung zu Solidarität im Zuge der weltweiten Ausbreitung des Coronavirus gut ein halbes Jahr später zu so etwas wie einem globalen Imperativ geworden. Covid-19 lässt in gleißender Schärfe bestehende Ungleichheiten noch deutlicher hervortreten. Gleichzeitig wird Solidarität gefordert und gefeiert in einer Zeit, die als Krise beschrieben und nicht selten bereits als Zeitenwende prognostiziert wird. Manche träumen angesichts der aktuellen Entwicklungen von einem Ende des Neoliberalismus und dem Beginn einer neuen solidarischen Gesellschaft, in der alle Menschen erkennen, dass Solidarität nicht mehr allein als partielle Unterstützung der Schwachen durch starke Einzelne verstanden werden sollte, sondern sich die Notwendigkeit allgemeiner Solidarität durch die Erkenntnis gegenseitiger Abhängigkeit begründet. Denn das Virus mache keine Klassenunterschiede.

Oder doch? Natürlich gibt es auch massive Zweifel daran, dass ausgerechnet ein Virus das schaffen sollte, was Klimawandel und atomare Bedrohung bisher nicht geschafft haben. Kritische Stimmen beschreiben und analysieren gegenwärtig, dass vor dem Virus eben gerade nicht alle gleich sind. Eine ungleiche Ressourcenverteilung bringt auch ungleiche Beeinträchtigungen und Überlebenschancen mit sich und Solidarität endet dort, wo die Ressourcen knapp werden. Statt einer besseren Zukunft „nach Corona“ werden eher düstere Szenarien befürchtet, in denen die Reichen noch reicher und alle anderen noch ärmer geworden sind, alte und neue Ressentiments aufkeimen und autoritäre Staatspraktiken und Disziplinierungsmaßnahmen mithilfe totalitärer Überwachungsinstrumente zur allgemein akzeptierten Normalität werden.

In diesem Gespräch widmen wir uns dem positiven wie negativen Potential dieser Krise und fragen nach Gegenwart und Zukunft der Solidarität. Was ist von diesen gegensätzlichen Szenarien zu halten? Wie kann letzteres verhindert werden? Was bedeutet die aktuelle Krise für unsere Demokratie? Welche Handlungsoptionen haben wir gegenwärtig?

 

Die Gäste

© Dawin Meckel

Heinz Bude ist Professor für Makrosoziologie an der Universität Kassel mit den Arbeitsschwerpunkten Generations-, Exklusions- und Unternehmer*innenforschung. Seit vielen Jahren steht er für eine öffentliche, sich streitbar einmischende  und besser zugänglich machende Sozialwissenschaft ein. Im Jahr 2016 war er Mitinitiator der Charta der Digitalen Grundrechte der Europäischen Union, In seinem letzten Buch aus dem Jahr 2019 macht er sich Gedanken über die Zukunft der “großen Idee” Solidarität und stellt die Frage, ob und wie sie zur Überwindung gesellschaftlicher Gräben und Antagonismen beitragen kann.

 

© Jonas Hofmann

Christine Dietze studiert im Masterstudiengang “Transkulturelle Studien” an der Universität Bremen mit einem Fokus auf Diversitätskonzepten und Ungleicheitsforschung. Seit einem entwicklungspolitischen Freiwilligendienst setzt sie sich mit Fragen und Praktiken von Solidarität auseinander, zunehmend auch wissenschaftlich. Sie ist Teil eines Teams von Studierenden und Lehrenden, die gemeinsam das Themenschwerpunkt-Semester “Solidarität!” im Sommer 2020 und darüber hinaus kuratieren – momentan notgedrungen in Form von Online-Veranstaltungen. Das Themensemester wurde geplant lange bevor Covid-19 sich manifestierte und verbreitete.

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Jeanette Ehrmann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Arbeitsbereich Politische Theorie und Ideengeschichte am Institut für Politikwissenschaft sowie dem QDFCT Research Network in Queer Studies, Decolonial Feminisms, and Cultural Transformations an der Justus Liebig Universität in Giessen. In ihrer Dissertation „Tropen der Freiheit. Die haitianische Revolution und die Dekolonisierung des Politischen“ rekonstruiert sie die Ideen und Praktiken politischer Handlungsfähigkeit, Emanzipation und Dekolonisierung in der haitianischen Revolution. Derzeit leitet sie ein Forschungsprojekt zum Thema „Postkoloniale Geschlechterverhältnisse und die Krise der Demokratie“.

© Matthias Heyde

Wolfgang Kaschuba ist Prof. emeritus für Europäische Ethnologie an der Humboldt-Universität zu Berlin und der ehemalige Direktor und jetzige Leiter der Abteilung “Integration, soziale Netzwerke und kulturelle Lebensstile” am Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM).  Er publiziert breit zu Themen historischer und gegenwärtiger Ungleichheit, zu politischen Protestformen, zur postkolonialen Debatte um ethnographische Museen und Sammlungen sowie zu urbanen Lebensstilen, urbanen Gemeinschaften und neuen Formen urbaner Zivilgesellschaft. Auch er ist ein Pionier öffentlicher Sozial- und Kulturwissenschaft, der für Diskussionen und Stellungnahmen vielfältige Medienformate nutzt.

 

Anmeldung
Durchgeführt wird das Gespräch am 5.5.2020 um 18 Uhr als Zoom-Konferenz. Es gibt die Möglichkeit, während der Konferenz Fragen zu stellen, die direkt in das Gespräch aufgenommen werden. Die Veranstaltung wird aufgezeichnet und wir bitten um eine Anmeldung. Sie erhalten dann einen Link, mit dem Sie der Zoom-Konferenz beitreten können. Bitte schreiben Sie eine Email an: woc@uni-bremen.de