Vorstellungen und politisches Bewusstsein als Ausgangspunkt sozialwissenschaftlichen Lernens

  1. Diskutieren Sie die Relevanz der Arbeitshypothese der „doppelten Heterogenität“ für eines Ihrer Fächer und stellen Sie dies anhand einen konkreten Unterrichtsinhaltes dar. Eine graphische Darstellung der Hypothese finden Sie in den Vorlesungsfolien.

Die sogenannte „doppelte Heterogenität“ beschreibt zunächst einmal nichts anderes als die Schwierigkeit, einen Unterricht zu gestalten, der sowohl die fachliche Richtigkeit eines Themas als auch die Vorstellungen der SuS unter einen Hut bringt. Daher ist es wichtig, das Vorwissen sowie die Vorstellungen der SuS mit in seine eigene Didaktik einzubeziehen, um zu vermeiden, dass die fachliche Realität so stark von der Vorstellung der SuS abweicht, dass sie einen Sachverhalt nicht mehr verstehen können. Die Lehrkraft hat in diesem Kontext also die Aufgabe, Fachwissen und SchülerInnenvorstellungen zusammenzuführen und zwischen diesen beiden Polen zu vermitteln.

Relevant ist die „doppelte Heterogenität“ zweifellos in jedem Fach. Der Mensch denkt von Natur aus in Schubladen und hat zu allem direkt ein Vorurteil (Anm.: Nicht zu verwechseln mit einem Klischee) zu einer bestimmten Thematik im Kopf. Jedoch ist es in meinem ersten Fach, der Mathematik, schwierig, SchülerInnenvorstellungen mit in den Unterricht einzubeziehen, da es in der Mathematik nur richtig und falsch gibt. Entweder gilt eine Aussage oder sie gilt eben nicht, es gibt also keinerlei Interpretationsspielraum.

In meinem Zweitfach Geschichte fällt die „doppelte Heterogenität“ allerdings besonders auf. Betrachten wir einmal das Beispiel des Massakers von Jedwabne. Jedwabne ist eine Kleinstadt im heutigen Nordosten Polens. Am 10. Juli 1941 trieb die dort ansässige polnische Bevölkerung ihre jüdsichen Mitmenschen auf dem Marktplatz zusammen. Dort wurden die Juden mit Schaufeln, Äxten, Holzlatten, Rohren und allem, was die Bewohner Jedwabnes zur Hand hatten bestialisch gequält und ermordet. Anschließend trieb man die noch lebenden Juden in eine Scheune außerhalb des Ortes und zündete diese an, sodass die Juden bei lebendigem Leibe verbannten.

Die Meinung der meisten Schüler wird mit einer großen Wahrscheinlichkeit sein, dass die Deutschen allein für den Holocaust verantwortlich sind. Das Beispiel des Massakers von Jedwabne zeigt jedoch deutlich, dass sich auch Polen am Massenmord an den Juden beteiligt haben. Das Ausmaß dieser Beteiligung war mir bis zu meinem Studium ebenfalls nicht bekannt. Dass die polnische Regierung zu einer massiven Verklärung der Geschichte beiträgt und der Aufarbeitung des Holocaust entgegenwirkt, wird hier sehr deutlich, wenn man bedenkt, dass seit 2018 demjenigen, der Polen eine Beteiligung am Holocaust zuspricht, eine bis zu drei Jahre lange Haftstrafe droht.

Bei dieser sehr empfindlichen Thematik ist es also besonders wichtig, als Lehrkaft auf die „doppelte Heterogentät“ zu achten. Auch, um den SuS den Umgang mit einem Thema wie dem Holocaust beizubringen und sie zu einem differenzierten und reflektierten Denken anzuregen und zu ermutigen.

  1. Skizzieren Sie unter Bezugnahme auf einen konkreten Unterrichtsinhalt drei methodische Varianten zur unterrichtspraktischen „Erhebung“ von Schüler*Innenvorstellungen.

Bleiben wir bei meinem Beispiel aus Aufgabe 1 und nehmen den Begriff „Holocaust“. Man könnte die Stunde ähnlich beginnen, wie Andreas Klee den 2. Akt seiner Vorlesung begonnen hat: Mit einem einfachen Assoziationsspiel. Man nennt den SuS den Begriff oder schreibt diesen an die Tafel und die SuS sollen dazu Assoziationen und auch Fragen auf einem Blatt Papier notieren. Anschließend können die Assoziationen und Fragen im Plenum an der Tafel gesammelt und besprochen werden. Die Besprechung ist sehr wichtig, da so Fragen geklärt werden können. Außerdem wäre eine solche „Erhebung“ recht nutzlos, wenn anschließend nicht damit gearbeitet würde.

Auch können die SuS in kleinen Gruppen gemeinsam Plakate zu einem Thema erstellen. So komen sie untereinander ins Gespräch und können ihr unterschiedliches Vorwissen miteinander verknüpfen. Auch hier muss selbstverständlich abschließend die Lehrkraft mit einbezogen und die Plakate im Klassenverbund besprochen werden.

Besonders in höheren Klassenstufen kann auch Bildmaterial mit einbezogen werden, sofern man, bei besonders emotionalem oder schockierendem Bildmaterial, weiß, dass die SuS darauf vorbereitet sind und damit umgehen können, schließlich soll dies keine Schocktherapie werden. Allerdings wird dadurch, dass die SuS die Bilder im Vorfeld nicht gesehen haben, eine direkte und ehrliche Reaktion erzielt, die auch mit der schockierenden Wirkung der Bilder arbeitet. Zu den Bildern können ebenfalls wieder Fragen gesammelt oder auch Wünsche darüber geäußert werden, was die SuS gerne im Unterricht behandeln wollen würden. Ein Bild sagt bekanntlich mehr als tausend Worte. Durch Bilder werden unmittelbar Emotionen, Vorstellungen und persönliche Empfindungen wachgerüttelt, mit denen gearbeitet werden kann.

  1. Formulieren Sie eine Beobachtungsaufgabe in Bezug auf unterschiedliche Sprachwirklichkeiten von SchülerInnen und Lehrer.

Man könnte beobachten, wie die Lehrkraft vorgeht, um Struktur in eine Ansammlung unstrukturierter Begriffe zu bringen. Wie wird mit den Vorstellungen der SuS umgegangen? Wie werden sie gegliedert oder strukturiert? Wie wird weiterhin mit ihnen gearbeitet?

Auch interessant könnte sein, was die SuS zu einem Begriff denken und was die Lehrkraft denkt, bzw. welche Vorstellung die SuS von einem Begriff oder auch einem Thema haben und wie eigentlich die fachliche Richtigkeit dessen aussieht. Es gilt also, zu beobachten, wie mit eben dieser Diskrepanz umgegangen und gearbeitet wird, um von einer sehr differierenden Vorstellung von einem Thema zwischen SuS und Lehrkraft auf einem möglichst gemeinsamen Nenner zu kommen, sodass alle im Idealfall die gleiche fachliche Richtigkeit begriffen haben.

Vielleicht heißt genau das, Lehrer zu sein:

Die unterschiedlichsten Vorstellungen seiner SuS so zu strukturieren, dass aus diesen eine fachliche Richtigkeit und Kompetenz entsteht. Fürs Praktikum und die Zukunft im Hinterkopf behalten…

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