RV10 // Prof. Dr. Lydia Murmann // Welche Heterogenitätsdimensionen spielen im naturwissenschaftlich-technischen Unterricht eine besondere Rolle?

  • Im Rahmen eines Projekttages dürfen die Schüler*innen der 3b wählen, ob sie lieber Naturgegenstände sammeln und damit ein Wald-Mandala gestalten oder aber kaputte Nistkästen abhängen und reparieren möchten. Samira interessiert sich mehr für die Nistkästenaufgabe, wählt aber wie die meisten anderen Mädchen der Klasse das Mandala-Vorhaben. Finden Sie mögliche Erklärungen für diese Entscheidung vor dem Hintergrund der „grundlegenden psychologischen Bedürfnisse“ nach Deci und Ryan (1993).

Deci und Ryan (1993, S. 229) benennen drei grundlegende psychologische Bedürfnisse im Zusammenhang mit Lernmotivation: Das Bedürfnis nach Kompetenz und Wirksamkeit, das Bedürfnis nach Autonomie / Selbstbestimmung und das Bedürfnis nach sozialer Eingebundenheit. Während das erste der genannten im Zusammenhang mit intrinsischer Motivation steht, korrelieren letztere eher mit extrinsischer Motivation (vgl. ebd., S. 230). Insbesondere die soziale Eingebundenheit kann je nach Wirkmechanismus entweder dazu beitragen, dass die intrinsische Motivation aufrechterhalten wird (und zwar, wenn sie anteilnehmend, autonomiefördernd und ermutigend ist), oder aber die intrinsische Motivation abbauen, wenn sie durch Belohnung, Bestrafung und Außensteuerung gekennzeichnet ist.

Im vorliegenden Fall ist zunächst von einer intrinsischen Motivation, sich mit der Reparatur der Nistkästen zu beschäftigen, auszugehen und dementsprechend dem Wunsch nach Kompetenz in diesem Bereich.

Hemmend wirkt demgegenüber der Wunsch nach sozialer Eingebundenheit, in diesem Fall in die Peer-group der anderen Mädchen aus der Klasse. Dies wirkt sich zunächst eher subtil aus: Die Beobachtung, dass die Freundinnen alle das Mandala wählen, mag zu einer Wahl des Mandalas entgegen dem ersten Impuls führen. Denkbar ist aber auch eine „strafende“ bzw. offen abwertende Reaktion der Mitschülerinnen gegenüber eine von der Mehrheit abweichenden Wahl.

  • Eine Kollegin berichtet im Lehrer*innenzimmer, dass sie Fachbegriffe im Sachunterricht vermeidet (statt „experimentieren“, sagt sie „ausprobieren“, statt “beobachten“ „genau hingucken“, statt „Sinnesorgane“ spricht sie ausschließlich von „Auge“, „Ohr“, „Haut“, „Zunge“ und „Nase“), um die Verständigung mit sprachlich schwachen Schüler*innen zu erleichtern. Eine andere Kollegin argumentiert, dass sie den Schüler*innen damit den Zugang zur Bildungssprache verwehre. Nehmen Sie Stellung.

Die Diskussion über den Einsatz von Fachbegriffen im Unterricht ist wichtig, besonders im Hinblick auf sprachlich schwächere Schülerinnen und Schüler. Die Kollegin, die Fachbegriffe vermeidet, möchte den Unterricht für alle zugänglicher machen. Durch die Verwendung von Alltagssprache können mehr Schüler den Inhalt verstehen und aktiv teilnehmen, was besonders für Kinder mit Deutsch als Zweitsprache hilfreich ist.

Die andere Kollegin betont jedoch, dass Fachbegriffe entscheidend für den Zugang zur Bildungssprache und den späteren Bildungserfolg sind. Bildungssprache und Fachbegriffe fördern das abstrakte Denken und das Verständnis komplexer Zusammenhänge, die im späteren Leben wichtig sind.

Ein Kompromiss könnte darin bestehen, Fachbegriffe behutsam einzuführen und parallel Alltagssprache zu verwenden. So können Schülerinnen und Schüler schrittweise an die Bildungssprache herangeführt werden, ohne überfordert zu werden. Beide Ansätze haben ihre Berechtigung, und es gilt, eine Balance zu finden, die sowohl Verständlichkeit als auch die Förderung der Bildungssprache berücksichtigt.

  • Sie möchten eine Bachelorarbeit über Bildungsgerechtigkeit und die Nutzung außerschulischer Lernorte (insbesondere Museen und Naturräume) im Sachunterricht schreiben. Formulieren Sie erste Ideen (in ganzen Sätzen), worin mögliche Zusammenhänge bestehen könnten.

Für meine Bachelorarbeit plane ich zu untersuchen, wie der Besuch von außerschulischen Lernorten wie Museen und Naturräumen die Lernmotivation, den Lernerfolg und die Freude am Lernen beeinflusst. Besonders interessiert mich, welche Strategien Lehrkräfte anwenden können, um diese Lernorte effektiv in den Unterricht zu integrieren, und welche Auswirkungen dies auf die schulischen Leistungen der Schüler*innen hat. Ein weiterer Schwerpunkt meiner Untersuchung wird sein, wie solche Exkursionen zur Förderung von Bildungsgerechtigkeit beitragen können, insbesondere für Kinder aus sozioökonomisch benachteiligten Familien.

„Der Reiz des besonderen Ortes übt eine große Faszination auf Kinder aus. Die Echtheit und Lebensnähe macht das Lernen für die Schüler*innen subjektiv bedeutsam“ (Kohler 2011, S.168). Aus diesem Grund werde ich als theoretischen Hintergrund die von Deci & Ryan untersuchten Verhaltensweisen der autonomieunterstützenden Lernbegleitung heranziehen und diese von der Fremdsteuerung abgrenzen.

Durch strukturierte Unterrichtsbeobachtungen möchte ich nachweisen, wie diese Verhaltensweisen in der Praxis umgesetzt werden. Zusätzlich plane ich, Schüler*innen zu Aspekten ihrer themenbezogenen Motivation zu befragen und diese Daten genderbezogen auszuwerten.

 

Quellen:

Kohler, B. (2011): Lerngänge. In: Von Reeken, D. (Hrsg.): Handbuch Methoden im Sachunterricht. Baltmannsweiler: Schneider.

Deci, E. L. & Ryan, R.M. (1993). Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation und ihre Bedeutung für die Pädagogik. In: Zeitschrift für Pädagogik 2(39), 223-238.


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