- Welche Zusammenhänge zwischen der Leistungsheterogenität von Kindern und dem Einfluss von Lehrerinnen und Lehrern auf die schulischen Lernleistungen sind für Sie heute deutlich geworden?
In der Vorlesung zur Leistungsheterogenität wurden die Ursachen, Symptome und möglichen Umgangsstrategien thematisiert. Dabei wurden Zusammenhänge zwischen der Leistungsheterogenität von Kindern und dem Einfluss von Lehrkräften auf die schulischen Leistungen erläutert. Es wurde deutlich, dass Schülerinnen als individuelle Personen betrachtet werden sollten, die mit unterschiedlichen Voraussetzungen in die Schule kommen. Dabei sollten die individuellen Leistungsfähigkeiten der Schülerinnen berücksichtigt werden, die sich durch persönliche Entwicklungen sowie familiäre oder gesellschaftliche Gegebenheiten unterscheiden. (Vgl. RV08 Folie 8 ff.) Lehrkräfte können einen Einfluss auf die schulischen Lernleistungen der Schülerinnen ausüben, indem sie eine Lernumgebung schaffen, die die individuellen Fähigkeiten der Schülerinnen berücksichtigt. Zusätzlich kann die Einbeziehung der Schüler*innen in den Unterricht und eine individuelle Unterstützung als wirkungsvoll im Hinblick auf die Leistungsheterogenität angesehen werden. (Vgl. Rubin 2006 zit. nach Scharenberg 2012, S. 36)
- Welche Handlungspraxen im Bereich Leistungsbeurteilung haben Sie in Ihren bisherigen Praxisphasen und aus der eigenen Schulbiografie kennengelernt und inwieweit würden Sie die anerkennende Berücksichtigung der Leistungsheterogenität darin als angesprochen beschreiben?
Im Orientierungspraktikum in der Grundschule konnte ich Eindrücke vom Umgang mit den Kompolei-Heften sammeln und Gespräche mit Lehrerinnen dazu führen. Leistungsbewertung soll dementsprechend einer Sachnorm vorgenommen werden (Vgl. Heinzel 2009, S. 233), und die fortlaufende Dokumentation der Lernstände und -fortschritte gelingt anhand der präzise formulierten Kompetenzstufen auch gut. Beobachten konnte ich aber auch die Anwendung der Individualnorm und der Sozialnorm. Die Individualnorm fand oft Anwendung, wenn Leistungen oder Lernergebnisse mit Kindern besprochen wurden und sie Feedback erhielten. Neben einer Aussage zum Inhalt („das ist richtig“) bezog sich Lob oft auf die Lernentwicklung („das kannst du jetzt schon viel besser“) und damit auf eine Individualnorm. Kinder erbringen Leistungen aber immer in einem sozialen Gefüge und quasi nie isoliert für sich. Wenn Kinder ihr Vorwissen in ein Unterrichtsgespräch einbringen, dann steht es immer in einem Kontext zu dem, was andere Kinder davor oder danach sagen. Für Lehrkräfte ist es damit nahezu unmöglich, eine Aussage für sich gesehen zu werten, sondern sie wirkt immer als „besser“, „genauer“, „ausführlicher“, … im Vergleich zu dem, was die Mitschüler:innen äußern.
- Wie positionieren Sie sich zu der Aussage von Hiller als angehende Lehrer*in und welche möglichen Forschungsfragen wären für Sie relevant, um seine Position empirisch weiter zu verfolgen?
Hiller formuliert: „Kinder und Jugendliche aus den unteren Statusgruppen scheitern in den Schulen an der Starrheit institutioneller Gegebenheiten und Zwänge, der Borniertheit vieler Curricula sowie an gedankenloser Routine und der Arroganz eines Personals gegenüber nichtbürgerlichen, bildungsfernen Milieus, dessen Attitüden Pierre Bourdieu als „Rassismus der Intelligenz“ (1993) bezeichnet hat.“ (Hiller 2019, S. 148).
Für die erste Hälfte seiner These sprechen nicht zuletzt empirische Belege, wie sie beispielsweise Gomolla (2016, S. 146ff) beschrieben hat. Sie spricht von direkter Diskriminierung, wenn gleiche ungleich behandelt werden: Wenn beispielsweise zwei Kinder den gleichen Kompetenzstand haben, und die Lehrkraft einem Kind das Gymnasium empfiehlt (weil Unterstützung im Elternhaus zu erwarten ist), während sie dem anderen eine Haupt-, Real- bzw. Oberschule empfiehlt („bildungsfernes“ Elternhaus), dann ist dies eine direkte Diskriminierung – auch wenn diese nicht offen ausgesprochen wird und vielleicht unreflektiert geschieht.
Demgegenüber entsteht eine indirekte Diskriminierung, wenn ungleiche gleichbehandelt werden. Dies drückt sich darin aus, dass die Kinder mit einer unterschiedlichen „Startausstattung“ in der Schule starten, dann aber die gleichen Anforderungen erfüllen müssen. Lehrkräfte könnten mehrheitlich aufgrund ihrer eigenen – erfolgreich abgeschlossenen – Bildungsbiografie wie in Aufg. 1 bereits ausgeführt eine größere Nähe zu den „lernwilligen“ Kindern aufweisen – zumindest im statistischen Mittel.
Eine empirische Frage, die ich mir stelle, könnte lauten: „Wie kommentieren Lehrkräfte die Leistungen ihrer Schüler:innen?“ Methodisch wäre dies durch eine strukturierte Beobachtung möglich, in der ich das Feedback von Lehrkräften wörtlich notiere. Die Mitschrift könnte dann in Bezug auf die o.g. These analysiert werden.
Quellen:
Gomolla, Mechtild. (2016). Direkte und indirekte, institutionelle und strukturelle Diskriminierung. In: Scherr, A./El-Mafaalani, A./Yüksel, E. (Hg.) (2016): Handbuch Diskriminierung. Springer VS, 133-155.
Heinzel, F. (2009): Tradierte Formen der Leistungsbeurteilung. In: Bartnitzky, H., Brügelmann, H.,
Hecker, U., Heinzel, F., Schönknecht, G. & Speck-Hamdam, A. (Hrsg.) (2009). Kursbuch Grundschule. Frankfurt a. M.: Grundschulverband – Arbeitskreis Grundschule. S. 222- 233.
Hiller, G.-G. (2019): Soziale Benachteiligung und Schulerfolg. In: Sonderpädagogische Förderung heute 64 , Ausgabe 2, 2019, Wiesbaden: Beltz Juventa, S. 148-161.
Scharenberg, K. (2012). Leistungsheterogenität und Kompetenzentwicklung. Zur Relevanz klassenbezogener Kompositionsmerkmale im Rahmen der KESS-Studie. Waxmann Verlag.
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