Ringvorlesung rv04

1.) Samiras Entscheidung, sich trotz ihres Interesses an der Nistkästenaufgabe für das Wald-Mandala zu entscheiden, lässt sich gut mit der Selbstbestimmungstheorie von Deci und Ryan (1993) nachvollziehen. Diese Theorie beschreibt drei zentrale psychologische Grundbedürfnisse, die für Motivation und die Entwicklung von Interessen entscheidend sind: Autonomie, Kompetenzerleben und soziale Eingebundenheit (vgl. Maltzahn 2014, S. 115; Murmann 2025, Folie 22).

In Samiras Fall scheint das Bedürfnis nach sozialer Zugehörigkeit – also dem Wunsch nach Akzeptanz und Anschluss in der Gruppe – stärker gewesen zu sein als ihr individuelles Interesse, was dem Bedürfnis nach Autonomie entspricht. Dieses Verhalten lässt sich auch im Licht der in der Vorlesung thematisierten Heterogenitätsdimension „Gender“ betrachten. Dort wurde deutlich, dass Mädchen in technischen Kontexten wie dem Reparieren von Nistkästen häufig weniger stark ausgeprägte Interessen und Selbstkonzepte zeigen als Jungen – bedingt durch gesellschaftliche Rollenerwartungen (vgl. Murmann 2025, Folien 16–17). Auch Maltzahn (2014) betont, dass das Bedürfnis nach sozialer Eingebundenheit bei Mädchen oft eine zentrale Rolle in der Interessenentwicklung spielt – besonders in Gruppensituationen wie der vorliegenden.

2.) Beide Positionen der Kolleginnen greifen berechtigte Aspekte auf. Die aktuelle Forschung betont jedoch, dass ein bewusster Umgang mit Bildungs- und Fachsprache entscheidend für Bildungsgerechtigkeit ist (Gogolin 2009, S. 20). Fachbegriffe ganz zu vermeiden, mag sprachlich schwächeren Schüler*innen kurzfristig Hürden nehmen, versperrt ihnen jedoch langfristig den Zugang zur Bildungssprache – einer zentralen Voraussetzung für schulischen Erfolg (vgl. Quehl & Trapp 2020; Murmann 2025, Folie 20).

Zielführender ist ein integrativer Ansatz: Fachbegriffe sollten im Sachunterricht vermittelt werden – eingebettet in konkrete Handlungen und sinnvolle Kontexte. Besonders das Experimentieren oder Werken eignet sich hierfür, da Begriffe hier mit konkreten, erfahrbaren Situationen verknüpft werden können (vgl. Sterner 2014). Auf diese Weise wird sprachliche Teilhabe gefördert und allen Schüler*innen der Zugang zu sowohl alltags- als auch bildungssprachlichen Ausdrucksformen ermöglicht.

3.) Ein möglicher Ausgangspunkt meiner Arbeit wäre die Frage, inwiefern außerschulische Lernorte wie Museen oder Naturräume zur Förderung von Bildungsgerechtigkeit im Sachunterricht beitragen können. Studien belegen, dass Schüler*innen aus sozial benachteiligten Familien im Bereich der Naturwissenschaften einen Lernrückstand von bis zu zwei Jahren aufweisen (vgl. Murmann 2025, Folie 21). Außerschulische Lernorte könnten diesem Defizit entgegenwirken, indem sie praxisnahes, handlungsorientiertes und vielperspektivisches Lernen ermöglichen (vgl. Murmann 2025, Folie 24).

Literatur:

•Kahlert, Joachim,(1998). Didaktische Netze knüpfen. Ideen für die thematische Strukturierung fächerübergreifenden Unterrichts. Heinsberg: Dieck.

•Murmann, Lydia  (2025). Heterogenitätsdimensionen im naturwissenschaftlich-technischen Unterricht / Sachunterricht.

•Deci, E., & Ryan, R. (1993). Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation und die Bedeutung für die Pädagogik. Zeitschrift für Pädagogik, 39, 223-238.

•Maltzahn, K. von (2014). Mädchen und Naturwissenschaften. Zur Entwicklung von Interessen nach der Grundschule. Weinheim: Beltz Juventa.

Gogolin, Ingrid (2009). Bildungssprache – Ein Schlüsselbegriff der aktuellen Bildungsdiskussion. In: D. Knapp & A. Becker-Mrotzek (Hrsg.), Bildungssprache und Bildungserfolg.

•Sterner, F. et al. (2014). Versuch macht klug und gesprächig. Der Sprachbildungsansatz. Hamburg: Elbkinder Materialien.

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