Ab dem 13.01.2017 war ich in England, Coventry für ein 12-wöchiges Praktikum an einem Forschungsinstitut für Psychologie. Im folgenden Bericht werden meine Eindrücke, Erlebnisse und Tätigkeiten der Zeit als Praktikant sowie ihre Bedeutung für mich aufgeführt. Das Praktikum wurde im CRPBA (Centre for Research in Psychology, Behaviour and Achievement) unter der Betreuung von Gavin Sullivan durchgeführt. Gavin hatte bereits Erfahrungen mit Praktikanten aus Bremen und freute sich drei weitere (es gab Überschneidungen von Praktikumszeiten mit Bremer Studentinnen) „rekrutiert“ zu haben.

Die Organisation: Gesamtorganisation, Abteilung
Die Mutterorganisation ist die Universität Coventry (CU). Etwa 2.500 Mitarbeiter_innen zählt die Universität, im Jahr 2016 waren davon 47% männlich und 53% weiblich. Das Geschäftsmodell setzt sich aus verschiedenen Bereichen zusammen. Einerseits zahlen die Studierenden Semestergebühren (ausländische, nicht-EU-Studierende zahlen mehr als Einheimische). Andererseits bietet die Uni diverse Dienstleistungen an. So können Unternehmen beispielsweise auf die Expertise der Forscher zurückgreifen, Beratung einkaufen. Darüber hinaus stehen die Räumlichkeiten für Konferenzen und Tagungen zur Verfügung. Zusätzlich organisiert sie auch selbst „business events“. In diesem Rahmen bot sich auch für Praktikanten wie mich die Möglichkeit an spannenden Gastvorträgen von internationalen Forscher_innen teilzunehmen; beispielsweise zum Thema „Business and Management Research in a global context from the perspective of a Top Ranked Australian Business School“, gehalten von Professor Tracy Taylor aus Australien.

Nähern wir uns dem letzten Geschäftsbereich, in dem auch mein Praktikumsplatz angesiedelt ist. Die CU betreibt verschiedene „Research Centres“, deren Hauptaufgaben in der Veröffentlichung von Forschungsergebnissen und der Lehre von Studierenden bestehen. Der Fokus lag meiner Erfahrung nach deutlich auf ersterem. In einem „general meeting“ mit dem Vorsitzendem unseres Research Centres (CRPBA) wurde oft von einer 80/20 Teilung (80% der Zeit ist der Forschung, 20% der Lehre zu widmen) gesprochen.

Neben dem CRPBA betreibt die Universität folgende Research Centres:

  • Agroecology, water and resilience
  • Applied biological and exercise sciences
  • Business in Society
  • Dance research
  • Flow measurement and fluid mechanics
  • Low impact buildings
  • Manufacturing and materials engineering
  • Mobility & transport
  • Technology enabled health research
  • Trust, peace and social relations

Innerhalb eines jeden Research Centres gibt es erneut Unterteilungen in Forschungsthemen. In dem Fall meines Centres waren dies:

  • Atypical development
  • Brain, belief and behaviour
  • Identity and resilience in communities and organisations
  • Literacy development
  • Violence and interpersonal aggression

Verortung in der Organisation, Praktikumsbetreuung
Der Kontakt zu Gavin kam bei einer seiner Gastlesungen an der Uni Bremen zustande. Die von ihm vorgestellte Forschung zum Thema „UK Elections“ (zeitlich-historisch befanden wir uns kurz vor dem Brexit Referendum) mit einer mixed-methods Herangehensweise haben mich sehr interessiert, sodass ich direkt nach der Veranstaltung auf ihn zuging und den Kontakt herstellte. Nach der Besprechung der Arbeits- und Lernerfahrungen, die ich sammeln könnte, freute ich mich auf neue Erkenntnisse im Bereich Forschungspraxis und psychologischer Methodik (quantitativ und qualitativ) zu Themen wie nationaler Identität, kollektiven Emotionen und Wahlen. Darüber hinaus würden durch die Tätigkeit im Forschungszentrum interdisziplinäre und interkulturelle Kompetenzen gefördert werden, sodass Tätigkeiten wie Planung und Durchführung von Projektphasen selbstständig durchgeführt werden könnten. Dies waren die formulierten Erwartungen der Organisation an mich sowie auch meine an die Organisation.

Wie zuvor beschrieben, befindet sich der Praktikumsplatz im CRPBA und wird von Gavin Sullivan betreut. Gavin ist Leiter des Forschungsteams, das sich mit dem Thema identity and resilience in communities and organisations („IRCO“) beschäftigt. Dementsprechend sind die Haupttätigkeiten des Praktikums auch in diesem Bereich Praktikumsbericht Coventry, England von André Orwaldi angesiedelt, was -didaktisch betrachtet- sinnvoll ist, da hier die meisten Überschneidungspunkte mit meinem Studienfach Wirtschaftspsychologie gegeben sind. Die Forschung von Team IRCO verbindet konzeptionelle Analysen und theoretische Herangehensweisen von Gemeinschaften und Organisationen verschiedener Stadien/Level, um sie mit (inter-)nationalen Gruppen hinsichtlich Regeln, Interventionen und Praxis zu vergleichen.

Zu Beginn des Praktikums hat Gavin eine Übersicht über aktuell laufende Projekte gegeben. Dies galt zum einen der generellen Orientierung und zum anderen einer Wahl an welchen Projekten ich mich wie beteiligen könnte. Es ist an dieser Stelle anzumerken, dass Entscheidungsfreiheit und Flexibilität in der Organisation sehr betont werden. Auf diese Weise arbeite ich stets in der Art und Weise und an den Projekten,  die für mich am interessantesten sind. Die Betreuung ist von Beginn an also sehr kooperativ und mit hoher Selbstbeteiligung meinerseits verbunden.

Da in dem CRPBA von einigen (inkl. Gavin) Home-Office betrieben wird, findet Kommunikation kleinerer Dinge per E-Mail statt. Präsenztage werden meist ebenfalls per E-Mail mitgeteilt, um diese für „Catch-up-meetings“ zu nutzen, in welchen ich und die anderen Praktikantinnen Gavin über unsere Projekt-, bzw. Arbeitsfortschritte aufklären.

Es gibt zwei Büroräume, die täglich von etwa 15-20 Mitarbeiter_innen des CRPBA genutzt werden. Die meisten von ihnen sind Psycholog_innen, die sich entweder auf klinische oder Sozialpsychologie spezialisiert haben. Bei einer spontan aufkommenden Frage können somit auch die Kolleg_innen kurzfristig helfen, ohne dass der Betreuer hinzugezogen werden muss. Die Atmosphäre ist sehr entspannt und informell, dass man sich Duzt ist selbstverständlich.

Die Arbeit im Forschungszentrum bedarf viel Recherche und die Institution ist gut vertraut mit dem Umgang von Praktikant_innen. Nicht nur Bremer Studierende, auch einheimische Studierende arbeiten entweder als Nebenjobber im Forschungszentrum, oder machen während der Semesterferien bezahlte und unbezahlte Praktika. Konkrete Prozesse zur Abwicklung einer Einführungsphase gibt es nicht – jede Linienführungskraft („line manager“), die Praktikant_innen betreut, hat ihre eigene Herangehensweise, was erneut die sehr offen und individuell gestaltete Arbeitsweise des Forschungszentrums zeigt.

Die Tätigkeiten als Praktikant waren sehr unterschiedlich. Gavin war kurz davor ein neues Buch zu veröffentlichen für welches es viele Texte zu lesen und korrigieren galt. Außerdem mussten sie auf die neuesten APA-Richtlinien (American Psychology Association) überprüft werden.  Diese Tätigkeit half mir nicht nur mich schnell an die englische Sprache im neuen Alltag zu gewöhnen, sondern bot auch die Möglichkeit, Konzentrations- und Aufmerksamkeitsspannen zu erhöhen, bzw. Umgangsweisen mit solch einer Tätigkeit zu finden, welche ich bisher hauptsächlich für meine eigens geschriebenen Hausarbeiten etc. genutzt hatte. Darüber hinaus ist die tiefgehende Auseinandersetzung mit den aktuellen Richtlinien der Manuskriptgestaltung der American Psychology Association eine Auffrischung, die für das Schreiben wissenschaftlicher Texte auch in unmittelbarer Zukunft für mich wertvoll sein wird (Masterarbeit).

Eine andere Tätigkeit beinhaltete die Analyse und Kodierung von Emotionen bei Marathonläufern. Mithilfe von Fotos wurden Läufer eines Berlin-Marathons „gescreent“ und ihre Gesichtsausdrücke, Armbewegungen, Körperhaltungen ausgewertet und in einer excel-Tabelle festgehalten. Ziel war es festzustellen, welche Emotionen bei einer Leistungserreichung, auf welche man lange hingearbeitet hat, zu beobachten sind und ob neben dem (zu erwartenden) Stolz noch weitere („mixed“, also „gemischte“) Emotionen sichtbar sind.

Meine Unterbringung für die drei Monate habe ich mit dem Unternehmen FutureLets koordiniert, welches zur Universität Coventry gehört. Diese Herangehensweise stellte sich als gute Variante zur selbstorganisierten Wohngemeinschaft heraus. Eine Einzelwohnung kam für mich nicht in Frage. Da ich während der drei Monate aufgrund meiner Arbeit nicht erwartete viel Kontakt mit anderen Studierenden dort zu haben, war mir der interkulturelle Austausch mit Mitbewohner_innen sehr wichtig war.

FutureLets quartierte mich während der drei Monate zu einem Großteil in der Singer Hall ein; einer Wohnheimanlage, die aus mehreren Häusern besteht mit jeweils 3 Etagen und etwa 6 Bewohner_innen pro Etage. Ich lebte in einem „short-term stay“ Haus, also ein Haus, in welchem die Bewohner bis maximal drei Monate leben. Dementsprechend gab es einige Fluktuation unter uns Bewohner_innen, doch ich bin nicht traurig darüber. Auf diese Weise habe ich noch mehr sehr nette und interessante Chinesen, Franzosen, Taiwanesen und Südkoreaner kennenlernen dürfen. Genau die interkulturelle Erfahrung, die ich wollte. Mit dem Taiwanesen entwickelte sich eine echte Freundschaft, nicht zuletzt auch, weil wir jeden Samstag gemeinsam Tischtennis spielten… Ich glaube er ließ mich kurz vor meiner Abreise (er bleibt noch ein Jahr) gewinnen.

Ein negatives Erlebnis hatte ich zum Ende meines Aufenthalts. An einem Samstagabend wurde von einem Automaten der Halifax, welcher sich außerhalb der Bank befand, meine Visa-Karte eingezogen. Ich wollte Geld abheben, doch der Automat zog kommentarlos meine Karte ein. Eine Dame, die ich über Notrufnummer der Halifax anrief, machte mir wenig Hoffnung die Karte wiederzubekommen. Am Montag ging ich in die Filiale zu welcher der Automat gehörte. Mir wurde gesagt es bestehe keine Chance die Karte wiederzubekommen, ich solle mich an meine Heimatbank wenden. Für die Situation, dass ein ausländischer Praktikant nun ohne Möglichkeit auf (Bar-)Geld in Coventry sein könnte, wurde keine Empathie gezeigt. Sie hätten ja nur mein Wort, dass meine Karte im Automaten sei – und selbst wenn, gäbe es nichts, was sie tun könnten. Glücklicherweise hatte ich meine deutsche EC-Karte mitgenommen und konnte meine letzte Woche in Coventry normal zu Ende bringen. Die Visakarte werde ich nicht wiedersehen, sodass ich sie sperren ließ und mir eine neue bestellen musste. Bis heute kann ich nicht sagen weshalb meine Karte eingezogen wurde, auch der Berater meiner Heimatbank konnte dies nicht erklären, zumal Visakarten quasi überall akzeptiert würden, insbesondere bei Geldautomaten. Ich empfehle daher entweder:

1. die Mitnahme einer alternativen Geldkarte, oder
2. das Abheben von Geld in Banken direkt, bzw.
3. das Finden eines garantiert funktionierenden Geldautomaten, welcher dann für alle Transaktionen des Auslandaufenthalts benutzt wird.

Geld war nicht nur für Essen, Trinken und die Überweisungen an FutureLets nötig, sondern auch, um spannende Ausflüge zu machen.

Coventry liegt sehr zentral in England und Birmingham (zweitgrößte Stadt Englands) sowie London sind in 20 Minuten, bzw. einer Stunde Zugfahrt zu erreichen. Außerdem bietet die Umgebung der West-Midlands, in welcher Coventry liegt, historische Orte wie Warwick und dem sich dort befindenden Schloss, oder das Schloss in Kenilworth. Die Geburtstätte von Shakespeare in Stratford-upon-Aven ist ebenfalls mit einer Busfahrt erreichbar und einen Besuch werden. Somit bot der Aufenthalt in Coventry nicht nur interkulturelle Erfahrungen im Alltag, sondern auch die Möglichkeit die Kultur Englands ab dem Mittelalter zu erkunden. Ich bin sehr dankbar über die gemachten Erfahrungen dort sowohl auf der Arbeit, als auch außerhalb. Ich hoffe den Kontakt zu neugewonnen Freunden noch lange aufrecht zu erhalten und die ausgebauten hard- und softskills in meiner beruflichen Zukunft anzuwenden.