Einleitung
Ich befinde mich gerade im fünften Semester meines Bachelorstudiums. Ich studiere Geographie und Englisch auf Lehramt. Da es im Studium English-Speaking Cultures verpflichtend ist ein Semester im englischsprachigem Ausland zu verbringen, habe ich mein Auslandssemester in England verbracht. Ich habe England von all den englischsprachigen Ländern ausgesucht, weil ich da noch nie vorher war und so keine Ahnung von Land und Leute dort hatte. So interesssierte ich mich besonders für dieses Land und schließlich ist es als zukünftige Englischlehrerin essentiell Ahnung von England zu haben. Da ich außerdem eher einen amerikanischen Akzent hatte durch meinen Schulaufenthalt in den Vereinigten Staaten hatte und auch diesen Akzent besser verstand, war eine Gewöhnung an den englischen Akzent weitere Motivation. Schließlich spielten Kosten auch eine Rolle: Es klingt zwar komisch, aber ein Praktikum in London war für mich die günstigste Option: Der Flug k ostet hin und zurück nur 50 Euro und man bekommt für ein Praktikum in England eine großzügige ERASMUS Unterstützung, ohne die das Praktikum kaum möglich gewesen wäre. Meine zweite Wahl, Kanada, wäre nicht durch ERASMUS unterstützt worden und zusätzlich mit dem langen Flug unbezahlbar teuer geworden.

Ich habe mich für ein Praktikum entschieden, weil Praktika die beste Möglichkeiten sind, Erfahrungen für den Lehrerberuf zu sammeln. Ein Praktikum brachte mir viel mehr als ein mögliches Studium englischer Fächer.

Vorbereitung
Ich wollte aus diversen Gründen ein Praktikum an einer Waldorfschule machen: Ein Grund war, dass ich so Einblicke in andere Lehrmethoden und in ein anderes Schulsystem haben konnte. Des weiteren sind Waldorfschulen in England Privatschulen, sodass ich mehr Freiheiten und Möglichkeiten hätte, weniger bürokratische und lehrplanbedingte Hindernisse. Waldorfschulen in England unterrichten meist Deutsch als Fremdsprache, sodass ich dachte, dass meine Chancen höher sind, wenn ich mich als mögliche muttersprachliche Fremdsprachenassistentin für Deutschunterricht bewerbe. Ich sollte Recht behalten.

Außerdem wusste ich, dass Waldorfschulen keinen Profit machen und versuchen die Kosten für die Schüler sehr gering zu halten, weshalb freiwillige Hilfe immer gern gesehen ist. Doch fast am wichtigsten ist zu nennen, dass eine Waldorfschule die beste Unterstützung für Praktikanten bietet: Die Schulen sind klein, sodass man kein anonymes Gesicht dort ist, sondern bekannt ist und ein Teil der gesamten Schulgemeinschaft ist. Waldorflehrer lehren außerdem nicht aus finanziellen Gründen dort, sondern aus ideellen. Denn sie werden viel schlechter bezahlt als an staatlichen Schulen. Das bedeutete für mich, dass ich motivierte, engagierte und hingabungsvolle LehrerInnen um mich haben würde. So war dies dann tatsächlich auch.

Also habe ich mithilfe der Europass-Vorlage im März ein Bewerbungsschreiben geschrieben, Lebenslauf, Motivationsschreiben und Kurzb iographie angefügt und an 10 Waldorfschulen in England geschickt, die ich im Internet gefunden habe und die mir gefallen haben. Das war eine Menge Arbeit. Ich habe die Bewerbungsschreiben natürlich alle personalisiert und an das englische Format einer Bewe rbung gehalten. Nach einer Woche ohne Rückmeldungen habe ich die Emails nochmal geschickt. Ein paar Tage später überall angerufen oder aufs Band gesprochen. Das hat sehr geholfen. 2 Wochen später hatte ich 3 Zusagen. Ich habe die Stelle gewählt, die eine halbe Stunde Zugfahrt von London entfernt war. Die Wohnungssuche habe ich über die Schule organisiert, sodass ich letztendlich bei meiner Mentorin, einer Deutschlehrerin, wohnen konnte. Ich habe bei ihr ein Zimmer gemietet und eine monatliche Essenspauschale gezahlt. Das beste war, dass das Haus auf dem Schulgelände war, sodass ich keine Transportkosten zum Praktikumsplatz hatte.

Das Praktikum
Es war ein unbezahltes Praktikum für drei Monate, ein Schultrimester (school term), als deutsche Fremdsprachenassistentin. Die Schule hat alle Klassenstufen von der 1. Klasse bis zur 13. Klasse mit einer Klassengröße von 20-30 SchülerInnen vertreten. Es ist eine integrative Gesamtschule, in der die gleichen Abschlüsse (GCSE, A-levels) wie in den staatlichen Schulen gemacht werden können. Es gibt viele Besonderheiten an einer Waldorfschule, beispielsweise, dass es Fächer wie „Gärtnern“ oder „Eurethmie“ gibt und dass Kunst und Musik stark gefördert werden, weshalb die Kinder alle wirklich sehr musikalisch sind. Für mich relevant war die Besonderheit, dass Fremdsprachen von der 1.Klasse an unterrichtet werden.

Ab der 4. Klasse beginnt man jedoch erst mit dem Schreiben in der Fremdsprache und bis zur 8. Klasse gibt es kein Schulbuch für die Fremdsprache, sondern Mappen und Hefte. Ab der 5. Klasse wird die Klasse geteilt beim Fremdsprachenunterricht, sodass die Lerngruppen angenehm klein sind. Ich habe allen drei Deutschlehrerinnen an der Schule im Unterricht geholfen. Das bedeutete, dass ich 2-3 Mal die Woche in der 3., 4., 6., 7., 8., 9., 10., und 11. Klasse war. Ich habe auch öfters Lerneinheiten und Vertretungsstunden selbst vorbereitet und in der 10.Klasse zusammen mit meiner Mentorin ganze Unterrichtseinh eiten geplant und durchgeführt. Ich habe so ca. 20 Stunden pro Woche assistiert/unterrichtet, und dann in ca. 6 Unterrichtsstunden die Woche hospitiert, um die verschiedenen LehrerInnen und Lehrmethoden kennenzulernen.

Zuhause musste ich zudem noch viel Unterricht vorbereiten, denn ich hatte in der 6., 7., und 9., Klasse meine eigenen Deutsch-Lerngruppen mit Kindern, die einen deutschsprachigen Hintergrund hatten. Ich habe in dem Trimester selbstständig den Unterricht mit diesen Kindern in einem anderen Raum durchgeführt und sie selbst bewertet. Es war somit kein Unterricht für Deutsch als Fremdsprache, sondern als Muttersprache. Mit diesen ganzen Aufgaben war ich die ganze Woche über gut beschäftigt. Nebenbei habe ich abends noch Hausarbeiten geschrieben, weshalb ich kaum Freizeit unter der Woche hatte. Es gäbe auch nicht viel zu tun in dem Dorf Kings Langley, sodass ich nichts verpasst habe. Die Landschaft ist sehr reizvoll, super zum Spazieren und Joggen gehen, und abends oder am Wochenende gab es oft Veranstaltungen in der Schule: Schülerkonzerte, Orchester, Chor, Theater, Adventsbasar, Weihnachtsfeier und Besuche von etwa einer Opernsängerin oder der Patentochter von Nelson Mandela.

Ich habe so ganz vielseitig dazugelernt: Zum Einen habe ich gelernt, wie man Deutsch als Fremdsprache unterrichtet, in allen Alterstufen, und kann mir auch vorstellen, dies später einmal selbst zu tun, vor allem weil ich auch gerne im Ausland unterrichten möchte. Da ich in Deutschland auch Flüchtlinge in Deutsch als Fremdsprache unterrichte, bringt mir dieses Wissen schon jetzt sehr viel.

Ich habe auch viel üben können, den Unterricht zu planen, zu strukturieren, Arbeiten zu korrigieren, vor der Klasse zu sprechen und zu agieren. Auch habe ich den Umgang mit Differenzierung erlebt, da die Schule integrativ und gemeinbildend ist. Ich habe mich sehr in der Lehrerrolle selbst kennengelernt. Auch habe ich gelernt, Material selbst zu erstellen, denn das ist in der Waldorfschule ein leitendes Prinzip.

Ich habe viel von den Prinzipien und Methoden der Waldorfschule gelernt, zum Beispiel, wie wichtig es ist, dass das Kollgeium zusammenarbeitet und auch die Eltern mit einbezogen werden. Diese Zusammenarbeit bringt so viele Vorteile und ein viel besseres Arbeitsklima mit sich. Ein weitere beispielhafte Lektion war zu sehen, wie gut es ist, eine KlassenlehrerIn zu haben. Klassenlehrer sind nicht nur Ansprechpartner, die einen durch das Schulleben begleiten, sie sind auch die Lehrkraft, mit denen die Schüler die engste Beziehung haben. Denn Klassenlehrer verbringen genug Zeit mit den Schülern, um sie richtig kennenzulernen. Sie kennen auch die Eltern. Durch ihre hohe Präsens im Schulalltag haben die Klassenlehrer eine gewisse Bindung und auch Kontrolle über das Treiben der Schüler. Es war immer wieder beeindruckend zu sehen, wie gut die Kinder sich bei der Klassenlehrerin benehmen, wie mächtig ihr Wort dort ist, wie vertraut die Atmosphäre. Für mich heißt das auch, dass Präsens im Schulalltag ganz wichtig ist.

Man würde meinen, ich hätte kaum Chancen gehabt, Englisch zu sprechen, da ich ja nur im Deutschunterricht eingesetzt wurde, doch das stimmt, auch zu meiner Überraschung, überhaupt nicht. Ich habe mich mit allen LehrerInnen, auch den Deutschlehrerinnen, immer auf Englisch unterhalten und die ganze Schule spricht nun einmal auf Sitzungen, in den Pausen, in allen Veranstaltungen, im Lehrerzimmer oder einfach nur im Gang auf Englisch. Auch zu Hause, in der Stadt, beim Einkaufen, Radio hören oder beim Ausgehen – es wird Englisch gesprochen.

Doch selbst im Deutschunterricht braucht man die englische Sprache sehr viel: Zum Aufgaben erklären, Grammatik erklären, Erziehung ausüben. Da das Sprachniveau viel niedriger ist im Vergleich zu dem Sprachniveau deutscher Schüler im gleichen Alter in der englischen Sprache, muss man viel mehr auf Englisch sagen, als man vorher erwarten würde. Dieser Niveau-Unterschied ist kulturell und strukturell bedingt: In England wird nicht viel Wert auf Fremdsprachenkenntnisse gelegt, da Englisch schon die Lingua Franca der Welt ist. Oft ist es den Schülern gar peinlich in einer Fremdsprache zu sprechen, denn so würden sie ja offenbaren, wie schlecht oder mit was für einen schlechten Akzent sie sprechen würden. Im Gegensatz dazu wird eine ausländische Herkunft, oft anders als in Deutschland, mit Stolz getragen. Ein weiterer Grund ist, dass der Bezug zur Fremdsprache fehlt: Während man in Deutschland Musik auf Englisch hört, englische Wörter immer mehr in die Alltagssprache integriert werden, gar Filme und Computerspiele auf Englisch für viele die Normalität ist, gibt es diese Präsens nicht in England. Wer hört schon deutsche Musik in England? Wie dem a uch sei, für mich bedeutete das, dass ich viel Englisch reden konnte und im Unterricht die Kunst des „Code-Switching“ und der „Mediation“ viel trainert habe, also das spontane Wechseln von einer Sprache in die andere und spontane Übersetzungen in beide Richtungen.

Das Leben in England und London
Ich war das erste Mal in England und es gefällt mir sehr. Ich hätte vorher nicht erwartet, dass es auch landschaftlich so viele schöne Ecken gibt, wie Berge und Steilküsten und kleine, historische Städte. Die Engländer haben schon eine etwas andere Kultur als die Deutschen, wenn man das so verallgemeinern mag. Ich persönlich hatte oft das Gefühl, dass die englische Kultur der amerikanischen Kultur in Vielem ähnelt, wie etwa die Höflichkeit und Offenheit, das Essen, das Schulsystem, die Häuser und Straßen, die Begeisterung für Dekoration und Halloween- und Weihnachtspartys und die Radfahrer- und Fußgängerunfreundlichkeit.

Dennoch hat die englische Kultur auch Nähe zur europäischen Kultur und auch ganz eigene Bräuche, wie etwa tea time mit scones und clotted cream oder die vielen so schönen Christmas carols. Die Liebe zu der Queen und alles Königlichem, wie etwa viktorianische Kleidung und Möblierung oder die Liebe zu Harry Potter gehören auch dazu.

Ich hatte keine hohen Erwartungen an London, denn ich dachte, es sei einfach nur eine verregnete, teure Stadt für reiche Schnösel. Doch nun finde ich die Stadt so toll und es hat so gut wie nie geregnet! Sie ist so multi-kulturell, dass Englisch ohne ausländischen Akzent die Außnahme ist, so stylisch und pompös und trotzdem modern und herzlich. Denn die Menschen sind alle sehr offen und freundlich. Ich habe viele Menschen dort spontan kennengelernt. Die kreativen Märkte, das super leckere Multi-kulti-Essen an jeder Ecke, die riesigen Museen, die Archtikturskunst der Gebäude, die Musicals, Theater, Pubs und Clubs gehören zu London. Ich habe mir nichts entgehen lassen, ich kann jedem nur empfehlen, in die Museen zu gehen und z.B. Les Miserables als Musical oder Macbeth im Globe Theatre anzuchauen oder den Funk Social Club (ein super, old school pub) in Brixton zu besuchen. Auch ein Besuch in Greenwhich lohnt sich alle Mal!

Fazit
Die Entscheidung zu diesem Praktikum war die beste! Klar ist es auch mal stressig, aber es gibt einem so viel: Die Interaktion mit den Schülern, Praxiserfahrung, eigene Verantwortung übernehmen zu können und die Dankbarkeit und Lächeln der Schüler und Lehrkräfte. An dieser Stelle möchte ich mich bei meiner unglaublich tollen und hilfsbereiten Mentorin bedanken.