1. Mein Weg zu A&B
Eigentlich  war  mir  schon  vor  meiner Ausreise  in  die  Türkei  klar  gewesen,  dass  ich  nach Möglichkeit an das Ende meines Auslandsemesters in Istanbul gerne noch mein ausstehendes Grundpraktikum anschließen möchte. Mein Optimismus in der Millionenstadt eine passende Stelle  finden  zu  können  war  groß,  auch  angesichts  der  Möglichkeit  den  türkischen (Berufs-)Alltag aus einer ganz besonderen Perspektive erfahren zu können. Glücklicherweise sollte  ich  bei  der  Kommunikationsagentur  „A&B  Communications“  fündig  werden,  dem ältesten Unternehmen seiner Art, situiert in einem der glanzvollsten Stadtteile Istanbuls. Hier sollte  ich  die  Chance  bekommen  bereits  erlangtes  Wissen  in  einem  neuen  professionellen Rahmen auszuprobieren, meine Sprachkenntnisse zu verbessern und eine Reihe interessanter Menschen in meinem neuen Umfeld kennenzulernen.

Über viele Ecken bis zum Erasmus+ Praktikum
Die  Wochen  bis  zu  meiner  Stelle  bei  A&B  hat  mich  wie  wahrscheinlich  nicht  anders  zu erwarten einiges an Ausdauer gekostet. Dabei war es weniger das finale Vorstellungsgespräch selbst, sondern der Kontaktaufbau über eine ganze Ecke von Menschen. Schon früh vor dem Ende meines offiziellen Aufenthalts an der Bahcesehir University habe ich mich selbst auf die  Suche  nach  einer  passenden  Praktikumsstelle  gemacht.  Das  hieß  vor  allem  Webseiten studieren und aufschlussreiche, aber prägnante Bewerbungsemails schreiben. Dabei habe ich meine Suche von Anfang an groß angelegt: von der Medienproduktion über Marktforschung und  sozial  engagierten  NGOs  bis  hin  zu  einer  Forschungsstelle  an  verschiedenen Universitäten kam für mich einiges in Frage. Schließlich sollte es aus meiner Sicht vor allem darum  gehen,  etwas  neues  auszuprobieren  und  meine  persönlichen  Fähigkeiten  weiter auszuloten.  Während  mir  das  Schreiben  von  vielen  verschiedenen  Bewerbungen  schon  im Vorfeld  als Anregung  und  Reflexion  meiner  Interessen  gedient  hat,  so  blieben  die  meisten Emails  unbeantwortet.  Im  Austausch  mit  anderen  Suchenden  wurde  mir  meine  Situation immer klarer: Das Angebot in Istanbul ist zwar groß, aber es gibt überdurchschnittliche viel junge  Menschen,  insbesondere  aus  dem Ausland,  die  eine  ganz  ähnliche  Erfahrung  suchen wie ich.

Mit Blick auf den Zugang zu meinen bisherigen Praktika wurde mir dann sofort klar was zu tun ist. Bereits in der Vergangenheit haben mir insbesondere Menschen aus meinem näheren Umfeld wichtige Tipps und Stellen weitervermittelt. Es galt also auch in Istanbul mein bisher überschaubares  Netzwerk  anzufragen.  Das  bestand  zu  diesem  Zeitpunkt  insbesondere  aus Kontakten aus meiner Universität, also Studierenden und Dozenten. So haben sich zeitgleich eine Professorin von mir sowie eine türkische Kommilitonin ohne weiteres nach passenden Stellen  für  mich  umgeschaut.  Das  Engagement  von  letzterer  sollte  sich  als  besonders ertragreich  herausstellen:  die  Mutter  meiner  Kommilitonin  ist  selbst  Professorin  für  Public Relations  an  einer  anderen  großen  Universität  in  Istanbul  und  hatte  gleichzeitig  eine  gute Verbindung zu einer weiteren Dozentin an der Bahcesehir University. Nach der erfolgreichen Weitervermittlung sollte ich kurz vor dem Ende meines Semesters fast wöchentlich im Büro jeder Dozentin erscheinen und mir in einem Mix aus Türkisch und Englisch meine möglichen Optionen  erklären  lassen.  Selbst  nachdem  der  Besuch  in  einer  kleineren  Werbeagentur  im geschäftigen Stadtteil Sisli nicht ganz meinen Vorstellungen entsprach, hat sie weiterhin nach einer  Stelle  für  mich  gesucht.  Die  Idee  in  einer  Agentur  zu  arbeiten  erschien  mir  dabei grundsätzlich  spannend  und  interessant,  schließlich  hatte  ich  bereits  vorher  in  einer Werbeagentur gearbeitet. Der Vorschlag mich bei einem Unternehmen mit dem Schwerpunkt Kommunikation  und  PR  zu  bewerben  erschien  mir  daraufhin  als  eine  gute  Mischung  aus Neuem  und  Vertrautem.  Einen  Motivationsbrief  und  einen  Telefonanruf  später  konnte  ich mich  auf  den  Weg  zum  Bewerbungsgespräch  bei  der  Agentur  A&B  Communications  im angesagten aber auch teuren Stadtteil Nisantasi machen.

Ein Sozialwissenschaftler allein unter PR-Wölfen?
Obwohl  mir  von  allen  Seiten  Mut  zugesprochen  worden  war,  bin  ich  am  Ende  nicht  ohne Lampenfieber  zu  meinem  anstehenden  Interview  gegangen.  Meine  Recherche  hatte  mir gezeigt, dass ich es mit einer nicht unwichtigen Firma zu tun hatte: neben der Gründung im Jahre 1974 als der ersten PR-Agentur der Türkei kann A&B vor allem internationale Marken wie Ikea, Nike, Nivea und Greenpeace zu seinen Klienten zählen. Dazu kommen namhafte türkischen  Unternehmen  wie  die  Kleidungsfirma  Mavi  oder  die  Garanti  Bank. Angesichts dessen war ich sehr gespannt, wie ich mich als angehender Kommunikations-, Medien- und Kulturwissenschaftler in diesem Feld positionieren sollte. Während ich in meinem Studium sogar Praxisseminare im Bereich Marketing belegt hatte, so war meine Zeit in Istanbul vor allem  von  der  Lektüre  anthropologischer  Texte  gekennzeichnet.  Mithilfe  dieser  habe  ich selbst meinen Schwerpunkt auf angewandte Formen der Anthropologie und anderer Sozial- und  Geisteswissenschaften  gelegt,  die  sich  in  einer  für  mich  neuen  Art  und  Weise  mit Organisationen und eigentlich fachfremden Themen wie Marktforschung auseinandersetzen. Meine  Zeit  bei  A&B  wollte  ich  als  Chance  nutzen,  ein  solches  Setting  genauer kennenzulernen.

Glücklicherweise  wurde  ich  von  meinen  zukünftigen  Teammitgliedern  Cem,  Ezgi  sowie meinem Mentoren Seckin schon während des ersten Aufeinandertreffens mit offenen Armen und  einer  Menge  Interesse  an  meiner  Arbeit  empfangen.  In  dem  knapp  einstündigen Gespräch konnte ich erfolgreich meine Motivation darstellen, als Sozialwissenschaftler eine für mich in der direkten Erfahrung noch eher unbekannte Welt besser kennenzulernen und die Potentiale von interdisziplinären Ansätzen wie beispielsweise der „Business Anthropology“ auszuloten. Auf der anderen Seite wurde ich auf meine bestehenden Fähigkeiten hin befragt, wobei insbesondere meine Kenntnisse von Kreativ-Software wie Adobe Photoshop, Premiere und  After  Effects  auf  große  Zustimmung  gestoßen  ist.  So  kam  ich  am  Ende  mit  viel Zuversicht  aus  dem  Gebäude,  das  genau  gegenüber  der  Straße  mit  den  teuersten Modegeschäften ganz Istanbuls gelegen ist und machte mich durch den geschäftigen Istanbul Feierabendverkehr auf den Weg nach Hause. Bereits zwei Tage später hatte ich eine positive Rückmeldung, dass ich direkt im Anschluss an mein offizielles Semester bei A&B anfangen könnte.

2. Meine Arbeit bei A&B
Wenn  ich  an  den  Beginn  meines  Praktikums  bei  A&B  zurückdenke,  dann  fällt  mir insbesondere  der  erste  Tag  ein,  an  welchem  ich zunächst  für  ein  circa  dreistündiges Probearbeiten geladen wurde. Hier wurde ich direkt an die Materie herangeführt: der Kunde, eine Immobilienfirma die vor allem durch neu gebaute Wohnungen mit einem Schwerpunkt auf  Designerausstattung  bekannt  war,  wollte  über  den  aktuellen  Stand  ihres  Unternehmens informiert  werden.  Dafür  war  eine  Präsentation  angefertigt  worden,  die  jedoch  grafisch überarbeitet  werden  sollte.  Mit  viel  Geduld  wurde  mir  daraufhin  in  wenigen  Schritten  das Image der Firma vorgestellt und mit dem Hinweis, ich solle doch einfach mal anfangen, an meinem Teil des Schreibtischs vor einen großen iMac gesetzt. Dabei ging mir immer wieder dieselbe  Frage  durch  den  Kopf:  was  mache  ich  hier  eigentlich?  Ich  bin  doch  gar  kein Grafikdesigner!  Die  müssen  ein  falsches  Bild  von  mir  haben!  Zugegeben,  ich  habe  schon diverse Flyer und sogar Webseiten entworfen, allerdings noch nie für einen richtigen Kunden, sondern höchstens für selbst veranstaltete Events, Familie oder Freunde. Jetzt kenne ich doch nicht einmal das Gewerbe, geschweige denn den Markt in Istanbul. Und zu allem Überfluss dann  ist  auch  noch  Photoshop  auf  Türkisch,  sodass  ich  mehrere  Minuten  brauche,  um überhaupt eine mir bekannte Funktion zu finden.

Eine  Stunde  verging,  in  der  ich  mehr  oder  weniger  Schweißtreibend  nach  einer  sinnvollen Gestaltungsidee suchte. Schließlich zeigte ich eine mehr als dürftige Version vor und wäre am liebsten im Boden versunken. Mein neues Team hingegen klopfte mir anerkennend auf die Schulter  und  teilte  mir  mit,  das  Grundkonzept  sei  eine  gute  Sache  und  es  könnte  ohne Probleme  von  einem  der  erfahreneren  Designer  grafisch  aufpoliert  werden. Außerdem  sei dies  eine  tolle  Möglichkeit  für  mich  gewesen,  erste  eigene  Schritte  zu  machen. Glücklicherweise  stieß  auch  mein  Wunsch  auf  Zustimmung,  Photoshop  und  weitere Programme auch auf Englisch zur Verfügung gestellt zu bekommen.

An  diesem Abend  bin  ich  erschöpft  nach  Hause  gekommen  und  habe  meinem  türkischen Mitbewohner  von  meinen  Erfahrungen  erzählt.  Mit  einem  großen  Grinsen  erklärte  er  mir, dass  das  der  türkische Weg  sei:  am  ersten Tag  wird  man  110%  gefordert.  Das  sei  weniger dafür  gedacht  einen  hohen  Maßstab  zu  setzen,  als  vielmehr  die  Fähigkeiten  der  neuen Mitarbeiter  zu  testen.  Ich  war  erleichtert  über  seine  Einschätzung,  aber  auch  die  positive Reaktion meiner Vorgesetzten. So könnte ich mit Sicherheit weiterarbeiten.

Von Kachel-TV zu Youtube-Stars
Mein durchschnittlicher Arbeitstag bei A&B war  auch  nach  meinen  ersten  Erfahrungen geprägt  von  vielen  Stunden  an  meinem  mir bereit  gestellten  iMac.  Nachdem  mir  in  der Anfangszeit  einzelne  KollegInnen  genauer vorgestellt  wurden,  war  ich  alsbald  mit meinem  ersten  eigenen  längerfristigen  Projekt  vertraut.  Eine  Kollegin  betreute  die Bademöbelfirma Vitra,  für  die  sie  als  besondere  Form  des  Content-Marketings  eine  eigene Informationssendung  namens  Karo  TV,  auf Deutsch  Kachel  TV,  produzierte.  Zu  meiner anfänglichen  Enttäuschung  war  diese  inhaltlich  schon  abgedreht,  allerdings  fehlte  es  an einem  passenden  Packaging  in  Form  von  Bauchbinden,  Trennanimationen  und  vor  allem einer  Introsequenz.  Meine  Kollegin  offenbarte  mir  daraufhin,  dass  sie  in  diesem  Fall  auf meine  Erfahrungen  mit Adobe After  Effects  zurückgreifen  wolle,  indem  ich  einen  kurzen Einspieler  für  die  Sendung  animiere.  Ich  war  instinktiv  dankbar  dafür,  in  einer  Agentur gelandet zu sein die mich ohne Umschweife mit Arbeit betraut anstatt mich Kaffee kochen zu lassen. Allerdings war mir auch klar, dass auch dieser Job mich fordern würde. So verbrachte ich teilweise meinen vollständigen (zehnstündigen) Arbeitstag damit, mithilfe von unzähligen YouTube-Tutorials, praktischen Tipps meines Mentoren Seckins sowie einer gesunden TrialAnd-Error Meintalität eine eigene 2D Animation auf die Beine zu stellen. Glücklicherweise konnte ich mir diese Zeit nehmen und auch auf das Feedback meiner KollegInnen vertrauen.

So  erarbeitete  ich  mir  Stück  für  Stücke  eine  30  Sekunden  Sequenz,  die  mit  vielen  bunten umherfliegenden Kacheln beginnt und einem unter Spannung stehenden Fernseher endet. Der Erfolg hier für mich ganz klar im Erlernen eines für mich interessanten kreativen Prozesses in dem ich meine eigenen Ideen gefragt wurden, aber auch in der späteren Zufriedenheit meiner Kollegin. Die spätere Sendung ist mit Sicherheit über einige Flachbildschirme von Istanbuls Köfte- und Dönerrestaurants geflimmert.

Genau diese Art von freier Projektarbeit war es, die meinen Alltag bei A&B bestimmt hat. Dabei hatte ich immer die Möglichkeit, etwas Neues zu lernen. So ging es später darum, ein 3D  Logo  für A&B  zu  entwerfen,  was  mich  zum  ersten  Mal  seit  meiner  Einführung  in  die Medieninformatik  mit  aufwändigen  Modellierungsprogrammen  in  Kontakt  gebracht  hat.
Zwischen diesen kleinen Kämpfen mit sperriger Software und der Suche nach neuen Ideen, konnte ich mich jederzeit auf meine KollegInnen verlassen. Gegen jede meiner Erwartungen war  der  Umgang  in  der  Agentur  unglaublich  zuvorkommend  und  damit  erstaunlich  weit entfernt vom „harten“ Leben dass man auf den Straßen von Istanbul des öfteren zur Schau gestellt bekommen kann. Insbesondere jüngere Angestellte in ähnlichen Positionen wie ich haben mich zum Mittagessen begleitet, sich für meinen Werdegang interessiert oder einfach nur ein paar lustige Anekdoten ausgetauscht. Spannend wurde es auch, wenn ich gemeinsam mit  dem  festangestellten  Mediengestalter  ein  Problem  gemeinsam  in  die  Hand  nehmen durfte, beispielsweise die Gestaltung eines Firmeninternen Newsletters für A&B.

Neben diesen kleinen Momenten und Beobachtungen des Arbeitsalltags stach eine Erfahrung gegen  Ende  meines  Praktikums  besonders  heraus.  Nachdem  ich  mich  mehrfach  mit Designaufträgen  auseinandersetzen  durfte,  kam  mein  Mentor  Seckin  mit  einer  gänzlich anderen Idee auf mich zu. Aufbauend auf der Tatsache dass ich bereits Erfahrung im Bereich der  Online-Videoproduktion  gesammelt  hatte  schlug  er  vor,  den  bereits  bestehenden YouTube-Kanal eines Kundens zu überarbeiten. Dabei handelte es sich um eine Möbelfirma die  Designerstücke  vertreibt  und  sich  wie  in  meinem  ersten  Projekt  auch,  auf  Content Marketing stützt. Der YouTube-Kanal sollte sich dabei wie das hauseigene Magazin „Box in a Box Idea“ auf unterhaltende Weise über lokale Künstler informieren. Meine Aufgabe sollte es nun sein, ein Konzept für den Kanal zu entwickeln, es in regelmäßigen Abständen meinen KollegInnen vorzustellen und schließlich, kurz vor dem Ende meines Praktikums, auch dem Kunden zu präsentieren.

Dieses Projekt war insofern wichtig für mich, weil es über die bisher sehr designorientierten Jobs hinausging.  Dort  hatte  ich  endlich  die  Möglichkeit  selbst  Nachforschungen  zum Themenkomplex  YouTube  anzustellen:  welche  Kanäle  und  Formate  sind  in  verschiedenen Ländern  beliebt  und  erfolgreich?  Wie  sieht  der  türkische  Markt  aus?  Welche  Erfahrungen bringe ich aus meiner Zeit bei dem Startup Endemol beyond mit, bei welchem ich aktiv an der  Umsetzung  verschiedener  Onlineformate  mitgeholfen  habe?  Diese Auseinandersetzung hat mir nicht nur viele neue Erkenntnisse über das Medium verschafft, sondern insbesondere darüber  wie  ich  meine  Ergebnisse  präsentieren  muss.  Während  ich  diese  für  mich  in  der Regel in längeren oder kürzeren Texten festhielt, ging es speziell in den für mich angesetzten Meetings darum, meine Ideen kurz und verständlich zu formulieren. Gleichzeitig galt es hier das Feedback und die Vorstellungen meiner KollegInnen zu verarbeiten, die Stellenweise sehr unterschiedliche Erfahrungen mit „neuen“ Medien hatten.

Am  Ende  konnte  ich  aber  genau  wegen  der  scharfen  Beobachtung  und  Reflexion  dieser Unterschiede ein angemessenes Konzept erstellen. Dies zielte zunächst weniger darauf ab ein konkretes  Format  zu  etablieren,  sondern  die  von  mir  herausgearbeiteten  Potenziale  und besonders  mögliche  Probleme herauszuarbeiten.  In  meiner  letzten  Woche bei  A&B  hatte  ich  dann  schließlich  die Möglichkeit meine Ideen in einem Meeting direkt  bei  unserem  Kunden  vorzustellen. Für  mich  war  das  eine  tolle  Erfahrung, schließlich ist es immer noch etwas anderes seine  Vorstellungen  einem  vertrautem  Kreis mitzuteilen als vor einer Reihe fremder Menschen mit vielleicht völlig anderen Erwartungen. Glücklicherweise  wurde  ich  auch  in  diesem  Meeting  mit  viel  Enthusiasmus  erwartet  und mein Konzept genauer diskutiert.

Dann musste ich wenig später meine Arbeitsstelle verlassen und damit das Projekt abgeben. Ein  Blick  auf  den  YouTube-Kanal  des  Unternehmens  offenbart  mir,  dass  sich  dort  nichts geändert  hat  seitdem  ich  gegangen  bin.  Dass  mag  viele  Gründe  haben,  aber  auch  daran liegen, dass meine damalige Zusammenfassung die Chancen und Ansprüche an dieses Format angemessen transportiert hat und die Angemessenheit von Online-Video für diesen Fall noch einmal überdacht wurden.

3. Meine Zeit nach A&B
Im  Rückblick  bedeutet  mein  Praktikum  bei  A&B  für  mich  vor  allem  eine  Zeit  des persönlichen  Wachstums,  des  Ausprobierens,  aber  auch  des  Aushaltens.  Mit  ersterem verbinde ich den mitunter anstrengenden Weg zu meinem Praktikum, das immer wieder neue Nachdenken  über  meine  Wünsche  und  Ziele  und  der  Kommunikation  eben  jener  in persönlichen  Emails  und  Gesprächen.  Dazu  gehört  auch  das  Gefühl  des  Erfolgs,  am  Ende zwischen der anspruchsvollen Arbeit in der Universität, dem Schreiben von Förderanträgen und dem nervenaufreibenden Alltag der Metropole mit 20 Millionen Einwohnern eine Stelle gefunden  zu  haben.  Diese  Phase  hat  mir  zwar  unweigerlich  meine  eigene  Stress-Grenze aufgezeigt, aber auch immer wieder neue Lösungen für meine Probleme zu Tage gefördert, die mir auch in Zukunft bei der Jobsuche helfen werden.

Eine Zeit des Ausprobierens war es dann insofern, weil ich mit jedem Projekt erneut ins kalte Wasser  geschickt  wurde  und  oft  völlig  neue  Fähigkeiten  erlernen  musste.  Hier  bin  ich insbesondere  dankbar  für  die  Freiheiten  und  das  Verständnis  die  mir  meine KollegInnen immer  wieder  entgegengebracht  haben.  Diese  Momente  des  Sich-verlierens  in  einer  neuen Aufgabe,  die  Möglichkeit  auch  mal  eine  Abzweigung  zu  nehmen  und  eventuell  in  einer (inspirierenden)  Sackgasse  zu  landen  schätze  ich  an  dem  Rahmen  den  mir  die  Universität bietet. Es war schön zu sehen, dass ich diesen Modus auch bei meinem Praktikum erreichen konnte.  Schön  war  es  auch  zu  sehen,  wie  meine  Teammitglieder  auf  meine  Fortschritte reagiert haben und mich zu jeder Zeit mit Ratschlägen unterstützt haben.

Schlussendlich  war  die Arbeit  bei A&B  aber  auch  eine  Zeit,  die  mir Ausdauer  und  einen Umgang mit meinem wiederkehrenden Gefühl des Fremdseins abgefordert hat. Obwohl ich bereits ein halbes Jahr in Istanbul verbracht hatte und mir die Stadt mit der Zeit vertrauter wurde, war es dennoch ein großer Schritt in der Türkei zu arbeiten. Schnell wurde mir klar dass  zehn  Stunden  am Tag  zum  regulären  Pensum  gehörten  und  ich  mich  damit  eher  zum Istanbuler  Durchschnittsarbeiter  gehörte.  In  Kombination  mit  den  vielen  neuen  Eindrücken kam ich oft sehr müde und geschafft nach Hause, obwohl ich ja die meiste Zeit an meinem schicken  Applerechner  verbracht  hatte.  Darüber  hinaus  hat  mich  nicht  jede  der  oben geschilderten Aufgaben von Anfang an in helle Begeisterung versetzt. Schließlich waren sie doch  weit  von  der  mir  bekannten  sozialwissenschaftlichen  Lektüre  oder  der  praktischen Arbeit  an  Dokumentarfilmen  entfernt,  die  in  der Vergangenheit  eher  zu  leidenschaftlichem Arbeiten  geführt  haben.  Der  Reiz  vor  eine  neue,  unkonventionelle  Aufgabe  gestellt  zu werden  siegte  am  Ende  jedoch  immer,  sodass  ich  jetzt  auch  die  längeren,  etwas  einsamen Stunden am Computer zu schätzen wusste.

Sobald mich aber eine Unlust auf die Arbeit packte, machte ich mich zumeist einfach auf den Weg  in  die  winzige  Küche  auf  unserer  Etage,  um  mir  dort  einen  türkischen  Schwarztee einzuschenken. Mit dem kleinen Glas auf einer Untertasse, Löffel und einem Stück Zucker in der Hand balancierte ich dann zurück zu meinem Arbeitsplatz. Zusammen mit einem Simit, dem türkischen Sesamkringel welchen ich mir häufig an einem der unzähligen Straßenstände geholt habe, konnte ich meist besser über meine eigene Situation nachdenken. Es fühlte dann oft surreal an so weit weg von dem zu sein was ich Zuhause nenne und gleichzeitig so sehr eingebunden zu sein in einer mir immer wieder fremd erscheinenden Welt.

Diese Gefühle hätte ich gerne mit meinen KollegInnen besprochen, allerdings habe ich mich häufig  nicht  getraut,  mit  dem  Gedanken  im  Hinterkopf  mich  lieber  „durchzubeißen“  und weiterzuarbeiten. Im Rückblick bereue ich diesen Schritt etwas, da ich sicherlich interessante und  vor  allem  auch  hilfreiche  Einblicke  aus  dem  Leben  meiner  Teammitglieder  hätte bekommen können, beispielsweise darüber wie sie mit kleineren oder größeren (Sinn-)Krisen umgehen. Der vorgezogene Wunsch, ständig stark und ausdauernd zu sein hat mich so am Ende eventuell mehr Kraft gekostet.

Allerdings  habe  ich  mir  im  gleichen  Zug  immer  wieder  Zeit  genommen  und  mit  meinen Freunden im In- und Ausland über meine Erfahrungen zu sprechen. So konnte ich über die Vor-  und  Nachteile  meines  Praktikums  debattieren  und  hilfreiche Anregungen  bekommen.

Viele  Freunde  und  Bekannte  haben  meine Arbeit  mit  großem  Interesse  verfolgt  und  mich immer  wieder  davon  überzeugt,  das  Praktikum  als  einen  Einblick  und  Chance wahrzunehmen.  Hier  war  es  insbesondere  spannend  mit  Kommilitoninnen  aus  den  eigenen Reihen  zu  sprechen.  Für  viele  war  der  Zusammenhang  zu  meinem  Studium  der Kommunikations-  und  Medienwissenschaften  sofort  ersichtlich,  während  ihnen  der  Bezug zur Anthropologie oft unklar blieb. Dabei war es für mich eine großartige Möglichkeit die zunächst  „fremde“  Welt  von  A&B  und  der  Kommunikationsarbeit  im  weiteren  Sinne kennenzulernen.  Dieses  Wissen  bietet  mir  unersetzliche  Anknüpfungspunkte  für  meine weitere  Auseinandersetzung  mit  anderen  Arbeitsplätzen.  So  ist  mir  zum  Beispiel  klar geworden, dass ich nicht einen ganzen Arbeitstag am Computer verbringen kann, so gerne ich auch  mit  Programmen  wie  Photoshop  arbeite.  Gleichzeitig  reizt  mich  der  Umgang  in  der Agentur,  die  Art  Probleme  kreativ  und  als  Team  anzugehen.  Meine  eigenen  Ideen  und Vorstellungen  zu  kommunizieren  und  dabei  Kompromisse  für  dieses  Team  einzugehen  ist wahrscheinlich  die  schönste  und  wichtigste  Erkenntnis,  die  ich  aus  meiner  Zeit  bei  A&B mitnehme.