Hubert Hüppe trifft mit seinen Worten den Nagel auf den Kopf. Es gibt viele Debatten zu dem Thema und auch die aktuellen Medien heizen diese weiter an. Die einen befürworten Inklusion und die anderen kämpfen gegen sie an – so wie das Gymnasium Horn. Die Schule hat die eigne Senatorin angeklagt, weil sie sich weigert Inklusionskinder mit Beeinträchtigungen der Wahrnehmung und der Entwicklung aufzunehmen und zu beschulen. Dies beweist, dass Bremen als Vorreiter von Inklusion nicht alle handelnden Personen im eigenen Kreis überzeugt hat.
Inklusion ja, aber bitte nicht in Gymnasien?
oder
Inklusion ja, aber bitte nicht für jeden?
Wird sonderpädagogischer Förderbedarf festgestellt, ist das für manche ein Label/ Zertifikat/ Beweis von Behinderung. Ein „Problem“ in der Gesellschaft, das irgendwie gelöst werden muss. Deshalb werden jene SuS auch oft einer Förderschule oder Sonderschule zugewiesen. Dabei sollte sonderpädagogischer Förderbedarf eher als Hilfe verstanden werden, damit die betroffenen SuS Barrieren in ihrem Alltag überwinden können. Partizipation im Unterricht in einem „normalen“ Schulsetting ist durchaus möglich, denn die Kinder bringen ausreichend kognitive Fähigkeiten mit. Wie wir alle haben auch Inklusionskinder Schwächen und Stärken!
Ich denke, dass sich viele nicht in die Situation der Inklusionskinder hineinversetzen können, wenn sie selber nicht betroffen sind oder keine Kinder haben, die sonderpädagogische Förderung bekommen. Vorurteile und Ängste werden geäußert, dass ihr „normales“ Kind unter inklusiven Unterricht leide oder leiden werde. Und überhaupt: Was ist mit den Kosten? Inklusion geht nicht von heute auf morgen! Nicht alle Schulen sind barrierefrei!
Ganz neu für mich wäre an dieser Stelle, dass Förderschulen nichts kosten. Würden Förderschulen geschlossen werden, könnten Kosten auch gespart und an anderer Stelle ausgegeben werden. Außerdem befindet sich Inklusion nicht mehr in ihren „Kinderschuhen“ und das Bildungssystem konnte schon viele Jahre an Erfahrung sammeln (Lisa Reimann, 2014). Des Weiteren zeigt ein Blick auf die Graphik der Bertelsmann Stiftung, dass die Förderschwerpunkte beim Lernen, geistiger Entwicklung, emotionaler und sozialer Entwicklung und Sprache liegen. Das „klassische“ Inklusionskind ist nicht zwangsläufig im Rollstuhl.
Fakt ist, dass auch Gymnasien keine „behindertenfreie“ Zone sind (Lisa Reimann, 2014). Und dass ein Ausschluss der Inklusionskinder die Menschenrechte nach UN-Behindertenrechtskonvention verletzt, ist wohl so manchem nicht klar. Tatsächlich ist dies jedoch Diskriminierung auf hohem Niveau.
In meinen Praktika habe ich 1 Inklusionskind im Unterricht beobachten können. Sie hatte Probleme sich über eine ganze Stunde auf den Unterricht zu konzentrieren und brauchte außerdem Unterstützung bei der Organisation des Schulalltags (Schulranzen wieder einpacken, Turnbeutel raussuchen, Brot finden, in die Pause gehen, Hausaufgaben aufschreiben, die richtigen Bücher und Hefte raussuchen). Sie war voll in die Klassengemeinschaft integriert und hatte viele Freunde. Sie schien glücklich und zufrieden und hatte zu ihrer Sonderpädagogin ein gutes Verhältnis. Wenn vielleicht auch nicht repräsentativ, war diese positive Erfahrung des „Whole School Approach“ bzw. der „Schule für alle“ eine motivierende Erfahrung wie mit Vielfalt umgegangen werden kann.
Von anderer Seite (Lehrer einer anderen Schule) habe ich aber auch negative Stimmungen bezüglich Inklusion wahrgenommen. Es wurde sich darüber beklagt, dass manche Inklusionskinder mit körperlichen Behinderungen nicht in der Lage seien 45 Minuten durchzustehen, ohne sich auf einer Liege auszuruhen.
Ich selbst bin Inklusion gegenüber sehr aufgeschlossen. Allerdings glaube ich, dass das dreigliedrige System eine Spaltung der Gesellschaft verursacht und Nahrung für eine „Aussortierung“ bietet. Mich wundert es nicht, dass aufgrund der vielen Vorurteile und Ängste, Eltern versuchen Gymnasien für ihre Kinder anzuwählen (dies erklärt auch die Wartelisten, auch in Bremen!), um manchen Personengruppen einschließlich Inklusionskindern ausweichen zu können. Von den scheinbar „homogenen“ Klassen eines Gymnasiums bestärkt, ist es nachvollziehbar, dass die Schulleiterin des Gymnasiums Horn sich auf den Paragrafen 20 des bremischen Schulgesetzes beruft. „Dort heißt es, das Unterrichtsangebot sei ‚auf das Abitur ausgerichtet‘. Die Schüler müssten mindestens zwei Fremdsprachen erlernen“ (Jürgen Theiner, 2018). Darum liegt der Kern des Inklusionproblems vor allem in dem Bildungssystem.
Als Mutter von 3 Kindern habe ich mich bewusst für eine Gesamtschule entschieden. Ich möchte, dass meine Kinder die Vielfalt kennenlernen. Als Studentin im 2. Semester fühle ich mich jedoch noch schlecht auf inklusiven Unterricht vorbereitet, weil bisher nur eine theoretische Vermittlung des Ist-Zustandes erfolgte. Dies gilt im Übrigen auch für Heterogenität im Allgemeinen.
Meine Beobachtungsaufgaben/fragen für zukünftige Praktika sind:
Inwieweit unterscheiden sich die gestellten Aufgaben für die jeweiligen Inklusionskinder von dem Rest der Klasse? (Stichwort zieldifferente Förderung)
Inwieweit können Inklusionskinder den curricularen Anforderungen entsprechen?
Welche inklusiven Herausforderungen begegnen dem Lehrer/in? Inwiefern nutzt der Lehrer die Hilfe des/der Sonderpädagogen/in?
Ist der/die Sonderpädagoge/in nur für das zugewiesene Kind zuständig oder kann die ganze Klasse von ihm oder ihr profitieren?
Wie ist das Verhältnis des Inklusionskindes mit dem Rest der Schülerschaft? Wird es ausgegrenzt?
Quellen:
Lisa Reimann. 20.06.2014. Wir brauchen Inklusionsfakten statt Vorurteile. inklusionsfakten.de/wir-brauchen-inklusionsfakten-statt-vorurteile/. Abruf am 23.05.2018
Jürgen Theiner. 9.4.2018. Bremer Gymnasium verklagt Senatorin. Weser Kurier. weser-kurier.de/bremen/bremen-stadt_artikel,-bremer-gymnasium-verklagt-senatorin-_arid,1718390.html. Abruf am 23.05.2018