Wir alle sind uns bewusst, dass zunehmende Heterogenität zu unserem Alltag gehört. Gerade die jüngeren Entwicklungen im Hinblick auf Migration haben den Fokus wieder auf Fragestellungen der Integration und der Inklusion gelenkt. Hierbei sollte allerdings nicht vergessen werden, dass Heterogenität und die Aufgaben, die in diesem Zusammenhang für das Schulsystem entstehen, sich nicht nur über die Zugehörigkeit zu verschiedenen Kulturen und Religionen definiert, sondern dass auch Aspekte wie die Herkunft aus verschiedenen sozialen Schichten, körperliche oder andere Beeinträchtigungen und Gender- Zugehörigkeit gerade innerhalb einer Schulklasse eine große Rolle spielen.
Ich, als Kleinstadtkind aus Bayern, habe in meiner Schulzeit mit Sicherheit deutlich weniger Erfahrungen im Bereich der soziokulturellen Heterogenität gemacht als KommilitonInnen aus größeren Städten, wo die Diversität bezüglich der Herkunftsländer der Einwohner, aber oftmals wohl auch das Spannungsverhältnis verschiedener Schichten stärker ausgeprägt ist. Das soll dabei allerdings nicht heißen, dass diese Themen nicht auch in meiner Schule präsent waren. Gerade meine Grundschulklasse setzte sich ja, wie bereits in meinem letzten Blogeintrag beschrieben, zum Großteil aus Mädchen und Jungen mit Migrationshintergrund oder Lernschwäche zusammen. Diese nahmen auch zusammen an den wöchentlichen Sonderstunden teil. Der Fokus lag demnach weder speziell auf dem Migrationshintergrund, noch auf der Lernbeeinträchtigung der einzelnen SchülerInnen, sondern beide Aspekte wurden gleichwertig behandelt. Während die Zusammensetzung der Gruppe also eher einen Ansatz zeigt, der mit dem der Diversity Education übereinstimmt, so lag das Ziel doch eindeutig darin, letztendlich alle SchülerInnen auf ein gemeinsames Level zu befördern. Die Maßnahmen, das bedeutet Sprachförderung und Leistungsförderung anstelle von Beziehungsarbeit, zeigen demnach Parallelen zum Konzept der Ausländerpädagogik auf.
Bezüglich des Erfolgs dieser Sonderförderung kann ich erneut auf meinen letzten Blogeintrag verweisen: Das Leistungsgefälle innerhalb der Klasse und die Differenz zwischen den Niveaus der Kinder blieben erheblich. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist, dass drei derjenigen SchülerInnen, die den für das Gymnasium nötigen Notendurchschnitt erreichten, einen Migrationshintergrund hatten. Einer dieser Schüler, der 2015 zusammen mit mir das Abitur ablegte, hatte, als er gegen Ende des ersten Schuljahres zu mir in die Klasse kam, kein Wort Deutsch gesprochen. Im Gegensatz dazu erreichte keines der Kinder mit LRS den nötigen Schnitt für den Zugang zum Gymnasium oder der Realschule.
Daraus ergeben sich also einige Fragen:
Waren die pädagogischen Maßnahmen mehr auf die Förderung der Kinder mit Migrationshintergrund ausgerichtet als auf die der Kinder mit Lernbeeinträchtigung?
Oder waren die (verhältnismäßig wenigen) Kinder mit Migrationshintergrund meiner Grundschulklasse, die das Abitur schafften, einfach Ausnahmen von der Regel?
Hat die Sonderförderung demnach überhaupt irgendetwas gebracht?
Oder hätte ein anderes Konzept, möglicherweise der Ansatz der Diversity Education, bessere Ergebnisse erzielt?
Diese Fragen sind sehr schwer zu beantworten, insbesondere da ich selbst nach meiner Grundschulzeit nicht mehr mit Ansätzen der heterogenen Pädagogik in Kontakt gekommen bin und so keine Möglichkeit bekommen habe, andere Konzepte auf ihre Wirksamkeit hin zu beurteilen.
Gerade deshalb wäre es für mich interessant, andere pädagogische Methoden und Maßnahmen im Rahmen der Heterogenität innerhalb späterer Praktika zu beobachten, denn bisher kann ich mir unter Aspekten wie „Beziehungsarbeit“ leider nur wenig vorstellen. Die Bremer Oberschulen öffnen durch ihre Struktur sowohl Möglichkeiten als auch Notwendigkeiten für besondere pädagogische Konzepte des Umgangs mit soziokultureller Heterogenität. In diesem Umfeld gäbe es demnach sehr viel Gelegenheit, konkrete Projekte für Interkulturalität oder gegen Rassismus innerhalb der Schule nachzuvollziehen und ihren Erfolg zu beurteilen. Und natürlich fragt sich, welches Konzept den jeweiligen Strategien zugrunde liegt.
Ich meine damit weniger Exkursionen wie den Besuch von Moscheen oder Synagogen, wenngleich auch diese den SchülerInnen neue Einblicke vermitteln, sondern vielmehr Strategien innerhalb des Klassenzimmers. Aber wie legt man den Fokus auf die Gemeinsamkeiten zwischen den Schülern, wenn nicht durch gemeinschaftliche Unternehmungen?
Meiner Meinung nach müssen die SchülerInnen sich dafür mehr gegenseitig miteinander beschäftigen. Dies kann natürlich in Form von vermehrten Gruppenarbeiten stattfinden; allerdings liegt hierbei möglicherweise das Problem darin, dass, da die SchülerInnen sich die Zusammensetzung dieser Gruppen oft selbst aussuchen dürfen, auch hier kaum neue Beziehungen aufgebaut werden. Selbst bei einer Zuteilung durch den Lehrer wird es oftmals innerhalb der Gruppen wieder Grüppchenbildung geben, und der eigentliche Austausch wird hintenangestellt.
Sinnvoller wäre es deshalb meiner Ansicht nach, eine Art Lerntandem zu fördern. Das heißt, ein Schüler/ eine Schülerin mit besonders guten Kenntnissen in einem Unterrichtsfach versucht, einem anderen Mitglied der Klasse, das in diesem Bereich Probleme hat, einen oder mehrere Aspekte, die in diesem Fach behandelt werden, zu erklären. Im Gegenzug kann der/die andere TeilnehmerIn des Tandems seinem Partner/ seiner Partnerin in einem anderen Fach, in dem wiederum er/sie seine Stärke sieht, helfen. Nach einigen Wochen werden die Tandems neu zusammengesetzt und der Prozess wiederholt sich. So wird die möglicherweise festgefahrene Struktur einer Klasse gebrochen und die SchülerInnen werden dazu angeregt, sich individuell miteinander beschäftigen. Zudem liegt der Fokus hierbei auf den Stärken der einzelnen Kinder, denen gleichzeitig mehr Verantwortung übertragen wird, denn sie sollen ihr Wissen vermitteln und ihrem/ihrer TandempartnerIn helfen.
Natürlich ist der Erfolg eines solchen Konzepts von vielen Umständen abhängig: SchülerInnen müssen kollaborieren, Lehrkräfte, Jugendliche und Eltern müssen sicher sein können, dass der Unterrichtsstoff ausreichend und angemessen vermittelt wird. Doch für einige Schulstunden pro Woche könnte ein Ansatz, der darauf basiert, dass SchülerInnen einander gegenseitig helfen, sowohl für den Lernprozess, als auch für die Klassengemeinschaft und die Offenheit einzelner Mitglieder gegenüber einander durchaus hilfreich sein.