Heterogenität und Homogenität

Homogenität und Heterogenität, oder vereinfacht gesagt vielleicht: Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Vereinheitlichung und Verschiedenheit. Unsere ganze gesellschaftliche Ordnung ist geprägt von einem Wechselspiel dieser beiden Aspekte. Wir sind alle verschieden, in unserem Aussehen und unserer Einstellung, kommen aus verschiedenen Elternhäusern oder Ländern, unterscheiden uns in Religionszugehörigkeit oder Musikgeschmack. Und doch suchen wir auch nach Gemeinsamkeiten, wollen Menschen treffen, die unsere Interessen teilen, bilden Gruppen von Gleichgesinnten.

Ein Bereich unserer Gesellschaft, in dem der Ausgleich zwischen Heterogenität und Homogenität besonders wichtig, jedoch auch besonders schwierig ist, ist der der Schule und der Bildung. Denn auch wenn die SchülerInnen innerhalb einer Klasse sich in einigen Punkten ähneln – so zum Beispiel im Alter, oder allein in der Tatsache, dass sie alle dieselbe Jahrgangsstufe besuchen und somit mit den selben Unterrichtsstoffen konfrontiert sind – so sind sie doch in vielen Aspekten sehr verschieden. LehrerInnen können sich durch diese Vielfalt hinsichtlich Interessen, Lerntypen, Sozialverhalten etc. schnell überfordert fühlen. Viele PädagogInnen greifen – auch unbewusst – angesichts dieser Herausforderung auf Prinzipien der Homogenisierung zurück, das heißt, sie teilen Schüler gedanklich in Gruppen von schwächeren oder stärkeren Schülern, von Problemschülern usw. ein. Dieser Vorgang wird auch als „Komplexitätsreduktion“ beschrieben (Luhman 1975).

Interessant ist, dass diese Methode nicht nur (bewusst oder unbewusst) von Mitgliedern des Lehrkörpers innerhalb bestimmter Klassen verwendet wird, sondern dass das ganze Schulsystem in der Mehrzahl der deutschen Bundesländer auf einer Einstufung und Klassifizierung von SchülerInnen in leistungsstärkere und -schwächere Kinder und Jugendliche beruht. Unter dieser Aufteilung in Sonder-, Haupt- und Realschulen sowie Gymnasien leiden insbesondere Kinder aus sozial schwächeren Familien. Sie besuchen viel seltener das Gymnasium als Mädchen und Jungen aus der Mittel- und Oberschicht, deren Eltern in vielen Fällen ebenfalls das Gymnasium durchlaufen haben.

Doch genau dieser Aspekt wird im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) nicht berücksichtigt. Dieses legt fest, dass niemand aufgrund seiner ethischen Herkunft, seines Geschlechts, seines Alters, seiner Religion oder aufgrund einer Behinderung diskriminiert werden darf. Doch gerade die Komponente der sozialen Herkunft, welche die Bildungschancen besonders stark beeinflusst, bleibt ungenannt.

Bremen hat sich dieses Problems durch eine Umstellung des Schulsystems, genauer gesagt durch die Einführung der Oberschulen, angenommen. In dieser Schulform wird nach Beendigung der Grundschule keine Selektion durchgeführt. Stattdessen besuchen die Jugendlichen bis zur 10. Klasse gemeinsam den Unterricht; danach wird der freiwillige Besuch einer Oberstufe angeboten, die mit dem Abitur abgeschlossen wird. Dadurch soll mehr SchülerInnen die Chance gegeben werden, den höchsten Bildungsabschluss zu erreichen.

Diese neue Ausrichtung bringt viele Vorteile mit sich, sorgt sie doch für mehr Homogenität bezüglich der Chancengleichheit und bekämpft die oben genannte Benachteiligung von Kindern aus einem sozial schwächerem Umfeld. Gleichzeitig steigt bei diesem Ansatz die Heterogenität innerhalb der einzelnen Klassen, es gibt nun mehr unterschiedliche Leistungsniveaus, vermutlich auch mehr Lerntypen etc.

Das bringt uns zu der essenziellen Frage: Können Lehrkräfte es schaffen, in einem so heterogenen Umfeld allen SchülerInnen gerecht zu werden?

Ich selbst habe die Erfahrung gemacht, dass der Ansatz der Inklusion mit allen Vorteilen doch auch sehr viele schwierige Momente mit sich bringt. Meine Grundschulklasse war das Modell eines neuen Inklusionskonzepts. Sie bestand zu über 80% aus Kindern mit Migrationshintergrund und/oder LRS (Lese-Rechtschreib-Schwäche). Für diejenigen SchülerInnen, die Probleme mit dem Lesen und Schreiben hatten, wurden ein- bis zweimal wöchentlich Extraklassen angeboten, die außerhalb der regulären Unterrichtszeit stattfanden. Interessanterweise hatte ich nie das Gefühl, dass die Klassengemeinschaft dadurch gestört oder die leistungsschwächeren Kinder gehänselt wurden. Allerdings ist natürlich auch das schon wieder ein Beispiel für Gruppenbildung angesichts von Verschiedenheit: Es fand eine Homogenisierung statt durch die Aufteilung in Kinder, die zusätzliche Klassen besuchen mussten, und in Kinder, die dies nicht mussten. Gleichzeitig denke ich, dass diese Extrastunden durchaus notwendig waren. Denn es gab auch so bereits ein extremes Leistungsgefälle innerhalb der Klasse: Das Lerntempo war nur für sehr wenige Kinder tatsächlich angemessen, der Großteil war entweder über- oder unterfordert. Und das zeigte sich auch in der Aufteilung nach der 4. Klasse. Ich würde schätzen, dass nur etwa 15% der SchülerInnen die Realschule, dafür 55% die Hauptschule und 30% das Gymnasium besuchten. Es wurde also in diesem Fall trotz bestimmter Zusatzmethoden nicht geschafft, die sehr verschiedenen Herangehensweisen der einzelnen Kinder an den Unterrichtsstoff oder ihre jeweiligen verschiedenen Vorkenntnisse und -prägungen sowie Interessen zu berücksichtigen.

Es stellt sich also für die Zukunft die Frage, wie der zunehmenden Heterogenität in Schulklassen begegnet werden soll. Insbesondere die Unterschiede des Leistungsniveaus, und die Verschiedenheit der Lerntypen müssen berücksichtigt werden. Inwiefern könnte es helfen, eine Klasse auch in gewissen Aspekten zu homogenisieren? Wo zieht man die Grenze? Angehende LehrerInnen wie wir müssen sich demnach intensiv damit beschäftigen, welche Methoden der Unterrichtsgestaltung es uns ermöglichen, individueller auf einzelne SchülerInnen einzugehen, ohne von der Masse an Individualität überwältigt zu werden.

Eine Möglichkeit bezüglich verschiedener Lerntypen wäre eventuell, Stunden grundsätzlich so aufzubauen, dass sie jeden Lerntypus ansprechen, demnach visuelle, auditive sowie Bewegungselemente enthalten. Solche Ansätze können in zukünftigen Praktika ausgearbeitet und verfolgt werden.