Individualität, Unikat, einmalig.
Anders, Differenz, unnormal.
Das Spannungsfeld der Dimensionen von Heterogenität ist komplex und sozial konstruiert. Es ist subjektiv, was als „anders“ oder „gleich“ wahrgenommen wird. Als Referenzpunkt dieser Skala fungiert die einteilende Person. In der Schule ist das die Lehrkraft. Schülerinnen und Schüler bringen also nur bedingt eine „Andersartigkeit“ mit – vielmehr wird sie ihnen vom Lehrpersonal und anderen Pädagog*innen zugeteilt, und das zumeist ganz unterbewusst.
Das Konstrukt der Heterogenität ist auch ein strukturelles Problem, das weit über den schulischen Kontext hinausgeht. Wie Niklas Luhmann (1975) beschreibt, dient das Reduzieren von Komplexität dem Schutz vor Überforderung durch Sinneseindrücke. Kategorisieren, Ordnen und Einteilen sind dabei kognitive Hilfsmittel, um den Umgang mit komplexen Gefügen zu erleichtern. Dieses Phänomen der Einteilung und Gleichstellung ist also eine Reaktion auf heterogene Strukturen und schafft Kategorien für Diskriminierung. Wie soll Heterogenität also im Kontext von Schule gedacht werden?
Die Schule ist auf eine gewisse Homogenität angewiesen – etwa, um faire und einheitliche Bewertungsmaßstäbe anzuwenden. Oder dass Langschläfer-Kinder und Frühaufsteher-Kinder gleichermaßen früh morgens den Unterricht beginnen.
Kann ein System Gerechtigkeit bieten, das Gleichheit voraussetzt?
Das Konzept der Benotung ist besonders in Fächern wie Kunst ein Hindernis für die heterogene und individuelle Entwicklung von Fähigkeiten. Im schulischen Kontext wird Heterogenität meist als Herausforderung wahrgenommen.
Um auf Heterogenität in der Schule eingehen zu können, muss im ersten Schritt überhaupt anerkannt werden, dass sie existiert. Dafür muss die Annahme über Bord geworfen werden, dass jede Schülerin, jeder Schüler, die gleichen Voraussetzungen hat und die gleichen Ziele erreichen kann.
Lehrkräfte tragen die Verantwortung, diesen Status quo zu erkennen – und ihre eigene Rolle in den dahinterliegenden Machtstrukturen zu hinterfragen. Die Schule als Sozialraum hat einen großen Einfluss auf die Antonymie von Gleichheit und Individualität der Lernenden.
Gleichzeitig darf man jedoch die institutionelle Perspektive nicht außer Acht lassen. Während viele dieser Gedanken und Fragen vom Bedürfnis des lernenden Kindes ausgehen, ist auch die Perspektive der Schule als Institution relevant.
Herausfordernd für die Organisation von Lehr-Lernprozessen in der Schule als gesellschaftliche und institutionelle Einrichtung sind im Hinblick auf Heterogenität vor allem derartige Fragen:
Wie gestalten Lehrkräfte „Massenlernprozesse“ (Trautmann & Wischer, 2011, S. 69) im Umgang mit Heterogenität? Wie kann auch auf individuelle Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler eingegangen werden, wenn die Lehrkraft eine große Gruppe Lernender gleichzeitig betreut?
Wie ist der Umgang mit Verschiedenheit in einer staatlich kontrollierten Einrichtung möglich? Wie bedingt die Verantwortung des Systems Schule gegenüber der Gesellschaft die Förderung von Heterogenität?
Nicht zuletzt ergeben sich auch Herausforderungen in der Ausbildung von Lehrkräften. Um didaktisch einen Umgang mit Heterogenität im Klassenzimmer zu finden, müssen Lehrmethoden erlernt werden, die für viele Lehrkräfte noch neu sind – wie Budde (2018) betont.
Budde kritisiert hierbei, dass eine Konzentration auf Unterschiede auch die Gemeinschaft einer Gruppe schwächen kann. Er beschreibt das Problem vom Zurückbleiben der Inhalte hinter der Form von Unterricht. Ob ein anderer Umgang mit Heterogenität in der Schule zielführend sein kann, ist nach Budde fraglich.
Die fehlende Präsenz dieser Thematik in der Lehrkräftebildung steht nicht allein als Argument. Hinzu kommt die Reproduktion ebenjener Differenzen durch ihre Wiederholung im Ausbildungskontext von Lehrerinnen und Lehrern.
Die Institution Schule ist allerdings nicht allein ausschlaggebend für die adäquate Bearbeitung von Heterogenität. Vielmehr ist dies eine ganzgesellschaftliche Aufgabe.
Literatur:
Budde, Jürgen (12.03.2018): Heterogenität in Schule und Unterricht (https://www.bpb.de/lernen/digitale bildung/werkstatt/266110/heterogenitaet-in-schule-und-unterricht (abgerufen am 10.04.2025)
Trautmann, Mathias/Wischer, Beate (2011): Heterogenität in der Schule. Eine kritische Einführung. VS-Verlag
Heterogenität wird oft, vor allem im schulischen Kontext, als Herausforderung angesehen, wobei meiner Meinung nach gar nicht die Heterogenität selbst problematisiert werden sollte, sondern vielmehr die generelle Konstruktion und Einteilung in homogene und heterogene Gruppen. Ich würde dir vollkommen zustimmen, dass diese soziale und gesellschaftliche Konstruktion von Unterschieden von außen passiert und somit auferlegt wird – in diesem Fall vor allem durch die aktiven Lehrpersonen. Diese Einteilung und das Streben nach Homogenität, als vermeintliche Vereinfachung und Gleichberechtigung, selbst ist das Problem. Wodurch letztendlich Diskriminierung, Benachteiligung und Ungerechtigkeit folgen.
Deshalb geht es vielleicht eigentlich gar nicht um die Frage nach einem optimalen Umgang mit Heterogenität in der Schule, sondern vielmehr das Erkennen, Bewusstmachen und anschließende Aufbrechen der Idee einer homogenen Gesellschaft. Heterogenität setzt irgendwo eine gewisse Homogenität voraus. Aber woher kommt diese Unterteilung in Norm und Abweichung?
Vor allem durch Institutionen wie Schulen und das dort praktizierte pädagogisch-didaktische Handeln – aufgrund von gesellschaftlichen Leistungskonzepten – werden solche Spannungsfelder zwischen bestimmten Differenzen und Individualitäten erst verstärkt und sichtbar gemacht. Ich finde deine Hinterfragung dieses Systems einer vermeintlichen Gerechtigkeit, das Gleichheit voraussetzt, total interessant und musste direkt an den Sportunterricht denken, bei dem die Leistungsanforderungen zwischen weiblich und männlich gelesenen Schüler*innen konzeptuell unterschiedlich waren. Männliche Schüler mussten beispielsweise beim Leichtathletik weiter werfen oder springen, um die selbe Note wie eine weibliche Schülerin zu bekommen.
Hier kommt also auch wieder die Frage nach der Umsetzung einer gleichen Behandlung trotz individueller Unterschiede und Vorraussetzungen auf – beziehungsweise in dem Fall die konkrete Bewertung oder vielleicht sogar dessen Notwendigkeit. Gronostaj und Vock schreiben hier von einem Schulsystem, das auf einer Selektions- oder Allokationsfunktion basiere, wobei Schüler*innen nicht aufgrund von beispielsweise Geschlecht oder Herkunft, sondern stattdessen aufgrund ihrer Leistung bewertet werden würden (Gronostaj & Vock, 2017, S.47). Dieses Konzept der Leistungsgesellschaft finde ich sehr fraglich, da hier die unterschiedlichen Vorraussetzungen der einzelnen Schüler*innen außer Acht gelassen werden und generell das Prinzip von Leistungsbewertungen nicht hinterfragt wird. Wobei ich zudem auch glaube, dass leider oft auch unterbewusst, wie du es auch schreibst, Lehrpersonal Schüler*innen „Andersartigkeit“ auch auf Basis von Kriterien, wie beispielsweise Geschlecht, zuschreibt und dementsprechend bewertet.
Budde meint auch, dass Heterogenität immer mit Machtverhältnissen verknüpft sei (2018), was ich besonders im schulischen Kontext im Hinblick auf das Bewertungssystem interessant finde. Ich würde dir auch hier zustimmen, dass es wichtig ist, sich als Lehrperson diese verantwortungsvolle Stellung bewusst zu machen und seine eigenen Machtposition zu hinterfragen.
Letztendlich ist es meiner Meinung nach aber auch relevant, beim Umgang mit Heterogenität schulübergreifend zu denken und dies als gesamtgesellschaftliches Konstrukt zu verstehen und zu bearbeiten. Trotzdem finde ich es schwierig, bei solchen komplexen gesellschaftlichen Strukturen einen optimalen Handlungsweg aufzuzeigen und diesen in einem Raum, wie der Schule als Lehrperson bestmöglich umzusetzen.
Literatur:
Budde, Jürgen (12.03.2018): Heterogenität in Schule und Unterricht.
(https://www.bpb.de/lernen/digitale-bildung/werkstatt/266110/heterogenitaet-in-schule-und-unterricht/)
(abgerufen am 14.04.2025).
Gronostaj, Anna/Vock, Miriam (2017): Umgang mit Heterogenität in Schule und Unterricht. Netzwerk-Bildung. Friedrich Ebert Stiftung.