„Stillstand – eine poetische Reflexion über den Handykonsum in unserer Gesellschaft.“
Stillstand – eine poetische Reflexion über den Handykonsum in unserer heutigen Gesellschaft von Anouk Piotrowski.
Stillstand. Plötzlich ist mein Kopf leer. Ich wollte, nein musste immer meine Gedanken verdrängen. Verjagt habe ich sie damit.
Wo bleiben meine eigenen Ideen, meine Kreativität und meine Neugier?
Ein Hauch von Scham überkommt mich. Ich tausche meinen eigenen Sinn gegen ein Dopamin geflutetes, grell leuchtendes Display ein.
Es fühlt sich an wie ein schlechter Deal mit dem Teufel. Die Gier überfällt mich wie seine warme Lava, sie umhüllt mich, wird zu Stein, lässt mich nicht los. Stundenlang, Video für Video vernachlässige ich mich selbst. Ich trickse meinen Körper aus. Ergaunere mir die Belohnung. Scrolle beinahe im Sekundentakt. Es braucht ein Ende.
Und Zack – ein Stoß in die Realität. Meine Daten sind aufgebraucht und Wlan gibt es in meiner Wohnung noch nicht. Ich bin perplex.
Es brodelt eine tiefe Angst in mir. Die Welt dreht sich weiter ohne mich. Sekunden ziehen sich wie Tage. Wann war ich das letzte Mal mir selbst ausgesetzt? Unbeholfen starre ich an die Decke, zum Fenster, auf mein Handy. Wie immer.
Eine Steppenhexe rollt durch meinen Kopf, ein Krähen erklingt. Zum Abschalten brauche ich eine Lawine an Dopamin.
Ich wusste nicht, dass ein Gefühl so ätzend sein kann. Ich hätte gedacht, mensch hat mehr Kraft als so ein kleines flimmerndes Ding. Falsch.
Ich grüble, ich strenge meinen Kopf wirklich an, kein Gedanke quält sich hinaus. Nichts will sich mehr selbst erdenken.
Ein weiteres Ablenkungsmanöver folgt. Ich putze, ich miste meine Kleidung aus, ich räume die ganze Wohnung auf und um. Die Sonne strahlt an mir vorbei. Geht es darum die ganze Zeit beschäftigt zu sein.
Mir fällt es wie Groschen von den Augen – ich habe vergessen, wie ich bin, verlernt, was ich mag.
Die Liste formt sich in mir, jetzt oder nie, ich muss schreiben.1
Es sprudelt aus mir hinaus. Die Verschwendung hat ein Ende. So viel will ich tun, so wenig hält mich zurück. Durchatmen. Die Hektik sausen lassen.
Eine warme Briese meiner selbst überkommt mich.
Ein Gedanke plagt mich. Er prägt mich. Ich muss an Sie denken, daran wie sie aufgewachsen sind, wie sie sich verhalten haben, wie sie mit sich selbst ausgesetzt waren. Wie haben Sie ihre Zeit verbracht?
Ich will es auch erleben.
Ich will diese Welle an Gefühlen auch spüren. Ich will auch Langweile.
Ich will nicht entkommen.
Ich vergleiche mich, ein Samstagmorgen. Sie blättern durch die Zeitung. Ich rolle mich im Bett herum. Sie machen sich auf den Weg zum Bäcker. Mein Handy wechselt zwischen links und rechts. Jedes weitere Mal komm ich angekrochen. Ich weiß was ich tu, ich weiß, es tut nicht gut. Die Verbindlichkeit geht flöten.
176 Millionen Augenpaare der Welt an Bildschirme gefesselt.2 Meins eines davon.
173 mal am Tag eröffnet sich mein Portal zur Hirnfäule. So sehr ich es auch will, ich komme nicht los. Es braucht harte Maßnahmen. Muss ich das Ding zerstören um mich zu lösen?
Ein Zwiespalt so groß. Ganz oder gar nicht. Anders schaffe ich es nicht. Mein Herz wird von Panik durchflutet sobald ich das kleine Ding nicht an mir spüre. Es nimmt mir die Angst in der dunklen, leeren Wohnung.
Und Zack – neue Daten sind gebucht und 1&1 lacht sich ins Fäustchen.
1 Abbildung 1.: „Dopamin Menü“ von Anouk Piotrowski
2 Handysucht – die Droge des digitalen Zeitalters? (o. J.). Health-rise.de. URL: https://www.health-rise.de/blog/Handysucht-die-Droge-des-digitalen-Zeitalters, abgerufen 16.2.2025