1. Warum ist es falsch, den Beutelsbacher Konsens als reines Neutralitätsgebot zu verstehen?
Der Beutelsbacher Konsens wird oft mit einem „Neutralitätsgebot“ verwechselt. Das führt schnell zu Unsicherheit oder gar zum Rückzug aus politisch kontroversen Diskussionen im Unterricht. Doch genau davor warnen Gessner et al. (2016): Eine politisch lethargische Haltung gefährdet die demokratische Bildung, weil sie Meinungen Raum gibt, die nicht mehr kritisch hinterfragt werden.
Neutralität bedeutet nicht, dass Lehrkräfte keine Meinung äußern dürfen – im Gegenteil: Sie dürfen sie äußern, wenn klar ist, dass es sich um eine Perspektive unter mehreren handelt. Giesinger (2021, S. 24f.) spricht hier vom Unterschied zwischen „Vermitteln“ und „Mitteilen“. Lehrkräfte sollen ihre Überzeugung nicht aufdrängen, sondern zum Nachdenken anregen.
Die drei Prinzipien des Beutelsbacher Konsens – Überwältigungsverbot, Kontroversitätsgebot und Schülerorientierung – zielen genau darauf ab: Schüler*innen sollen sich eigene Urteile bilden können, nicht belehrt werden. Deshalb bedeutet politische Neutralität nicht Meinungsverzicht, sondern verantwortungsvolle Offenheit.
2. Was bedeutet der Beutelsbacher Konsens für ein Thema im Sport- oder Mathematikunterricht?
In meinen Fächern: Mathe und Sport. Auch wenn diese Fächer nicht im engeren Sinne „politisch“ sind, gibt es Themen, bei denen gesellschaftliche Fragen in den Unterricht hineinwirken – besonders im Sportunterricht. Ein Beispiel ist der Umgang mit geschlechtlicher Zugehörigkeit: Was passiert, wenn sich ein Schüler oder eine Schülerin nicht als Junge oder Mädchen einordnen möchte? Wie wird dann ein Turnier organisiert? Oder wie wird das Thema Umkleidekabinen geregelt?
Hier hilft der Beutelsbacher Konsens. Ich darf als Lehrkraft sagen, dass ich für einen respektvollen und diskriminierungsfreien Umgang bin – aber ich darf niemanden zu meiner Meinung drängen. Es muss möglich sein, dass Schüler*innen eigene Fragen stellen oder auch unsicher sind. Mein Job ist es, verschiedene Sichtweisen auf gewisse Themen zu zeigen und eine Diskussion zu ermöglichen, in der sich alle sicher fühlen.
Ein weiteres wichtiges Thema ist der Umgang mit Behinderung im Sportunterricht. Auch das lässt sich gut aufgreifen – zum Beispiel in einer Einheit zur Inklusion oder bei Projektwochen. Dabei kann man Fragen stellen wie: Wie können wir gemeinsam Spiele entwickeln, bei denen auch Schülerinnen mit körperlichen Einschränkungen mitmachen können? Oder wie sieht fairer Wettbewerb aus, wenn nicht alle dieselben Voraussetzungen mitbringen?
Hier ist auch wichtig, dass nicht belehrt wird, sondern zum Nachdenken anregen wird. Ich darf meine Haltung zeigen, zum Beispiel dass ich Sport für alle ermöglichen möchte – aber ich muss auch Raum lassen für andere Meinungen oder Bedenken.
So wird der Beutelsbacher Konsens ganz praktisch: Ich überwältige niemanden, stelle unterschiedliche Perspektiven dar und ermögliche den Schüler*innen, sich eine eigene Meinung zu bilden (vgl. Wehling 1977, S. 179f.).
3. Wie kann im Unterricht mit Verschwörungstheorien umgegangen werden? – Zum Fall „Lehrer reagiert überfordert“
Der geschilderte Fall eines Lehrers, der sich nach einer angeblich abfälligen Bemerkung über die AfD vor der Schulaufsicht verantworten muss , zeigt, wie schnell politische Bildung unter Druck gerät. Dabei ist gerade der Umgang mit Verschwörungstheorien im Unterricht zentral – denn sie verbreiten sich zunehmend über soziale Medien und erreichen dann auch das Klassenzimmer.
Wie bleibt man informiert?
Lehrkräfte müssen nicht jede einzelne Theorie kennen – wichtiger ist das Verständnis typischer Muster: etwa der Glaube an geheime Eliten oder das Misstrauen gegenüber „Mainstream-Medien“. Portale wie Hoaxmap oder Correctiv bieten aktuelle Orientierung (vgl. Lanius 2021, S. 188).
Lassen sich Verschwörungstheorien durch Fakten widerlegen?
Oft nur bedingt – wer stark ideologisch geprägt ist, lehnt Fakten ab. Wirksamer sind kluge Rückfragen („Wenn Deutschland keine Demokratie wäre – wie kann man dann Parteien gründen?“) oder das Aufzeigen innerer Widersprüche (vgl. Lanius 2021, S. 196–203).
Wie gelingt ein angemessener Umgang?
Die Verschwörungstheorie soll nicht aufgewertet werden, aber auch nicht unkommentiert bleiben. Didaktisch sinnvoll ist z. B. eine Reflexion über die Glaubwürdigkeit von Quellen oder eine gemeinsame Recherche mit der Klasse. Die betroffene Lehrkraft sollte nicht in eine passive Rolle gedrängt werden, sondern durch Haltung und Offenheit einen geschützten Diskussionsraum ermöglichen (Behrens et al. 2021, S. 110).
Literaturverzeichnis
• Behrens, R.; Besand, A.; Breuer, S. (2021): Politische Bildung in reaktionären Zeiten. Plädoyer für eine standhafte Schule. Frankfurt a. M.: Wochenschau.
• Gessner, W. et al. (2016): Politikdidaktik. Ein Arbeitsbuch. Schwalbach/Ts.: Wochenschau.
• Giesinger, J. (2021): Vermitteln und Mitteilen: Die Meinung der Lehrperson in der Diskussion kontroverser Themen. In: Drerup, J. et al. (Hg.): Dürfen Lehrer ihre Meinung sagen? Stuttgart: Kohlhammer, S. 19–30.
• Lanius, D. (2021): Wie sollten Lehrende mit Fake News und Verschwörungstheorien umgehen? In: Drerup, J. et al. (Hg.): Dürfen Lehrer ihre Meinung sagen? Stuttgart: Kohlhammer, S. 188–208.
• Wehling, H.-G. (1977): Konsens à la Beutelsbach? In: Schiele, S.; Schneider, H. (Hg.): Das Konsensproblem in der politischen Bildung. Stuttgart: Klett, S. 173–184.
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