Abschlussreflexion

Aus den unterschiedlichen Vorträgen konnte ich in vielerlei Hinsicht neue Erkenntnisse gewinnen. Alleine der Perspektivwechsel sowie die thematische Diversität waren für mich ein Anstoß, eigene Vorstellungen zu reflektieren. Besonders relevant war dabei unter anderem Ringvorlesung 3, die die Bedeutung von Sprache und Begriffen verdeutlichen sollte. Explizit die Thematik der unstrukturierten Begriffe halte ich als sehr wichtig für meine Tätigkeit als Geschichtslehrkraft. Geschichte als Fach basiert in großen Teilen auf unstrukturierten Begriffen, wie „Demokratie“, „Staat“, oder „Bürger*in“. Es ist dabei wichtig, auf zwei Komponenten der Begriffsunschärfe einzugehen: Zum einen gibt es die Unstrukturiertheit von Begriffen, die sich schon aus der Gegenwart heraus ergibt. So spielen die individuelle Sozialisation, die Herkunft, das Geschlecht, Erfahrungen, etc. eine elementare Rolle dafür, welche Bedeutungen mit Begriffen verknüpft werden. Das Wort „Staat“ könnte zum Beispiel sowohl als eine Gemeinschaft von Menschen, als auch als ein hierarchisches Machtsystem verstanden werden. Zum anderen ist die Bedeutung von Begriffen selbst einem historischen Wandel unterworfen. Dies ist der Themenschwerpunkt der Begriffsgeschichte. Am Beispiel des Wortes „Staat“ wird dies insbesondere deutlich: So hat sich die Bedeutung des Wortes durch die Zeit der Nationalstaatengründung zwar elementar geändert, der Begriff „Staat“ an sich blieb jedoch bestehen[1]. Für den Geschichtsunterricht ist es also wichtig, den Fokus auch auf Sprache und Begriffe zu legen und beide Komponenten der Begriffsunschärfe zu berücksichtigen. Explizit sollte dabei auf die Lebenswelt und Erfahrungswerte der Schüler*innen zurückgegriffen werden, um die Diversität von Begriffen und deren Bedeutungen herauszuarbeiten. Dies ist auch aus erziehungswissenschaftlicher Sicht elementar notwendig, um alle Schüler*innen unabhängig von deren Vorbedingungen so gut wie möglich an der Thematik teilhaben zu lassen, ohne dass dies an der sprachlichen Barriere scheitert. Auch wenn es in der Mathematik augenscheinlich hauptsächlich strukturierte, klar definierte Begriffe gibt, sollte auch in diesem Fach jene Thematik nicht ganz ausgeklammert werden. Auch hier führen unterschiedliche Vorerfahrungen und Berührungspunkte zu diversen Lerngrundlagen von Schüler*innen. Methodisch sollte hier als Lehrkraft also ähnlich vorgegangen werden, wie auch in der Geschichtsdidaktik.

Ein weiterer wichtiger Denkanstoß war für mich die Vorlesung zum Thema „Antisemitismus in der (Hoch)-Schulbildung“. Besonders der Geschichtsunterricht hat in dieser Hinsicht definitiv eine große Verantwortung bei der Aufarbeitung, jedoch ist es schlichtweg falsch und  gefährlich, Antisemitismus als ein rein historisches, vergangenes Phänomen zu betrachten. Es wird schnell sehr deutlich, wie verbreitet antisemitische Denk- und Sprachstrukturen bis heute in allen Gesellschaftsschichten sind. Besonders erschreckend fand ich dabei, wie oft mir im Austausch mit Mitstudent*innen im Anschluss der Vorlesung gespiegelt wurde, die Personen hätten noch nie „etwas mit Antisemitismus zu tun“ gehabt. Da ich selbst jedoch das Gefühl habe, sehr häufig mit Antisemitismus konfrontiert zu sein, war meine Schlussfolgerung aus diesen Wahrnehmungsunterschieden, dass Antisemitismus in unserer Gesellschaft stark internalisiert und auch normalisiert ist. Ich halte es daher für eine elementare Aufgabe jeder Lehrkraft, sowohl eigene Denkmuster zu reflektieren, als auch den Schüler*innen die Gegenwärtigkeit und die Relevanz von Antisemitismus zu verdeutlichen. Dabei ist jedoch wichtig „ dass die Thematisierung der NS-Geschichte und des NS-Antisemitismus wie die der Shoah unverzichtbare Elemente des Schulunterrichts sind, zugleich aber diese Thematisierung nicht hinreichend ist, um ein Verständnis des Themas Antisemitismus in der Schule und damit auch für schulische Präventionsstrategien zu entwickeln.“[2]. Bei der schulischen Aufarbeitung der Thematik sollte stets altersgerecht vorgegangen werden. So kann sich eine zu frühzeitige Konfrontation mit der Komplexität der Thematik eher kontraproduktiv auswirken. Außerdem ist es die Verantwortung der Lehrkraft darauf zu achten, bei der Aufarbeitung des Themas Antisemitismus selbst nicht auf vorhandene antisemitische Muster durch (Sprach-)Bilder und Darstellungen zurückzugreifen und diese dadurch zu verstärken. Neben der fachlichen Thematisierung von Antisemitismus ist jedoch auch die pädagogische Arbeit gegen Antisemitismus sowohl in Lehrer*innen-Schüler*innen- als auch in Schüler*innen-Schüler*innen-Verhältnisses von enormer Relevanz.

Ich selbst habe in meiner Schulzeit auf einem katholischen Mädchen-Klostergymnasium kaum Perspektiven oder Modelle für den schulischen Umgang mit Heterogenität kennengelernt. Retrospektiv ist mir dabei – auch im Bezug auf die Ringvorlesung – noch stärker deutlich geworden, wie problematisch der Umgang meiner damaligen Schule mit Heterogenität war. Alleine durch Religion, Geschlecht oder durch die finanzielle Situation der Person blieb der Zugang zu dieser Privatschule vielen Kindern verwehrt. Diejenigen Schülerinnen, denen der Zugang zur Schule möglich war, wurden durch die Lehrkörperschaft und Schulverwaltung stets als eine homogene Masse betrachtet. Dabei gab es keinerlei individuelle Fördermöglichkeiten für Schülerinnen sowie keinerlei Förderung zur eigenen Meinungs- und Charakterbildung. Es wurde stets vielmehr darauf abgezielt, die Schülerinnen an ein vorgegebenes (Leistungs-)Ideal anzupassen. Der Wunsch nach Vereinheitlichung (Komplexitätsreduktion) von Persönlichkeit und Leistung stand dabei stets im Vordergrund. Im Rückblick und auch mit Blick auf die Ringvorlesung ist mir klar geworden, wie wichtig es ist, Heterogenität auch als Chance zu sehen. Um die unterschiedlichen Voraussetzungen der Schüler*innen als Chance begreifen zu können, muss es die Aufgabe der Lehrkraft sein, ihre eigenen Denkmuster in einem ständigen Prozess zu reflektieren. Dies ist meiner Meinung nach der relevanteste Faktor zum schulischen Umgang mit Heterogenität. So führt ein Bewusstsein der Lehrkraft für die Normalität von Migrationsbewegungen dazu, dass Kategorisierungen wie die „Migrationshinweis“ hinterfragt und durchbrochen werden können. Statt also betreffende Schüler*innen kategorisch auszusondern, können dann alle Schüler*innen in ihrer Sprach- und Herkunftsdiversität gefördert werden. Beim Durchbrechen dieser Kategorien ist jedoch stets wichtig, Individualität zu berücksichtigen und die Schülerschaft nicht zu homogenisieren. Die Selbstreflexion der Lehrkraft steht somit zwar im Vordergrund, kann jedoch nur zu erfolgreichen Maßnahmen führen, wenn auch im Schulsystem an sich Reformen geschehen.

 

Mehr erfahren würde ich im Laufe meines Studiums gerne darüber, wie altersgerechte schulische Aufarbeitung von schwierigen/ belastenden Themenkomplexen möglich ist. Solche Themenkomplexe können nicht nur historischer Art sein (Kolonialgeschichte, Genozide, Kriege…), sondern tauchen in so gut wie allen Fachbereichen auf (Aufklärungsunterricht, Psychologie…).  Explizit stellt sich mir dabei die Frage, wie solche Themen anschaulich und in ihrer enormen Relevanz aufgegriffen werden können, ohne dabei die diversen individuellen Belastungsgrenzen der Schüler*innen zu überschreiten. Desweitern wünsche ich mir für mein weiters Studium eine intensivere Auseinandersetzung mit Gender und Sexualität als Faktor für Heterogenität. Da ich selbst beinahe meine gesamte Schulzeit auf einer reinen Mädchenschule verbracht habe, auf der die Schülerinnen als geschlechtlich völlig homogen betrachtet wurden, fehlen mich persönlich Erfahrungswerte zum Thema Genderdiversität im Schulalltag.

[1] Otto Brunner, Werner Conze, Reinhart Koselleck (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe: Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Band 6. Klett-Cotta, Stuttgart 1972–1997, Abschnitt „Staat und Souveränität“.

[2] Salzborn, Samuel; Kurt, Alexandra: Antisemitismus in der Schule. Erkenntnisstand und Handlungsperspektiven, Berlin 2019, S. 8.

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