- Welche theoretischen Schwierigkeiten ergeben sich bei dem Versuch, „Differenz“ oder „Heterogenität“ im Schulkontext identifizieren und beobachten zu wollen? Und was hat dies mit „Differenz“ oder „Heterogenität“ als Gegenstand selbst zu tun?
2. Welche Differenz-Kategorien legen Sie vermutlich – eher unbewusst – im Blick auf Ihre zukünftigen Schüler*innen an und welche erweisen sich – nach Ihrem bisherigen Kenntnisstand – warum als eher problematisch als andere?
3. Würde(n) sich die Interpretation(en) der im Vortrag zugrunde gelegten Szene der „Gruppenarbeit in Klasse P“ aus Ihrer Sicht verändern (und wenn ja, wie), wenn Sie sie explizit unter der Aufmerksamkeitsrichtung der Bedeutung von „Migrationshintergrund“ oder „Gender“ in Unterricht zu lesen versuchten?
1.
Die Begriffe „Differenz“ und „Heterogenität“ können als unstrukturierte Begriffe (vgl. RV03) bezeichnet werden. Sie stehen im engen Zusammenhang mit Diskursen über Subjektivität und Konstruktivismus. So stellt sich die Frage, inwiefern es rein „objektive“ Differenzen zwischen Personen überhaupt gibt, und inwiefern diese wahrgenommenen Differenzen rein durch gesellschaftlichen Kontext entstehen. Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es Vertreter*innen für verschiedenste Positionen auf dieser Skala. Judith Butler und Michel Foucault zum Beispiel stellen die menschliches Selbstwahrnehmung als eigenständiges Subjekt stark in Frage und vertreten somit die These, dass Personen maßgeblich durch die Strukturen definiert werden, in denen sie sich bewegen. So schreibt Foucault: „Der Mensch ist eine Erfindung, deren junges Datum die Archäologie ganz offen zeigt“ (Michel Foucault – Die Ordnung der Dinge, S. 371). Dass die beiden Begriffe „Differenz“ und „Heterogenität“ selbst Teil eines Diskurses sind, stellt die Lehrperson also im Schulalltag dieselbe Problematik. Es stellt sich die Frage, woran sog. Differenzen und deren Wertungen durch die Lehrperson festgemacht werden, und welcher Umgang damit darauf folgen sollte. Die Schule/ Lehrperson muss also entscheiden, inwiefern auf Konzepte wie Individualisierung des Unterrichts und Anpassung an vorhandene Heterogenität die Schüler*innen fördern oder eben erst zur Herausbildung oder Verstärkung dieser Differenzen führen.
2.
Ich schätze, vor allem die Differenz-Kategorien „Migrationshintergrund“ und „Gender“ unterbewusst anzuwenden. Ich selbst bin dabei stark geprägt durch meine Schulzeit auf einer stark konservativen bayrischen Mädchen-Schule, die in Hinsicht Gender und auch Migrationshintergrund sowie Religion beinahe homogen war. Ich selbst empfinde das mittlerweile als stark problematisch, denn in meiner Schulzeit wurde durchgehend eine in beinahe jederlei Hinsicht rein homogene Schülerinnenschaft vorausgesetzt. Somit gab es kaum/ keine individuelle Anpassung des Unterrichts. Besonders problematisch empfinde ich dabei die Differenzierung nach dem „Migrationshintergrund“ und dem Geschlecht, da diese beiden Kategorien in keinerlei Hinsicht auf ein gesteigertes Förderbedürfnis der Schüler*in hinweisen. So lässt ein „Migrationshintergrund“ an sich zum Beispiel nicht auf eine schlechtere Sprachkenntnis schließen. Auch das Gender der Schüler*in bietet keinerlei Aufschluss über deren deren schulische Leistung. Etwas anders verhält es sich zum Beispiel bei Kategorien wie „Ability“, bei denen oft (nicht immer!) davon auszugehen ist, dass die Person von einer individuellen Förderung profitieren könnte.
3.
Es ist in diesem Beispiel besonders auffällig, dass es sich bei den beiden Personen, die die Rolle der „Quasi-Lehrkraft“ einnehmen, um mutmaßlich weibliche Personen handelt. Dabei werden die Rollen der „Quasi-Schüler*innen“ von zwei mutmaßlich männlichen Personen eingenommen. Bei einem davon – Hatif – könnte anhand des Namens und anhand des Umgangs der weiblichen Personen mit ihm ein Migrationshintergrund vermutet werden. Dies würde die Interpretation weiter bestärken, denn die Rolle Hatifs als „jemand, der unbedingt zuhören sollte“ (Folie 18) könnte ihm deshalb zugeschrieben werden, weil ihm geringere Sprachfähigkeiten attestiert werden. Die gesellschaftliche Problematik der Hierarchisierung anhand von über äußeren Merkmalen gemutmaßter Herkunft spiegelt sich so also im Klassenverband wider. Die Frage, inwiefern sich in dieser Situation Gender-Machtverhältnisse widerspiegeln ist dabei schwerer zu beantworten. Auf den ersten Blick widerspricht die gesellschaftliche Realität außerhalb des Klassenraumes der Weiblichen Dominanz in dieser Situation. Es muss jedoch bedacht werden, dass weibliche Schülerinnen oft einen höheren schulischen Leistungsdruck erfahren und somit oft vermehrt die Rolle der guten, ehrgeizigen Schülerin annehmen. Dies ließe sich auch in der beschriebenen Situation vermuten und bietet eine Erklärung für das „Theaterspiel“, das von den beiden weiblichen Schülerinnen ausgeht. Die Interpretation wird also durch die Anwendung der Differenzierungs-Kriterien „Migrationshintergrund“ und „Gender“ bestärkt. Es sollte jedoch trotzdem vorsichtig mit der mutmaßlichen Anwendung dieser Kriterien umgegangen werden, da möglicherweise dort Differenzen gesehen werden, wo eigentlich keine waren und diese dadurch erst entstehen. Es ist zum Beispiel in keiner Weise aus dem Text herauszulesen, ob Hatif tatsächlich einen Migrationshintergrund hat und inwiefern, dass seine schulischen Leistungen sowie seien Beziehungen zu den Mitschüler*innen beeinflusst. Die Lehrperson sollte sich also in der Situation dieser Gefahr und Verantwortung bewusst sein.
Liebe Johanna,
ich danke Dir für deinen interessanten Beitrag. Es hat mir Spaß gemacht deine Gedanken zu den Fragestellungen zu erfahren. Ich finde es sehr gut, dass du die Komplexität der Begriffe „Differenz“ und „Heterogenität“ herausstellst und Diskutierst. Besonders im schulischen Kontext sind diese Begriffe wichtig zu benennen und zu thematisieren. Ich stimme dir vollkommen zu, dass die Lehrer*innen im Umgang mit den Schüler*innen in der Frage der Heterogenität die notwendige Feinabstimmung zwischen Individualisierung des Unterrichts und bei der Herausstellung der Differenzen und deren Verstärkung eine gut abgewogene Entscheidung treffen müssen. In der schulischen Umgebung ist es wichtig die Aspekte der Unterkategorien der oben genannten Begriffe zu sehen: wie z. B. das Geschlecht. Die Stereotypisierung der Geschlechterrollen und Vorurteile gilt besonders sensibel zu betrachten und zu Schüler*innen darüber aufzuklären.
Ich finde es sehr interessant, wie Homogenität deiner Schülerschaft und der Umgang der Lehrer*innen damit dich bewegt und sensibilisiert hat. Migrationshintergrund und das Geschlecht sind keinesfalls miteinander zu verbinden und schulische Leistung damit zu erklären. Auch ich habe eine Erfahrung mit Heterogenität, die ich innerhalb der Klasse zu einer Differenzierung durch die Schüler führte, aber im Unterricht von den Lehrer*innen keine Beachtung fand. Dies war Gegenstand des Nachmittagsunterrichts, wo nur Schüler mit Migrationshintergrund „unter sich“ waren.
Ich stimme deiner Einschätzung zu der „Gruppenarbeit in Klasse P“ zu. Für mich war deutlich zu merken, dass beide Mädchen in der Gruppe die besseren Lerner waren. Sie verhielten sich – Hatif – gegenüber auffällig, kommentierten ständig alles. Der offene Umgang mit der Differenzierung kann Schüler*innen helfen ihre eigenen Differenzierungen, Vorurteile und wahrscheinlich schon von anderen übernommenen Verhaltensweisen gegenüber „Migrantenkindern“ abzubauen und damit offener Neuem und Unbekannten zu werden.