1a. Benennen Sie die Kernaussagen der Grafik auf Folie 16 (siehe Präsentation RV02 auf Stud.IP). 1b. Welche Hinweise gibt die Grafik zum Zusammenhang zwischen Migrationshinweis, Neu-Zuwanderung und Bildungsbenachteiligung?
In der Grafik werden die verschiedenen, im Bundesland Bremen erreichbaren Schulabschlüsse mit den prozentualen Anteilen der Migrationhinweise der Schulentlassenen dargestellt. Es wird deutlich, dass der erreichte Schulabschluss in einem direkten Zusammenhang mit dem Migrationshinweis der Person steht. Es gibt also eine Korrelation zwischen Migration und Teilhabemöglichkeiten im Bildungssystem. Besonders auffällig ist, dass der Großteil aller Menschen ohne Migrationshinweis in Bremen das Abitur erhalten, während nur ein schwindend geringer Prozentsatz ohne Schulabschluss bleibt. Im Gegensatz dazu steht die Statistik der Personen mit Migrationshinweis und Vorkurs ab 2014, die als Neu-Zugewanderte bezeichnet werden können. Innerhalb dieser Personengruppe ist der Prozentsatz an Abiturient*innen schwindend gering. Der Großteil verlässt das Schulsystem, ohne einen Abschluss erreicht zu haben. Es liegt also die Vermutung nahe, dass die Einbindung von Personen mit Migrationshinweis in das Bremer Schulsystem bzw. die Ausrichtung des Bildungssystems auf Personen mit Migrationshinweis nicht hinreichend erfolgt, besonders bezogen auf Neu-Zugewanderte.
- Erklären Sie mit Bezug auf konkrete Inhalte der Präsentation (Quellen!), inwiefern Migration das nationalstaatlich verfasste Schulsystem Deutschlands herausfordert.
Seit den Nationalstaatsgründungen besteht ein enger Zusammenhand zwischen dem Bildungssystem eines Staates und dem Konzept von Nation bzw. des Nationalismus. Dabei diente das Schulsystem zum einen der Erziehung hin zur Identifikation als Teil einer nationalstaatlichen orientierten Gesellschaft. Es bestand ein enger Zusammenhang zwischen der Rolle der Person im Bildungssystem und Kategorien wie Sprache, Religion, Ethnie und Herkunft mit dem Ziel der Schaffung einer ideell homogenen Gesellschaft. Diese Verbindung reicht bis in das heutige Schulwesen. Weiterhin bleibt die Eingliederung der beschulten Person in die nationalstaatlich organisierte Gesellschaft sowie das Konzept der Homogenisierung ein Teil des Bildungswesens.
Migration bedroht dieses System auf mehreren Ebenen. Zum einen wird die Ausrichtung des Schulwesens auf eine sprachlich, religiös, ethnisch und kulturell homogene Gruppe an Beschulten zur Problematik. Diese – von vornherein falsche – Annahme der Gleichheit der Schüler*innen wird durch offensichtliche Unterschiede wie zum Beispiel Fremdsprachen bzw. sprachliche Diversität deutlich. Weiterhin ist das Schulwesen darauf ausgelegt, in Einem durchlaufen zu werden. Es basiert also auf einem konstanten Wohnort, zumindest innerhalb des Nationalstaates. Migration verdeutlicht bezogen auf das Bildungssystem also vor allem bereits vorhandene Systemproblematiken und wirft die Frage auf, inwiefern und auf welche Weise einen Neu-Ausrichtung des Systems nötig ist.
- Inwiefern kann das folgende Beispiel als Ausdruck von ´Doing Culture´ durch Lehrer*innenhandeln im Unterricht herangezogen werden? Was ist problematisch daran? Erinnern Sie sich aus ihrer eigenen Schulzeit an ein Beispiel für ´Doing Culture´ im Lehrer*innenhandeln?
Doing Culture – Ein Fallbeispiel:
Kim (Name geändert), eine Lehramtsstudierende, berichtet in einer Aufgabe:
„Einer meiner ehemaligen Mathelehrer nahm mich des Öfteren bei Fragen an die gesamte Klasse dran, ohne dass ich mich gemeldet hatte, da er der Meinung war‚ die Asiatin müsse es ja wissen, die seien doch so gut in Mathe. Da Mathe nicht eine meiner Stärken war und ich dementsprechend keine richtige Antwort auf die Fragen geben konnte, hieß es seitens des Lehrers ‚Da hätte ich aber jetzt mehr erwartet‘ (…). Obwohl ich zu diesem Zeitpunkt noch nie in Asien war und dementsprechend keinerlei Berührungspunkte oder persönliche Erfahrungen mit der Kultur und Mentalität habe, wird von mir erwartet, besser in Mathe zu sein, als Schüler*innen die nicht daher kommen.“
Das Konzept ‚doing culture‘ geht weg von einem starren Kulturbegriff und beschreibt die Idee, dass Kultur erst durch gesellschaftliche Praxis und Wahrnehmung, oft durch Differenzen, entsteht. Das Fallbeispiel kann zunächst jedoch nicht in diesem Kontext betrachtet werden. Die Fähigkeit, „gut in Mathe“ zu sein, kann nicht al Teil einer Kultur gesehen werden. Vielmehr handelt es sich um ein rassistisches Klischee der Lehrperson, das alleinig an äußeren Merkmalen der Schülerin festgemacht wird.
Problematisch ist insbesondere, dass die Schülerin sowie deren Leistungen nicht mit einem möglichst neutralen Blick beurteilt werden. Das rassistische Vorurteil der Lehrperson führt in diesem Fall zu einem höheren Leistungsdruck gegenüber der Schülerin sowie zur Kategorisierung der Person anhand von äußeren Merkmalen. Es ist denkbar, dass erst durch eine solche Fremddefinition der Lehrperson Unsicherheiten sowie Identifikationsproblematiken bei der Schülerin selbst sowie Ausgrenzungsprozessen in der Klassengemeinschaft führt. Dies könnte durchaus als ‚doing culture‘ bezeichnet werden.
Quellen:
Hobsbawm, Eric J.: Nationen und Nationalismus. Mythos und Realität seit 1780, Frankfurt 1992.
Hörning, Karl H.; Reuter, Julia: Doing Culture. Neue Positionen zum Verhältnis von Kultur und sozialer Praxis, Bielefeld 2004.