Besonders zentral erschienen mir die beiden Modelle zur Beschreibung von „Behinderung“. Auf der einen Seite wurde das medizinische Modell vorgestellt, in dem die Personen und ihre „Behinderung“ als körperliche Krankheit untrennbar mit einander verbunden ist. Die Behinderung wird dabei klar als Abweichung von einer Norm beschrieben und heute, wie der Name sagt, vor allem in medizinischen Kontexten verwendet.
Auf der anderen Seite wurde über das soziale Modell von „Behinderung“ gesprochen. Hier steht viel mehr die Umwelt und die Barrieren, die sie für manche Menschen aufbaut, im Vordergrund. Schaut man sich nun die drei aktuellen Diskussionslinien, die zum Thema Inklusion geführt werden, findet man meiner Meinung nach Argumentationen diese Modelle wieder.
Die erste Linie sieht Inklusion als Systemwandel vor. Die Vertreter dieser fordern eine gesellschaftspolitische Veränderung, die Barrieren der Umwelt abbaut. Dieses ergänzt das soziale Modell von „Behinderung“ und fordert eine grundlegende Änderung der bisherigen Zustände z.B. in der Schule.
Eine zweite Linie fordert die aktuell im Abbau begriffenen Doppelstrukturen, also Förderschulen einzig für Kinder mit sozialpädagogischem Förderbedarf, wieder als gängiges Modell einzuführen. Hier finden sich meiner Meinung nach Argumentationen des medizinischen Modells wieder, welches „Behinderung“ als eine Abweichung von der Norm in den Fokus stellt. Diese Abweichungen müssen daher auch gesondert behandelt werden.
Eine dritte Linie vereint meiner Meinung nach die beiden Diskussionlinien und auch die beiden Modelle mit einander. Ziel ist nach wie vor die Inklusion in einer einheitlichen Schulform, was nur mit einem Systemwandel funktionieren kann. Gleichzeitig wird aber nicht vergessen, dass viele Kinder mit sozialpädagogischem Förderbedarf, anders als Kinder ohne diesen auch in einer vollinklusiven Schulform in manchen Bereichen mehr oder andere Unterstützung brauchen. Meiner Meinung nach berücksichtigt dieses Modell beide Seiten einer „Behinderung“. Zum einen die Wahrnehmung die sich ändern muss, damit niemand ausgeschlossen oder benachteiligt wird, zum anderen vergisst diese Modell nicht, dass viele „Behinderungen“ echte medizinische Probleme mit sich bringen, die behandelt werden und nicht vergessen werden dürfen.
Häufig vergessen wird in der ganzen Diskussion meiner Meinung nach, dass jedes Kinde individuell ist. Man möchte ein System schaffen, dass einheitlich ist und dann für alle gilt. Für manche Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf ist vielleicht ein mehrgliedriges System für andere ein absolut inklusives System das richtige. Dies gilt aber nicht nur für Kinder, die mit solchem diagnostiziert wurden, sondern auch für Kindern ohne diesen Bedarf. Hier liegen vielleicht andere Probleme z.B. im sozialen Umgang mit anderen vor, die ein Kind mit Förderbedarf nicht hat. Dafür hat diese vielleicht eine Lernschwäche, die besonders berücksichtigt werden muss. Vielleicht liegt der Schlüssel daher nicht in einer einzigen Lösung, sondern viel mehr in einer Vielzahl an Möglichkeiten in denen jede Person dass für sie passende Angebot suchen kann.
In meinem Alltag sind mir beide Modelle begegnet. Mein persönlicher Kontakt zu Personen, die in die in der Vorlesung vorgestellten „Kategorien“ passen, sind großteilig chronisch oder psychisches erkrankt. Diese Personen wurden von der Inklusion wenig berührt. Auf Ihre Erkrankungen musste in der Schule nicht in so großem Maße Rücksicht genommen werden, als dass sie wirklichen Förderbedarf hätten. Weitere Personen, die mir bekannt sind, haben alle eine Förderschule besucht und stehen jetzt am Anfang in spezielle inklusiver Ausbildungen.
Meiner Meinung nach wäre das Bremer Schulsystem für keine dieser Personen richtig ausgestattet gewesen. Die z.B. sehr auffälligen Entwicklungsstörungen und Lernschwächen, hätten im aktuellen System nicht aufgefangen werden können. Die Personen, haben eine wesentlich engere Betreuung benötigt, als das aktuelle System gewährleisten kann. Auch der Umgang mit Gleichaltrigen, der in der Schule sowie sie im Moment funktioniert unvermeidbar gewesen, wäre speziell in einem Fall sehr schwierig gewesen. Diese Person beschreitet entwicklungstechnisch einen anderen Weg als der Großteil der andere Teenager und hat große Schwierigkeiten in diesen Gruppen einen Platz zu finden.
Der Umgang mit chronischen und psychischen Erkrankungen hat zu mindestens schulbezogen besser funktioniert. Hier waren vor allem das Unverständnis und die Vorurteile gegenüber diesen Erkrankungen ein sehr großes Problem, diese führten in vielen Fällen zu starkem Mobbing was erst durch Wechsel auf andere Schulen gestoppt werden konnte (bei diesen Schulen handelte es sich wie bei den erst Schulen jeweils um Gymnasien und Oberschulen aus Bremen).
Ich persönlich stell mir jedes Mal, wenn ich über Inklusion nachdenke die Frage wie weit ist die Gesellschaft in der Akzeptanz von Unterschieden wirklich. Natürlich steht im Grundgesetz festgeschrieben, dass jeder Mensch gleich an Recht und Würde ist, in der Gesellschaft kann ich, dass leider nicht unbedingt beobachten.
Aktuell werden durch Bewegungen wie Time’s up und Me too die Recht der Frauen wieder sehr in den Fokus gerückt. Seit Anbeginn der Menschheit gibt es Mann und Frau und dennoch scheitert noch im Jahr 2018 der Respekt vor einander, berücksichtig man diese die sich nicht mit einer der beiden Kategorien identifizieren wollen oder können, nimmt der Respekt und das Verständnis noch weiter ab.
„Behinderungen“ oder andere körperliche und geistige Abweichungen von der Norm, die nicht speziell klassifiziert werden, sind noch wesentlich vielfältige und jede für sich hat bringt ihre Herausforderungen für die Betroffenen. Diese riesige Masse an Vielfalt zu akzeptieren und zu respektieren scheint mir Angesicht der aktuellen Diskussionen zu Umgang mit Geschlechtern (aber auch Herkunft, Religion, Sexualität etc.) für viele Menschen schwieriger als gedacht. Mich würde daher vor allem der Umgang von Kindern untereinander interessieren. Wie begegnen Kindern, Kindern die anders sind als sie selbst? Mit Interesse? Mit Respekt? Mit Abneigung? Interesse habe ich dabei an beiden Seiten auch über einen längeren Zeitraum.
Hallo Ina,
Auch ich frage mich oft, wie weit die Gesellschaft denkt sie akzeptiere Unterschiede – und in wie weit sie diese wirklich akzeptiert. Ein Beispiel von Samstag morgen ist mir im Kopf geblieben: Ich kam von meiner Arbeit und stand im Viertel an der Bahnhaltestelle. Zwei junge Männer fuhren mit Skateboard an mir vorbei und einer stolperte über die für Blinde vorgesehenen „Wahnhubbel“ im Boden. Diese Hubbel sind dafür gemacht um blinden zum Beispiel anzuzeigen wo die Bahn hält und wo sich die nächste Tür befindet. Aber auch Ampeln etc. werden damit angezeigt. Nun ja, der junge Mann fluchte und meinte, dass sich die Stadt diese Hubbel doch echt hätte sparen können. – aua.
Ich komme ursprünglich aus einer anderen Studentenstadt und trotzdem es viele Berge bei und gib, genauso wie eine verwinkelte Altstadt, ist Marburg auch als Unistadt besonders beliebt bei Blinden. Die Stadt ist auf Blinde extremst gut vorbereitet. Es macht mich ehrlich gesagt zeimlich wütend, wie unglaublich schlecht die Uni Bremen auf Behinderte vorbereitet ist. Besonders, da Marburgs Uni im Vergleich sehr alt ist und in der ganzen Stadt versträut. Bei der großen, flachen Fläche von Uni und Stadt wäre es eine Leichtigkeit für Bremen gewesen sowohl Stadt als auch Uni Barriereärmer auszustatten.